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#1 Schreiben

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Wie zu Beginn des Kapitels schon erwähnt, birgt das Schreiben eine enorme transformative Kraft in sich. In diesem Sog solltest du nicht versuchen, dich von anderen Dingen zu überzeugen, dich ändern oder manipulieren zu wollen. Du würdest es mitkriegen und noch gefährlicher werden. Stattdessen setzt du dich hin und hörst dir selbst zu. Statt aber nur zuzuhören, nimmst du tiefen Kontakt zu deinen Gedanken und Gefühlen auf. Vor allem zu den Gefühlen, denn sie sind es, die die Fäden deiner Gedanken in den Händen halten. Du wirst dich nicht auf die Suche nach Antworten oder Lösungen für dein Problem machen. Denn in diesem Zustand hast im Grunde du nicht das Problem, sondern alle anderen haben bzw. sind das Problem. Außerdem geht es nicht darum, deinen Zustand zu verurteilen. Wie bereits erklärt, hat diese Verurteilung erst dazu geführt, dass einige Emotionen unterdrückt wurden, sich dann angestaut haben und nun unentwegt im Hintergrund brodeln, wie ein Vulkan, der die ganze Zeit aktiv ist und nur darauf wartet, auszubrechen. Jetzt ist er also ausgebrochen und du sitzt und schreibst auf, was dir durch den Kopf geht und wie es sich anfühlt. Tauche immer wieder ab in das Gefühl, welches du gerade erlebst und sieh, welche Gedanken dieses Gefühl mit sich bringt. Du wirst merken, dass die Gedanken zu immer größeren Gefühlen führen und diese immer dunklere Gedanken hervorrufen. Es wird sich schmerzhaft anfühlen, aber irgendwie auch befriedigend, denn du hast nun endlich die Zeit und den Raum, dir so richtig Luft zu machen. Außerdem mag der Teil in dir diesen Zustand und umso schöner ist es auch, wenn ihm nun eine Bühne aufgebaut wird.

Schreibe unaufhörlich. Denk nicht darüber nach, was du schreibst. Selbst, wenn du dich hundertmal wiederholst und Satz für Satz schreibst: »Ich hasse die Welt! Ich hasse die Welt!« Du wirst sehen, dass selbst nach einigen Wiederholungen des gleichen Satzes neue Sätze, neue Gedanken und neue Emotionen dazukommen. Du wirst auch sehen, dass es sich bewegt. Eins führt zum Nächsten und der Fluss kommt langsam ins Fließen. Wenn du ganz bei dir bist, ganz mit dem verbunden bist, was in dir geschieht, dann wirst du Zeit und Raum vergessen. Das ist Hingabe. Da ist kein Widerstand mehr da. Du bist völlig dabei, zu akzeptieren, was ist, jedes Gefühl und jeden Gedanken anzunehmen, so wie er oder es kommt und sämtliche Urteile und Wertungen loszulassen. Für diesen Moment existiert nur, was du fühlst, denkst und aufschreibst.

Das kann, je nach Intensität, mehrere Minuten, ja sogar ein, zwei Stunden dauern. Irgendwann spürst du, dass du dir genug Luft gemacht hast. Du wirst dich jetzt nicht wesentlich besser fühlen. Du wirst deine Meinung garantiert nicht geändert haben und immer noch darauf aus sein, recht zu haben. Und das ist vollkommen okay. Aber: Du hast dir nun endlich zugehört. Und nicht nur das. Du hast es dir notiert. Du hast es aufgeschrieben. Und das ist äußerst wichtig, denn es zeigt deinem Wolf, dass du ihn ernst nimmst und dass das alles kein Bullshit ist, was er da sagt. Du nimmst seine Gefühle und Gedanken ernst. Du sagst nicht Ja oder Nein dazu. Du gibst weder Recht noch Unrecht. Aber du hörst zu. Einfach nur zuhören. An einem Punkt wird dann für einen kurzen Moment Ruhe einkehren. Der Moment, an dem alles gesagt wurde. Es braucht ein wenig, bis dieser Moment kommt. Gern wiederholen wir uns stets und ständig. Wir haben ein Thema angerissen und zu Ende erklärt, nur um dann wieder von vorn damit zu beginnen und uns wieder hineinzusteigern. Lass das ruhig zu, so lange, wie es eben dauert. Und lass es sich von selbst beruhigen.

Eine weitere tolle Eigenschaft des Schreibens ist, dass du es von innen nach außen holst. Du machst es dir sichtbar. Oft haben wir nur Wortund Gefühlsfetzen, fangen innerlich einen Satz nur an, switchen dann zum Gefühl, bewegen uns wieder zum Satz und das immer hin und her. Nichts davon wird wirklich zu Ende gesprochen. Emotionen blockieren unser Sprachzentrum, unseren rationalen Verstand, und wir bringen nur bruchstückhafte Signale hervor. Die Gehirnhälften arbeiten nicht mehr synchron, das gesamte Gehirn ist im Chaos, denn verschiedene Teile der Informationsverarbeitung werden wahllos, unabhängig und in ungeordneter Reihenfolge aktiviert. Der Körper, in dem wir die Emotionen fühlen, und der Geist, in welchem wir denken, interpretieren und analysieren, arbeiten nicht mehr zusammen. Das lässt schnell ein Gefühl von innerer Zerrissenheit, Zwiespalt, Unruhe und Stress entstehen. Genau der Zustand, in dem wir uns nun befinden. Durch das Schreiben aber bringen wir den Geist dazu, auf den Körper zu hören, und den Körper dazu, dem Geist deutliche Signale zu senden, die dieser dann wiederum in Sprache und Wörter übersetzt. Der Körper kennt nur Gefühle, aber keine Worte. Der Kopf kennt nur Worte, aber keine Gefühle. Der Kopf muss nun also die Gefühle beschreiben, was ihn zu einer Zusammenarbeit zwingt.

