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Varzil blieb unter den Bögen stehen, die zum Hauptraum des Turms führten. Es war kaum zu glauben, dass er wirklich hier bleiben sollte. Noch im Luftwagen während des Fluges nach Arilinn war er auf eine Enttäuschung in letzter Minute gefasst gewesen. Vielleicht würde der Bewahrer bei seiner ersten Weigerung bleiben, oder sein Vater würde ihn unter einem Vorwand wieder zurückholen. Aber nichts von dem, was er befürchtete, geschah. Der Bewahrer erklärte nicht, wieso er seine Ansicht geändert hatte, sondern erklärte nur, dass er Varzil einen Platz unter den Novizen geben würde. Verblüfft über diese vollkommen unerwartete Wendung, die sich so schnell ereignet hatte, stellte Varzil keine Fragen. Es genügte, hier zu sein, hierher zu gehören.

Wandbehänge und Mosaiken am Boden schimmerten in Edelsteinfarben. Ein Feuer tanzte und warf sein freundliches orangefarbenes Licht auf die Gesichter der Personen, die auf Stühlen und gepolsterten Bänken um die Feuerstelle saßen. Varzil war nicht klar gewesen, wie viele Personen in Arilinn lebten und arbeiteten.

Eine junge Frau mit Haar von solch intensivem Rot, dass es mit dem Leuchten der Flamme konkurrierte, zupfte eine der kleinen Harfen, die als Rryl bekannt waren. Varzil kannte die Frau nicht, aber man hatte ihn dem Mann vorgestellt, der sie auf der Schoßtrommel begleitete – Fidelis, der ihn an jenem ersten Morgen in den Turm gebracht hatte und der ihn nun das Überwachen lehren würde. Die Frau in mittleren Jahren, die eine Ballade in einem obskuren Dialekt von Chuenga sang, war Lunilla, Hausmutter und Matrixmechanikerin. Er war ihr und mehreren anderen bei seinem ersten Besuch hier begegnet und konnte sich immer noch daran erinnern, dass sie ihn herumgescheucht hatte wie seine Tante Ysabet.

In diesem Augenblick wusste er, dass sie ihn bemerkt hatte, obwohl sie mit der nächsten Strophe weitermachte. Sie und jeder andere im Raum. Das Gefühl, in einem fremden Land gestrandet zu sein, wurde intensiver. Es war mehr als das Feuerlicht, das diese Menschen aneinander band. Etwas in der Luft ... ein Kribbeln an seinen Nerven.

Varzil? Fidelis drehte sich um und sah ihn direkt an, ein Lächeln in den Augen. Er war im selben Alter wie Dom Felix, und in seinem weißen Haar war nur noch eine Spur von Rotbraun geblieben.

Varzil fragte sich unbehaglich, ob er laut antworten sollte.

Schon gut. Ich wollte nur sehen, ob du mich hören kannst. Wir lesen nicht die Gedanken von anderen, ohne dass sie es uns erlauben. Aber selbst Durramans Esel, blind wie die Hügel und doppelt so taub, hätte bemerkt, wie unbehaglich dir zu Mute war, als du dort allein standst. Komm her und setz dich zu uns.

Varzil reckte das Kinn und ging in den Raum hinein. Er war zu schüchtern, um mitzusingen, denn seine Singstimme, die nie gut gewesen war, würde nun vermutlich klingen wie das Quaken des Froschs in Fra’ Domenics berüchtigten Taschen. Er zögerte auch, sich den Gesprächen anzuschließen; das würde er erst tun, wenn er ein wenig mehr über die Einflüsse hier wusste und darüber, wer sich gegen seine Aufnahme ausgesprochen und wer sich auf seine Seite gestellt hatte. Dann entdeckte er Carlo und den anderen jungen Mann vom Balkon, die ein Brettspiel spielten. Carlos Größe und das feuerrote Haar waren leicht wieder zu erkennen.

Carlo winkte ihn heran. »Spielst du ›Burgen‹? Wir brauchen einen frischen Herausforderer.«

Varzil nickte. »Ja, ich habe immer mit meinem Großvater gespielt. Aber ich will euch nicht unterbrechen.«

»Ach, dieses Spiel hier ist ohnehin festgefahren.« Carlo zeigte auf die Spielsteine auf dem Feld. »Wir haben es bis zur Erschöpfung getrieben, wie in einem schlechten Krieg. Jetzt bleibt uns nichts weiter, als aufeinander einzuschlagen bis zum bitteren Ende. Das macht keinen Spaß.«

»Aber das ist der Sinn des ganzen Spiels«, erklärte der andere Junge. »Bis zum Sieg durchzuhalten.«

Jetzt, da er den anderen aus der Nähe sah, war Varzil verblüfft darüber, wie ernst, beinahe grimmig er dreinschaute. Anders als bei den meisten im Turm war sein Haar eher braun als rot, die geschwungenen Brauen dunkel vor blasser, makelloser Haut. Sein Gesicht war schmal, die dunkelblauen Augen kühl, der Mund dünnlippig über einem spitzen Kinn. Dennoch hatte er nichts Zartes an sich, eher so etwas wie stählerne Kraft.

