Читать книгу Zandrus Schmiede - Marion Zimmer Bradley - Страница 15
8
ОглавлениеCerriana warf sich neben dem halb von Zweigen verdeckten Carolin auf den Boden. Sie berührte seine ausgestreckte Hand.
»Er lebt noch.«
Sie war Überwacherin, sagte sich Varzil, und würde so etwas aus einer Berührung schließen können. Dennoch schlug sein Herz heftig, als er zu den anderen rannte.
Er packte den dicken abgebrochenen Ast und zog. Das Holz war überraschend schwer, und Varzil taumelte unter dem Gewicht. Valentina zupfte nutzlos an einem der kleineren Zweige. Cerriana versuchte nicht zu helfen, sondern streckte einen Arm unter den Ast und tastete nach Carolins Kopf.
Mit der anderen Hand griff sie nach ihrem Sternenstein, einem Stück facettierten bläulichen Feuers, das in Kupferfiligran an einer langen Kette zwischen ihren Brüsten hing. Der Stein erwachte schimmernd zum Leben, als sie ihn berührte. Varzil konnte beinahe die Aura von Laran-Funken sehen, die ihre Hände umgaben, während sie arbeitete. Valentina schniefte, blieb aber ruhig sitzen. In ihren grünen Augen stand der ernsthafte, nach innen gerichtete Ausdruck, den Varzil bereits mit Matrixarbeit verband. Sie folgte Cerrianas Geist.
Varzil spürte Cerrianas Konzentration, den Strom ihres Laran, als sie Carolin untersuchte. Aber Eduin – Eduins Geist war leer. Varzil blickte nach oben und sah, wie der ältere Junge langsam nach unten stieg, Sprosse um Sprosse, ruhig und vorsichtig.
Varzil holte tief Luft, füllte seine Lunge, wie er es bei den Männern auf dem Landsitz seines Vaters gesehen hatte, wenn sie schwere Arbeit leisten mussten. Dann atmete er rasch aus, packte den Ast fester und zog, so fest er konnte, und zwar nicht direkt nach oben, gegen das gesamte Gewicht des schweren Holzes, sondern seitlich. Zu seiner Überraschung bewegte sich der Ast.
»Holen wir ihn raus!«, rief Cerriana. »Es ist nichts gebrochen. Wir können ihn bewegen.« Sie packte einen von Carolins Armen, Valentina den anderen. Zusammen gelang den Mädchen, ihn unter dem Ast vorzuziehen. Varzil ließ den Ast sinken.
Carolin lag reglos da, den Kopf zur Seite gesackt, die Augen geschlossen. Dichte Wimpern berührten bleiche Wangen. Ein Arm war in einem unmöglichen Winkel ausgestreckt, und die Schulter unnatürlich verbogen.
Varzil spürte eine schwache Präsenz. Carlo, kannst du mich hören?
Die Antwort war Schweigen.
Als Varzil sich an die Seite seines Freundes kniete, spürte er, dass auch Eduin näher kam, und seine Nackenhaare sträubten sich.
»Er ... er ist gefallen«, sagte Eduin. »Ich konnte nichts tun.« Er schluckte angestrengt.
Durch Eduins Barrieren verspürte Varzil eine Spur intensiver Gefühle, Angst und Sorge und seltsame Verzweiflung, aber alles sehr verschwommen.
Cerriana, die sich auf den bewusstlosen jungen Mann konzentrierte, antwortete nicht, aber Valentina blinzelte.
»Du solltest ...«, begann Varzil und wollte sagen: »Du solltest sie nicht ablenken.«
»Sag mir nicht, was ich tun soll«, zischte Eduin. Er ging um den Ast herum und hockte sich neben Cerriana.
Nein!, schauderte Varzil. Er verbiss sich einen lauten Aufschrei. Was war mit ihm los? Eduin war Carolins Freund, und er wurde seit vier Jahren im Turm ausgebildet.
Als Eduin die Hand ausstreckte, öffnete Carolin die Augen. Er holte tief und angestrengt Luft. Stöhnend hob er die Hand an die Stirn. »Was ist passiert?«
»Still«, sagte Cerriana. »Lieg still, während ich dich überwache.«
»Nein, ich bin in Ordnung.« Carolin hob den Kopf und versuchte sich aufzusetzen. Alle Farbe wich sofort aus seinem Gesicht. Er sackte zurück.