Sobald du also anfängst, nicht nur die finsteren Gedanken so wahllos aufzuschreiben, wie sie dir kommen, sondern du auch deine Gefühle betrachtest und dabei versuchst in Worte zu fassen, wie es dir gerade geht, bringst du Licht ins Dunkel. Das Dunkel sind die Gefühle, denn sie liegen oft im Verborgenen. Wir sind Meister geworden im Verdrängen. Und die Gefühle sind Meister darin geworden, uns düstere Gedanken zu liefern. Meist hängen wir dann nur in den Wolken unserer Gedanken fest und schauen vom Körper weg, weil wir ahnen, dass es dort weh tut. Dann denken wir lieber das Programm weiter, anstatt auf den Grund, auf die Gefühle zu schauen.

Durch das Schreiben hast du nun also vielerlei Vorteile:

1 Der böse Wolf wird endlich ernst genommen und du machst dir dadurch Luft, wodurch du dich etwas von deinem Zustand lösen und Raum zum Durchatmen finden kannst.

2 Du bringst Fühlen und Denken in Einklang und stellst eine innere Verbindung aus Körper und Geist her, die das innere Gefühl der Zerrissenheit aufheben kann und dir wieder etwas Frieden und Ruhe schenkt.

3 Du kehrst nach außen, was in dir ist und machst dir ersichtlich, was überhaupt in dir vorgeht. Du wirst dir deiner Selbst bewusster und bringst Verborgenes zum Vorschein.

Der dritte Punkt ist zusätzlich transformierend. Denn nun sehen wir, was wir bisher automatisch, unkontrolliert und vor allem unbewusst gedacht und gefühlt haben. Wir machen es uns bewusst.

Wo Licht ist, kann es keine Dunkelheit geben. Alles, worauf unser Bewusstsein fällt, verändert sich.

Durch unser Bewusstsein tappen wir nicht mehr im Dunkeln. Der erste Schritt zu jeder Veränderung ist, »sich bewusst darüber zu werden, was überhaupt vor sich geht«. Erst, wenn du es auch siehst, kannst du damit etwas anstellen. Stell dir vor, du hast einen Stein in der Hand und weißt es nicht. Jedes Mal, wenn du etwas greifen willst, geht es nicht, weil du die Hand nicht öffnen kannst. Ständig wirfst du deswegen alles um und du fragst dich, was im Leben nur so unfair zu dir ist, dass dir immer alles kaputt geht. Wenn du aber erkennst, dass du den Stein festhältst und dir dessen bewusst wirst, hast du nun Optionen, die du vorher nicht hattest. Du kannst den Stein weiter festhalten, du kannst die Hand öffnen und warten, dass er runterfällt oder du kannst ihn wegwerfen. Es geht nicht so sehr darum, was du mit dem Stein machst, sondern darum, dass du überhaupt erst eine Entscheidungsmöglichkeit hast, wenn du dir dessen bewusst wirst.

Das Schreiben ist eine grandiose Art, sich dieser Steine bewusst zu werden. Dieses Bewusstsein ist der Teil in dir, der nicht mit diesem Zustand des Sogs, mit dem bösen Wolf, verbunden ist. Er ist auch nicht mit dem guten Wolf verbunden. Er ist der Hüter beider Wölfe und kümmert sich um beide. Es ist die Vogelperspektive, der Abstand, der offene Raum, der wertfreie Raum, die reine Präsenz, dein Gewahrsein, dein Wahrnehmen, dein »Sein-mit-dem-was-Ist«. Es ist ein Teil in dir, der kein Ich hat, keine Story, keine Vergangenheit, keine Zukunft. Er kommt nirgendwoher und geht nirgendwohin. Dieser Teil in dir lebt nur im Jetzt und das für alle Zeit. Jedes Mal wenn du deine volle Aufmerksamkeit in den aktuellen Augenblick bringst, mit allem, was du vorfindest, und dich gegen nichts mehr wehrst, deine Urteile und Wertungen hinter dir lässt und mit dem bist, was ist, dann öffnest du diese Tür in dir, durch die dein Bewusstsein treten kann und alles verändert.

Vielleicht ist diese Veränderung am Anfang nicht sonderlich spürbar. Aber wenn du genau darauf achtest, wirst du feststellen, dass sich etwas in dir entspannt, sich lockert oder löst. Und sei es nur ein kleiner Hauch an Raum, der um das Gefühl und deine Lage herum entsteht. Dieser Raum wird mit dieser und anderen Übungen, die ich dir in diesem Buch noch vorstellen möchte, immer deutlicher spürbar. So spürbar, dass du irgendwann mehr Interesse an diesem Raum haben wirst, als an dem, was sich in diesem Raum befindet. Warten wir’s ab!

Dein Weg entsteht erst, wenn du bereit bist, ihn zu gehen. Kein anderer kann diesen Weg für dich öffnen und für dich gehen. Du selbst musst es wollen. Es ist dein Weg! Entschließe dich, und die Sache ist getan.

Der Schattenwolf in dir

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