»Ich dachte eigentlich«, sagte Carlo trocken, »dass der Sinn des Spiels in geistiger Übung liegt. Nicht zu reden davon, die langen Winternächte auf halbwegs amüsante Weise herumzubringen. Beharrlichkeit hat nichts damit zu tun.«

Beharrlichkeit – genau das Wort, das Varzil in den Kopf gekommen war, als er sich an jenem ersten kühlen Morgen innerlich auf das lange Warten vor dem Tor vorbereitet hatte.

»Ich denke, es hat beinahe ausschließlich mit Beharrlichkeit zu tun«, sagte er und verblüffte damit die anderen eindeutig. »Manchmal ist das Spielfeld sehr ordentlich und voller Möglichkeiten. Aber manchmal«, er kopierte Carlos Geste, die das gesamte Spielbrett mit seiner Sammlung von farblosen Figuren umfasste, »ist es so wie hier, und man muss es einfach weiter versuchen. Das ist die wirkliche Herausforderung, oder? Etwas Bedeutungsvolles zu schaffen, wenn alles verloren scheint.«

Eduin schaute ihn überrascht an, aber Carlo lachte. »Du erinnerst mich an meinen Reitlehrer, der behauptete, die wahre Prüfung eines Reiters bestünde nicht darin zu sehen, was er auf einem feurigen Pferd erreichen kann; denn auf einem Tier, das tänzelt und begierig ist zu laufen, sieht jeder Dummkopf gut aus. Aber einen abgearbeiteten Ackergaul mit einem Maul wie Sattelleder zum Leben zu erwecken, das erfordert wirkliches Talent.«

»Er verspottet uns, Carlo« sagte Eduin mit einem Blick zu Varzil.

»Du hast ja wohl kaum Grund, dich darüber aufzuregen«, erwiderte Carlo gut gelaunt. »Immerhin steht er auf deiner Seite.«

Varzil wusste nicht, was er getan hatte, um Eduin zu provozieren, aber es war klar, dass der dunkelhaarige Junge ihn nicht leiden konnte. Unter anderen Umständen hätte er sich entschuldigt, aber er spürte, dass das Eduin nicht zufrieden stellen würde. Also zog er einfach den dritten Hocker ein Stück vom Tisch weg, setzte sich und murmelte: »Bitte macht weiter.«

Eduin wandte sich ab, aber bevor Carlo etwas dazu sagen konnte, stand ein älterer Mann im grünen Amtsgewand auf. Allgemeine Unruhe entstand, als die meisten anderen ihre Bücher und Musikinstrumente weglegten. Eine Frau steckte ihre Näharbeit in einen Korb und stand auf.

»Damit ist es entschieden«, erklärte Eduin in dem offensichtlichen Versuch, bessere Laune an den Tag zu legen. »Ihr beiden könnt die ganze Nacht aufeinander eindreschen.« Wir anderen haben zu arbeiten.

Carlo zuckte die Achseln und wandte sich wieder dem Spielbrett zu. In ein paar Minuten waren nur das rothaarige Mädchen, ein zweites Mädchen mit rötlich blonden Locken, die mit einem Band zurückgebunden waren, und die beiden jungen Männer im Zimmer verblieben.

Das rothaarige Mädchen begann, mit leiser, süßer Stimme eine Ballade zu singen. Varzil konnte die Worte nicht alle verstehen, aber er kannte die Melodie. Das Lied erzählte die Geschichte des Untergangs von Neskaya und Tramontana, wie die Leronyn in dem einen Turm gezwungen worden waren, mentale Blitze auf ihre Verwandten im anderen Turm niederregnen zu lassen. Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Pflichtbewusstsein, hatten zwei Schwurbrüder sich entschieden, sich lieber zu opfern, als eine solche Gräueltat zu begehen. Es war eine mitreißende Melodie, eine, die das Blut rauschen ließ und bewirkte, dass man mit den Zehen im Rhythmus auf den Boden tippte. Carlo summte mit und wiegte sich unbefangen hin und her. Schließlich kam der letzte Refrain zum Ende, und die Mädchen gingen auf ihre Zimmer.