Varzil nahm Carolins Hand in seine Hände. »Lass Cerriana ihre Arbeit beenden. Es wird nur ein paar Minuten dauern. Wenn du dich zu schnell hinsetzt, wirst du nur ohnmächtig, und Valentina wird sich aufregen.«
Valentina hatte ruhig und ohne die geringste Spur von Verstörtheit zugesehen.
Carolins Mundwinkel zuckte, aber er versuchte nicht noch einmal sich hinzusetzen. Cerriana untersuchte ihn weiter. Eduin tat das Gleiche von der anderen Seite.
Als er Eduins ernste Miene und die Sorgfalt bemerkte, mit der er Carolins Schulter untersuchte, schämte sich Varzil für sein Misstrauen. Lehnte er Eduin einfach nur deshalb ab, weil er an diesem ersten Tag so unhöflich zu ihm gewesen war?
»Du hast dir den Kopf ziemlich fest angeschlagen, Carlo«, sagte Cerriana und lehnte sich zurück. »Aber es gibt keine Blutungen in deinem dicken Schädel, und dein Hals ist ebenfalls in Ordnung. Deine Schulter ist ausgerenkt, aber das ist auch schon das Schlimmste. Ich habe getan, was ich kann, aber ich bin nicht imstande, die Wirkung von zwei Wochen Ruhe in fünf Minuten zu erreichen. Ich fürchte, heute wirst du keine Äpfel mehr pflücken.« Sie lachte. »Eine ziemlich extreme Art, sich vor der Arbeit zu drücken, muss ich sagen.«
Cerriana half Carolin sich hinzusetzen. Er keuchte vor Schmerz und fasste sich an die verletzte Schulter. Sein Arm hing seltsam verrenkt herab.
»Ah!« Carolin verzog das Gesicht.
»Ich kann ihn leider nicht wieder einrenken«, sagte Cerriana. »Fidelis hat versucht, es mir beizubringen, aber ich bin nicht stark genug, und ich habe den Winkel nicht richtig erwischt. Ich bezweifle, dass es dir gefallen würde, wenn ich meinen Fuß in deine Achselgrube setze und so fest ziehe, wie ich kann. Nein, wir sollten den Arm am besten in eine Schlinge legen und dich zurückschaffen.«
»Bis er wieder im Turm ist, ist das Gelenk geschwollen, und es wird viel schwieriger sein, den Arm wieder einzurenken«, sagte Varzil.
»Woher willst du das denn wissen?«, fragte Eduin barsch.
Cerriana sah Varzil abschätzend an. Er ist so klein, er muss in einem Kloster aufgewachsen sein. Was kann er schon von solchen Verletzungen wissen?
Varzil zuckte die Achseln. »Ein Fohlen, das ins Geisterkraut geraten war, hat dem ältesten Sohn des Friedensmanns meines Vaters beinahe den Arm aus dem Gelenk gerissen.«
Nun kam die Erinnerung zurück. Er hatte zusammen mit Harald und ein paar Männern vom Rand der Koppel aus zugesehen. Das Pferd gehörte zu einer Herde, die von der Winterweide hereingetrieben worden war, damit die Jährlinge ihr Brandzeichen bekommen und am Halfter ausgebildet werden konnten, bevor man sie noch einige Zeit auf die Weide schickte, bis sie eingeritten würden. Kevan, der halbwüchsige Sohn des Schwarzen Eiric, hatte das Fohlen eingefangen und ihm ein Halfter angelegt.
Der Dreijährige, von dem giftigen Kraut verstört, hatte sich nach hinten geworfen, um einer eingebildeten Gefahr zu entkommen. Kevans Hand war im Seil hängen geblieben, und das Tier hatte ihn herumgerissen und seinen Arm nach hinten gezerrt, bevor er sich befreien konnte.
Varzil war nur einen Augenblick hinter Harald in die Koppel gesprungen. Harald hatte mit den Armen gefuchtelt, um das Pferd wegzuscheuchen. Wiehernd hatte das Tier gescheut und war zur anderen Seite der Koppel gerannt, wo es zitternd und mit schäumenden Nüstern stehen geblieben war. Die übrigen Pferde hatten sich in einer anderen Ecke zusammengedrängt.
