Читать книгу Zandrus Schmiede - Marion Zimmer Bradley - Страница 6
Prolog
ОглавлениеDer Knabe kam, um seinem Vater Lebewohl zu sagen, als der Schein verglimmender Holzscheite über dem Feldsteinherd waberte. Er schauderte, dachte an die Nacht draußen und an den Reiter, der käme, um ihn abzuholen. Mit einer Geduld, die weit über die eines Zwölfjährigen hinausging, wartete er auf die Worte seines Vaters, die ihn fortschickten, vielleicht für immer.
Einen langen Augenblick bewegte sich der in zerlumpte Decken gehüllte Mann nicht. Nur die sich langsam und ungleichmäßig hebende und senkende Brust und das Funkeln in seinen Augen zeigten, dass noch Leben in ihm war. Die alte Verletzung seiner Lungen aus einer Zeit, über die er nie ein Wort verlor, hatte ihn früher schon an den Rand des Todes gebracht, und jedes Mal hatte er sich wieder erholt.
Vater, bitte stirb nicht, dachte der Knabe und fragte sich erneut, ob er deshalb fortgeschickt wurde. Nach Arilinn, so weit weg, um unter Bestien und Zauberern zu leben.
»Eduin.« Ein Wispern wie rieselnde Asche. »Mein Sohn.«
Tränen brannten in den Augen des Knaben, aber er kämpfte das Verlangen nieder, sich in die Arme des Vaters zu werfen, sein Gesicht in dem drahtigen grauen Bart zu vergraben, die eisernen Arme um sich zu spüren.
»Ich weiß nicht, ob ich dich jemals wieder sehen werde. Du bist meine letzte Hoffnung.«
»Ich werde dich nicht enttäuschen, Vater.«
Die Schultern des Mannes hoben und senkten sich unter den Deckenschichten. »Und was wirst du tun?«
»Nach Arilinn gehen. Ich werde ein ...« Das Kind stolperte über das unvertraute Wort, »... ein Laranzu. Der mächtigste Zauberer von ganz Darkover.«
»Wie dein Vater vor dir.«
Eduin nickte mit gerunzelter Stirn. Wenn sein Vater der mächtigste Laranzu der Welt gewesen war, warum lebten sie dann in dieser Abgeschiedenheit? Warum hungerten und froren sie dann im Winter und trugen Flickenkleidung? Er wusste, dass die Hasturs damit zu tun hatten. Seine Mutter hatte ihm noch zu Lebzeiten beigebracht, niemals Fragen zu stellen. Aber wenn er jetzt keine Fragen stellte, kam diese Chance vielleicht nie wieder.
Als spürte er seine Fragen, winkte der Vater den Knaben näher und zog ihn in den Schutz eines Arms. »Du bist zu jung für eine solche Bürde, und doch bist du alles, was mir geblieben ist. Deine Brüder ...« Seine Stimme verlor sich.
Sie haben versagt.
»Wer bist du?«, fragte sein Vater in verändertem Ton.
»Nun, Eduin MacEarn, auf diesen Namen hast du mich getauft, Vater.«
»Hör gut zu. Deine Mutter wusste nichts von dem, was ich dir jetzt mitteile. Sie wusste lediglich, dass ich im Krieg verwundet wurde und Frieden und Vergessen suchte. Also nahm ich ihren Namen an und begann hier ein neues Leben. Aber die Vergangenheit muss berichtigt werden.«
Eduin schauderte angesichts der Eröffnung eines großen Geheimnisses.
»Dein wahrer Name, mein Sohn, ist Eduin Deslucido, und du bist der einzige Erbe eines einst riesigen Königreichs. Dein Onkel war König Damian Deslucido, ein Mann mit einer unübertrefflichen visionären Kraft, Herrscher von Ambervale und Linn ...« Die Namen gingen ihm wie Beschwörungen von der Zunge, »... und Kinally, Verdanta und Falkenhorst und dann Acosta. Aber das ist nun alles dahin, selbst die Erinnerung an diesen großen Mann. Zerstört durch die heimtückischen Hasturs – möge ihre Strafe tausend Jahre währen! In ihrer Gier nach Macht haben sie deinen Onkel und deinen Vetter Belisar abgeschlachtet, der nach ihm König geworden wäre. Sie haben Feuer vom Himmel regnen lassen und zwei Türme in Trümmer gelegt. Sie dachten, ich wäre dabei ebenfalls umgekommen.«
»Nein, Vater, nicht du!«
»Aber Zandru war mir hold, und ich entkam. Ich gelangte hierher, nahm den Namen deiner Mutter an und wartete. Ich dachte, wenn ich wieder bei Kräften wäre, könnte ich in die Welt zurückkehren und die Hastur-Sippe zur Rechenschaft ziehen. Aber«, er deutete mit der freien Hand auf seine Brust, »dieser Körper hat zu viel erlitten.«
Der Atem rasselte in den Lungen des Greises. »Als deine Brüder erwachsen wurden, begann ich zu hoffen, dass ich sie an meiner statt ausschicken könnte. Es waren gute Jungs, liebevolle Söhne. Sie gaben ihr Bestes. Da erkannte ich, dass die Hasturs für einen gewöhnlichen Attentäter zu mächtig waren, egal wie gerecht die Sache war.«
Erneut schauderte Eduin. Er konnte sich an seine Brüder kaum erinnern, nur dass sie groß und stark gewesen waren. Wie sollte er Erfolg haben, wo sie gescheitert waren?
»In alledem liegt ein hohes Maß an Gerechtigkeit«, sagte der Greis mit einem gequälten Lächeln. »Dass du, das Kind von Rumail Deslucido, die Kinder dieser verfluchten Hexe Taniquel Hastur-Acosta vernichten wirst und alle anderen in diesem elenden Nest, die ihr halfen!«
Ein Hustenanfall unterbrach seine Rede. Der Knabe eilte zu dem Tisch auf der anderen Seite des Zimmers und holte einen verschrammten Holzbecher mit Kräuteraufguss.
»Du darfst den Hasturs nie durch Waffengewalt entgegentreten«, sagte der Greis, »das führt nur in die Katastrophe. Kultiviere stattdessen dein Talent. Verdiene dir deinen Platz in den Türmen. Beobachte und lerne. Warte ab. Der richtige Zeitpunkt wird kommen. Du wirst dort Hasturs treffen, davon bin ich überzeugt. Das Laran ist weit verbreitet in dieser Familie, genau wie in unserer. Freunde dich mit ihnen an, erwirb ihr Vertrauen, verschaff dir Zutritt zu ihren Häusern. Aber fürchte nie ihre Kraft. Du hast eine Gabe, die weit mehr wiegt als die ihre. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werde ich dir beibringen, wie man sie einsetzt.«
Der Greis hielt inne, aber der Knabe wusste, dass noch mehr folgen würde. »Verrate dich nicht, indem du gegen geringere Angehörige dieses Hauses ziehst. Heb dir deine Bemühungen für deine wahren Ziele auf – die Schuldigen und ihre Nachkommen. Die Geister von Damian Deslucido, Prinz Belisar und all derer, die für ihre ruhmreiche Sache starben, zählen auf dich. Ich zähle auf dich!«
Hufgetrappel erklang draußen auf dem Hof. Der Knabe blickte kurz zu dem gefalteten Mantel, der auf dem Bündel neben der Tür lag. Er schlang die Arme um den Vater und wisperte erneut – vielleicht zum letzten Mal:
»Ich werde dich nicht enttäuschen, Vater. Ich enttäusche dich nicht!«