Nachdem sie weg waren, hätte Varzil nicht sagen können, welcher Teil des Liedes ihn so berührt hatte. Er hatte es im Lauf der Jahre in verschiedenen Versionen gehört. Es war nicht der Gesang des Mädchens gewesen, der zwar angenehm, aber nicht wirklich etwas Besonderes gewesen war. Er wusste nur, dass der junge Mann neben ihm das Gleiche empfand. Vielleicht, sagte er sich, liegt es daran, hier in Arilinn zu sein, einem Ort, der den Türmen im Lied ganz ähnlich ist, unter Menschen, die ganz ähnlich sind wie diese Helden, und zu wissen, dass man zu ihnen gehörte. Würde er sie eines Tages auch so leidenschaftlich lieben? Auster und Fidelis, sogar Lunilla achtete und bewunderte er bereits. Mit der Zeit würde er sicher auch so für Carlo empfinden, aber Eduin? Varzil holte tief Luft und seufzte. »Ich habe mir anscheinend schon einen Feind gemacht«, sagte er. »Und ich weiß nicht mal, warum.«

»Sprichst du von Eduin? Ich bin froh, dass du mich nicht für deinen Feind hältst«, sagte Carlo mit liebenswertem Lächeln. »Mach dir seinetwegen keine Gedanken. Er ist schon in Ordnung, wenn man ihn erst kennt. Ich denke, er ist ein wenig ernst. Er ist erst seit vier Jahren hier und wird bereits für die höheren Ebenen ausgebildet. Er hat das Recht, sich uns, die wir noch nicht in den Kreisen arbeiten müssen, ein wenig überlegen zu fühlen.«

»Arbeitest du dort nicht?«

»Oh, manchmal schon, wenn die Arbeit technisch nicht zu herausfordernd ist. Ich tue, was sie mir erlauben, aber alle wissen, dass ich nicht hier bleiben werde. Ich denke, man könnte sagen, dass ich zu einem vorübergehenden Aufenthalt hier bin und für den Thron ausgebildet werde, nicht für den Turm.«

»Für den ... wer bist du, Carlo?«

Carlo senkte den Kopf und wirkte zum ersten Mal schüchtern. »Ich dachte, du wüsstest es.« Er sah Varzil aus Augen voller grauem Licht an. »Ich bin Carolin Hastur.«

Carolin Hastur. Hastur von Hastur, Neffe und Erbe von König Felix. Der Tod von Rafael II. hatte Carolin zum künftigen Herrscher des mächtigsten Zweigs des Hastur-Königreichs gemacht.

Seit dem Frieden von Allart Hastur, der dem langen blutigen Konflikt zwischen Ridenow und Hastur ein Ende gemacht hatte, waren zweihundert Jahre vergangen. Dennoch gab es immer noch Krieg in den Hundert Königreichen, in Form eines Dutzends kleinerer Konflikte. Hastur und Ridenow standen dabei nicht auf entgegengesetzten Seiten – noch nicht.

Einem Impuls folgend streckte Varzil die Hand aus und legte seine Finger zwischen Carolins locker gefaltete Hände. Es war nicht ganz eine Geste der Lehenstreue und wäre als solche auch unangemessen gewesen.

Was immer auch geschieht, wir beide werden Brüder sein.

Wir müssen einfach, spürte er Carolins Gedanken. Dann sagte Carlo laut: »Ich weiß nicht, warum, aber du gehörst hier in diesen Turm, wie ich in die Welt hinaus gehöre, und ich weiß auch, dass wir um unserer Welt willen eine Brücke zwischen den beiden schaffen müssen.«

Wie die Bredin in diesem Lied. Verlegen über seine idealistischen Gefühle zog Varzil die Hand zurück. Ohne den körperlichen Kontakt brach auch die geistige Verbindung ab. Aber etwas blieb, als hätten sie tatsächlich in diesem kurzen Augenblick einen Schwur geleistet.

Alle in Arilinn arbeiteten, nicht nur an ihren Studien und der Disziplin des Laran, sondern sie arbeiteten auch körperlich an der Erhaltung des Turms. Lunilla war eine hervorragende Organisatorin, und so wurde Varzil schon bald nach seiner Ankunft zum Töpfeschrubben, Bodenfegen und Zwiebelschälen eingeteilt. Er half, die Bettwäsche zum Waschen in die Stadt zu schaffen und viele andere Dinge zu erledigen.