Varzil hatte sich über Kevan gebeugt, der die Hand des gesunden Arms an die Schulter gedrückt hatte, genau wie Carolin es jetzt tat. Kevan hatte leise geflucht, und die Haut um seinen Mund war vor Schmerzen weiß geworden. Der älteste der Pferdeknechte, Raul, hatte den Schaden mit ein paar geschickten Bewegungen und der gleichen Sorgfalt untersucht, die er bei einem verängstigten Fohlen angewandt hätte. Raul war ein alter Mann mit einem verschrumpelten Nussgesicht, einen Kopf kleiner als die anderen, und sein Rücken war gebeugt und verzogen von vielen Jahren des Kampfs gegen schlechtes Wetter und widerspenstiges Vieh.
»Er hat dir die Schulter ausgerenkt, junger Kevan«, hatte er freundlich gesagt. »Aber wir richten das schon wieder. Seht genau zu, Meister Varzil. Die meisten Leute stellen den Stiefel in die Achselhöhle des armen Kerls und zerren wie verrückt. Das funktioniert, aber es reißt gewaltig an den Muskeln. Dadurch ist die Heilung manchmal schlimmer als die Verletzung. Aber man kann auch klug sein statt stark.«
Raul hatte Kevan auf den Rücken gelegt, und während er weiter beruhigend auf ihn einredete, den Arm am Ellbogen gepackt und sanft daran gezogen. »Jetzt warte ich auf den Augenblick, wenn die Muskeln sich entspannen. Das ist immer am besten, ob es nun um Menschen oder um Pferde geht. Könnt Ihr spüren, wie die Spannung nachlässt? Ja, jetzt.«
Langsam hatte er Kevans Ellbogen zur Seite gezogen und den Unterarm bewegt, sodass Kevans Hand auf der Schulter des gesunden Arms zu liegen kam. Varzil hatte ein leises Plopp gehört, und auf Kevans Gesicht hatte sich ein Ausdruck ungläubiger Erleichterung ausgebreitet.
»Wenn sie erst mal ausgerenkt war, verirrt sich eine Schulter gerne wieder«, hatte Raul gesagt, als Kevan wieder aufgestanden war. »Wie ein paar Fohlen, die ich kannte, und einige Ehemänner. Bei der Schulter ist das Wichtigste, sie wieder einzurenken, bevor die Muskeln sich vollkommen verspannen.« Er zwinkerte, um anzudeuten, dass es für die Fohlen und die Ehemänner keine so einfache Behandlung gab.
»Bei Schultern kenne ich mich aus«, hatte Kevan mit einem verlegenen Grinsen zugegeben. »Das war das dritte Mal, aber einrenken ist immer schlimmer als ausrenken. So einfach wie diesmal war es allerdings nie.« Er hatte sich bei Raul bedankt und war dann ins Haupthaus gegangen, um sich die Schulter verbinden zu lassen.
Einrenken ist immer schwerer als ausrenken – das ging Varzil jetzt wieder durch den Kopf, zusammen mit der Erinnerung. »Lass es mich versuchen«, sagte er und drückte Carolin sanft wieder auf den Boden.
»Du?«, fragte Eduin abfällig. »Was kannst du schon tun? Cerriana, das ist keine gute Idee – er ist nicht als Überwacher ausgebildet. Er könnte den Schaden verschlimmern.«
»Nein«, sagte Carolin. »Ich traue Varzil. Er soll es versuchen.«
Varzil ignorierte Eduins Einspruch, packte Carolins Unterarm und zog stetig, aber sanft daran. Zunächst verspürte er Widerstand, als zöge er an einem fest verknoteten Seil. Die Muskeln hatten sich aufgrund der Schmerzen bereits verspannt. Carolin schaute gequält drein.
Kämpfe nicht dagegen an, Bredu, sagte Varzil im Geist zu ihm. Ich weiß, dass es wehtut, aber kannst du mir deinen Arm vollkommen überlassen?
Carolin, der den Atem angehalten hatte, atmete aus. Varzil spürte, wie die Muskeln weicher und länger wurden. Jetzt war der Augenblick gekommen.