»Die Kyrri sind auf ihre Weise nützlich«, erklärte Lunilla, um Proteste vorwegzunehmen, die sie schon hundertmal gehört hatte, »aber sie denken nicht so wie Menschen. Wir haben gelernt, dass es besser ist, sie nicht in die Nähe eines schmutzigen Tellers oder eines Korbs mit Äpfeln zu lassen.«

An einem frostigen Morgen, etwa einen Monat nachdem er in Arilinn eingetroffen war, machte sich Varzil mit Carolin, Eduin, Cerriana und der jungen Valentina, dem Mädchen mit den Locken, auf den Weg zum Apfelpflücken. Ein dankbarer Kaufmann, dessen Frau und Sohn die Überwacher des Turms bei der Geburt des Kleinen gerettet hatten, hatte dem Turm die Ernte eines kleinen Obstgartens gestiftet, dessen säuerliche grüne Früchte hervorragend für Pasteten und Kompott geeignet waren.

Sie bildeten eine feierliche Karawane mit Carolin auf seinem schönen Pferd, Eduin auf einem Maultier und den anderen auf mit Körben beladenen Chervines. Varzil saß wegen der riesigen Weidenkörbe in einer Art Schneidersitz auf dem Rücken des Tiers, was seinem Hinterteil jede Menge blaue Flecken einbrachte.

Als die jungen Leute den Obstgarten erreichten, hatte die Sonne den Frost weggeschmolzen, nur im Schatten gab es noch ein wenig Reif. Der Garten befand sich an den unteren Hängen des westlichen Zwillingsgipfels. Varzil sah, dass viele Bäume alt und von Jahrzehnten der Vernachlässigung verkrüppelt waren. Irgendwann hatte jemand mit mehr Begeisterung als Kenntnissen versucht, sie zu beschneiden. Schwer verknotete Äste reckten sich ungleichmäßig nach allen Seiten und gaben den Bäumen das Aussehen von betrunkenen Tänzern bei einem Mittsommertanz. Die Äste bogen sich unter den glänzenden grünen Äpfeln.

Die jungen Leute pflockten Pferd und Maultier an und ließen die Chervines grasen. Eduin und Cerriana, die schon in den vergangenen Jahren in diesem Obstgarten gearbeitet hatten, holten Holzleitern und Schürzen aus einem kleinen Schuppen. Mit der gewaltigen Segeltuchschürze sah Valentina aus wie eine Puppe, die von einem Seemann angekleidet worden war.

Cerriana hatte nichts für Höhen übrig, also kümmerten sie und Valentina sich um die tief hängenden Äste, die vom Boden aus zu erreichen waren. Eduin und Carolin machten sich an den größten Baum am Ende der Reihe. Innerhalb von ein paar Minuten waren sie von der Leiter in die verkrümmten Äste geklettert.

Varzil legte die Leiter auf seine übliche sorgfältige Weise an und betrachtete die Äste. Apfelholz war nicht biegsam wie das von Weiden. So schwer wie diese Äste beladen waren, konnten sie bei einem rauen Wind leicht brechen. Als er hinaufstieg, knarrte der Baum unter seinem Gewicht.

Er begann zu pflücken und ließ die Äpfel in die Taschen seiner Schürze fallen. Der Duft des Obstes stieg ihm in die Nase, süß von trägen Sommernachmittagen. Er biss in einen Apfel. Die Schale war fest, das Fruchtfleisch frisch, der Saft schmeckte säuerlich und gleichzeitig honigsüß.

Valentina, die Jüngste, begann mit ihrer reizenden Kinderstimme ein Lied, und Cerriana sang mit. Eduin hatte eine überraschend gute Tenorstimme, ebenso wie Carolin. Varzil, der selbst nicht gut singen konnte, gab sich damit zufrieden, einfach zuzuhören. Er konzentrierte sich auf die Äpfel und darauf einzuschätzen, wie viel Gewicht ein Ast tragen konnte.

Krach! Krach!, erklang es von der anderen Seite des Obstgartens.

Dann folgte ein dumpfer Aufprall.

Varzil griff nach dem nächsten Ast, als die Leiter unter ihm wegrutschte. Er schlang die Beine um den Ast, und der Baum schwankte heftig unter seinem Gewicht.

»Carlo!«, schrie Cerriana.

Varzil, der sich immer noch an den Ast klammerte, konnte nicht genau sehen, was geschehen war. Cerriana und Valentina eilten zu dem anderen Baum. Varzil rutschte nach unten, bis er mit den Füßen den untersten Ast erreichte, und ließ sich von dort fallen. Wie durch ein Wunder gelang es ihm, sicher zu landen.

Nun konnte er den Baum, an dem Eduin und Carolin gepflückt hatten, gut erkennen. Eduin stand wieder oben auf seiner eigenen Leiter. Sein schmales Gesicht war entschlossen und bleich; in den blauen Augen stand ein undurchschaubarer Ausdruck. Ein massiver Ast war abgebrochen und heruntergefallen.

Carolin lag reglos unter dem dicksten Teil des Astes.

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