Er betete, dass er sich richtig erinnert hatte, und drückte Carolins Ellbogen an seine Seite, die Hand nach hinten gerichtet. Er spürte, wie etwas im Oberarm zu rutschen begann. Mit der nächsten langsamen Bewegung brachte Varzil Carolins Hand zur Schulter des anderen Arms, wobei er weiter den Ellbogen an die Seite drückte.
»Ah!«, rief Carolin.
Varzil spürte eher, als dass er hörte, wie der Armknochen ins Gelenk zurückglitt. Wärme breitete sich in dem Gewebe in der Umgebung aus. Varzil setzte sich zurück und merkte erst jetzt, dass er schwitzte.
»Jetzt brauchen wir die Schlinge«, sagte er.
Cerriana, die ihn mit großen Augen angesehen hatte, stand auf und holte das Tuch aus dem Picknickkorb. Geschickt knotete sie es um Carolins Arm.
Nachdem Carolin erklärt hatte, dass es ihm gut genug ging, um zu reiten, beschlossen Cerriana und Valentina, ihn zum Turm zurückzubegleiten.
»Es hat keinen Sinn, wenn wir alle gehen«, sagte Eduin. »Varzil und ich können weiterpflücken.«
Nachdem Carolin sicher auf seinem schönen schwarzen Pferd saß und Valentina auf dem Maultier, brachte Cerriana die kleine Gruppe zurück zum Turm. Varzil wandte sich wieder dem Baum zu, an dem er gepflückt hatte. Er hob die Leiter hoch.
»Wenn du jetzt erwartest, wie ein Held behandelt zu werden, wirst du eine Enttäuschung erleben.« Eduin stand hinter ihm.
Varzil ließ sich nicht anmerken, wie erschrocken er war. Das Glitzern in Eduins Augen gefiel ihm nicht, ebenso wenig wie die feindseligen Worte des älteren Jungen. Sein Unbehagen gegenüber Eduin kehrte zurück.
»Ich habe nur getan, was nötig war«, sagte er leise. »Ich erwarte keine Belohnung.«
Nun wurde Eduins Ton regelrecht höhnisch. »Wenn du weißt, was gut für dich ist, wirst du dich in Zukunft von Carlo fern halten.«
»Was geht es dich an?« Die Worte waren aus Varzil herausgeplatzt, bevor er darüber nachdenken konnte. Zorn rührte sich in seinem Bauch.
Vielleicht, so erkannte er, mochte er Eduin deshalb nicht, weil er die Abneigung des anderen spürte.
Aber warum? Er stellte keine Gefahr für Eduins Position im Turm dar, und er wusste auch nichts von einer Fehde zwischen ihren Familien. Bei Zandrus Skorpionen, er wusste nicht einmal, wer Eduins Vater war! Was konnte das also schon bedeuten?
Eduin kam einen Schritt näher. Er war einen Kopf größer als Varzil und starrte nun wütend auf ihn herab. Er fletschte die Zähne und stieß Varzil mit dem Finger vor die Brust. Das wäre unter allen Umständen eine aggressive Geste gewesen, aber für Telepathen, die an körperliche Zurückhaltung gewöhnt waren, war es eine offene Beleidigung.
Varzil war vielleicht neu im Turm, aber nicht so neu, dass er das nicht wusste. Er war sich unangenehm bewusst, dass sie hier allein waren und Eduin nicht nur älter und größer, sondern auch schwerer war als er. Er war nie ein Kämpfer gewesen; falls Eduin vorhatte, diesen Streit mit Fäusten statt mit Worten auszutragen, wäre Varzils einzige Möglichkeit die Flucht. Und auch das würde das Unvermeidliche nur hinauszögern.
»Halte dich raus.« Eduin spuckte die Worte geradezu aus. »Niemand hat dich hier gewollt, aber da wir uns jetzt doch mit dir abgeben müssen, solltest du wenigstens dort bleiben, wo du hingehörst. Nämlich weit weg von mir und von Carolin Hastur.«
Varzils Gedanken kamen plötzlich zum Stillstand. Eduin sagte ihm, dass Carolin sein persönliches Eigentum war und er keine anderen Freundschaften tolerieren würde. Die beiden waren keine Geliebten – Varzil hätte das gewusst, denn die Leute im Turm waren nicht prüde; das war ihm schon am ersten Abend klar geworden, als Cerriana und Richardo zusammen weggegangen waren.
Er will mich einfach nur schikanieren.
Varzil richtete sich gerade auf und sah dem älteren Jungen in die Augen. »Ich werde mich anfreunden, mit wem ich will. Es ist Carlos Entscheidung, wer seine Freunde sind, nicht deine.«
Und was seinen, Varzils, Platz auf der Welt anging, der war im Turm von Arilinn. Aber etwas hielt ihn davor zurück, Eduin diese Worte ins Gesicht zu schleudern. Vielleicht war es die alte Gewohnheit, seine Gedanken für sich zu behalten. Oder er spürte, dass selbst dieser junge Mann über seine Worte hinaus Einfluss haben könnte.
Eduin war zweifellos ein Favorit der Lehrer und stieg rasch in den Rängen der Turmarbeiter auf. Wenn er sich so weiterentwickelte, könnte er ein gefährlicher Feind werden.
Was war ihm wichtiger? Sich nicht schikanieren zu lassen oder seinen eigenen Träumen zu folgen, zumindest hier im Turm von Arilinn zu sein?
Oder hatte er es mit einer Abneigung zu tun, die weiterwachsen würde, bis sie über alle Grenzen der Vernunft hinausging? Er hatte Geschichten über solche Fehden gehört, die Generationen dauerten.
Instinktiv tastete Varzil nach Eduins Geist. Wenn er sogar eine primitive Kommunikation mit einem Katzenmenschen erreichen konnte, wäre es vielleicht auch möglich zu überbrücken, was immer ihn von diesem jungen Mann trennte.
Varzil stieß auf eine Wand, so glatt und leer wie ein polierter Schild. Er zog sich verblüfft zurück, erstaunt darüber, wie vollständig die Barriere war. Eduins Gedanken schienen nur zu spiegeln, ein Eindringen war nicht möglich.
Poliert ... wie von Jahren der Zurückhaltung, der Geheimhaltung. Das hier galt nicht nur ihm und diesem Augenblick, erkannte Varzil. Nein, Eduin schirmte seine Gedanken gewohnheitsmäßig ab. Aber was konnte im Turm, wo Menschen sich von Geist zu Geist unterhielten, verborgen bleiben? Warum dieses verzweifelte Bedürfnis nach Abgeschiedenheit?
Und wie schrecklich einsam er sich fühlen muss! Was kann ihm zugestoßen sein, das zu solch vollkommener Abgeschlossenheit geführt hat?
Varzil war plötzlich von Mitgefühl erfüllt. Er selbst war gezwungen gewesen, den größten Teil seines jungen Lebens Dinge geheim zu halten. Ein paar frühe Fehler – wie von den Ya-Männern zu erzählen, die im Mondlicht heulten – hatten ihm gezeigt, wie gefährlich es sein konnte, sich anderen zu offenbaren. Hier im Turm hoffte er, endlich er selbst sein zu können, unter Menschen, die ihn verstanden. Wie unendlich traurig, dass Eduin, der seit vier Jahren hier war, seinen Geist immer noch abschirmen musste.
Nun gut, das alles ging ihn wirklich nichts an. Und wenn sich Eduin in Freundschaft und Vertrauen zu Carolin hingezogen fühlte, war es besser für ihn, zumindest einen einzigen Freund zu haben, als so schrecklich allein zu sein.
Schweigend machte sich Varzil wieder daran, Äpfel zu pflücken. Seine Hände und Füße bewegten sich wie von selbst; er stieg die Leitersprossen hoch und griff nach den grünen Äpfeln. Aber während er arbeitete, fraß das Gift von Eduins Abneigung weiter an ihm. Er bemerkte den süßsäuerlichen Duft der Äpfel nicht mehr. Die Farben des Tages waren trüber geworden, als läge ein Nebel über dem wolkenlosen Himmel. Er leerte die Taschen seiner Schürze wieder und wieder in die Körbe, bis vier davon voll waren. Dann ließ er das letzte Chervine für Eduin, nahm die Leinen der anderen beiden und kehrte zurück nach Arilinn.