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#2 Das Wut-und-Frust-Tagebuch

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Eine weitere Möglichkeit, durch das Schreiben mehr über dich zu erfahren, ist es, in einen Dialog mit deiner Wut oder deinem Frust zu gehen. Beides sind sehr interessante Emotionen, denn sie sind deutlich auf das, was im Außen geschieht, gerichtet, beschweren sich und schimpfen darüber und wollen verändern und anders haben, was nicht veränderbar ist. Sie sind der Deckel auf dem Topf tiefer liegender Gefühle. Sie sind der Sturmtrupp deiner Innenwelt. Wenn du auf der Ebene der Wut und des Frustes bist, bist du mit dem beschäftigt, was um dich herum passiert und geschehen ist: die Situation, die Menschen, das, was dir angetan wurde oder das, was eben nicht geschehen ist. Deine Aufmerksamkeit liegt voll im Außen und auf der Auseinandersetzung mit deiner schmerzlichen Vergangenheit und der vermeintlich verpassten Zukunft.

Wut ist eine Emotion, die sagt: »So nicht!« Sie zeigt dir auf, was dir gegen den Strich geht und überhaupt nicht in deinem Interesse ist. Sie ist ein strikter Grenzenzieher und sagt: »Bis hierhin und nicht weiter!«. Wenn die Dinge gegen unseren Willen laufen, werden wir wütend, weil wir nicht das bekommen, was wir wollen, und Dinge mit uns geschehen lassen, die wir nicht mit uns geschehen lassen wollen. Wut ist eine tolle Emotion, denn sie zeigt uns, was wir nicht wollen. Doch das macht es ein bisschen schwer, mit ihr zu arbeiten. Denn durch Wut sehen wir nur, was uns stört. Dabei geht es uns aber gar nicht um das Problem, sondern um die Lösung. Klar haben wir den Feind im Außen entlarvt und unsere Wut soll ihn verbellen, doch im Grunde fehlt uns etwas in dieser Situation. Zu erkennen, was uns da fehlt, ist es, wofür die Wut dienlich sein kann.

Wir sind meist damit beschäftigt, nur auf das Problem zu achten. Wir stehen vor der Mauer und regen uns über sie auf, statt die Tür zu suchen. Wir sagen zum Beispiel, wir möchten nicht mehr so arm sein, statt zu sagen, dass wir reich sein wollen. So sagt uns die Wut, dass das, was da gerade passiert, nicht gut ist. Aber warum? Durch den Dialog und der Frage nach dem Warum, können wir tiefer in uns vordringen und das hinter der Wut befindliche Problem sehen, welches die Wut beschützen will. Denn unter der Wut liegt unsere Verletzlichkeit, liegt unser Schmerz. Wut ist wie eine Hündin, die ihre Welpen beschützt. Die Welpen können sich nicht zur Wehr setzen. Deine Traurigkeit kann nichts bewirken, deine Niedergeschlagenheit auch nicht und auch nicht deine Einsamkeit. Nur deine Wut hofft, durch ihre Stärke etwas im Außen bewirken zu können und gleichzeitig deine Gefühle zu beschützen. Um diese Gefühle, die hinter der Wut liegen, geht es.

Beim Frust ist es ähnlich wie mit der Wut. Frust steigt in uns auf, wenn unsere Taten nicht die erzielte Wirkung erzeugen und wir mit dem scheitern, was wir tun. Unser Output stellt sich nicht auf die gewünschte Art und Weise ein. Wir bemühen uns und versagen. Etwas läuft schief oder etwas funktioniert nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Und dabei haben wir doch unser Bestes gegeben. Merken wir, dass unsere Taten nichts bringen und sich das Ergebnis womöglich noch in eine gänzlich andere Richtung bewegt, als wir eigentlich damit bezwecken wollten, dann steigt unglaublicher Frust in uns auf und das meist gepaart mit der Wut. Durch dieses Scheitern werden wir auch mit sehr schweren, tiefen Gefühlen, wie zum Bespiel Verzweiflung, Minderwertigkeit und Machtlosigkeit, konfrontiert, die wir sehr lange schon mit uns rumtragen und deshalb schon sehr oft und weit unter den Teppich gekehrt haben. So weit, dass wir gar nicht mehr wissen, was sich alles unter diesem Teppich befindet. Doch je mehr wir unter den Teppich kehren, desto unbequemer können wir über ihn laufen. Jedes Mal stoßen wir an eine Beule und werden an den alten Schmerz erinnert. Wir wissen inzwischen nicht mehr, warum und was die Ursache ist, aber wir kennen den Auslöser ganz genau. Denn der Auslöser steht gerade direkt vor uns. Und deshalb regen uns banale Dinge und Mitmenschen so sehr auf, dass wir schnell in den Sog geraten. Wir haben dann etwas gegen den Banknachbarn, den Autofahrer vor uns und den Menschen, mit dem wir unser Bett teilen. Sie alle können unseren alten Schmerz auslösen. Und sind wir nicht bereit, unter unseren Teppich zu schauen, dann geraten all diese Leute in unser Fadenkreuz. Doch dabei ändert sich nichts. Einzig und allein versuchen wir, diese Leute und die Umstände um uns herum zu ändern, damit wir eben nicht unter diesen Teppich schauen und unseren Schmerz fühlen müssen.

Wenn eine Situation in dir gewaltige und unaufhaltbare Emotionen der Wut und des Frustes auslöst, dann kannst du davon ausgehen, dass deine Wut nichts mit der Situation selbst, sondern mit deinen unterdrückten Gefühlen zu tun hat, die du schon viele, viele Jahre mit dir herumschleppst und nie bereit warst, sie anzuschauen und abzulegen.

Du kannst entscheiden, ob du dich dieser Wut hingibst, indem du zu dieser Wut wirst und dein Umfeld niederbrennst, oder ob du die Wut nutzen möchtest, mehr über dich zu erfahren. Solltest du mehr erfahren wollen, dann ist der schriftliche Dialog mit deiner Wut ein gutes Hilfsmittel.

Genau wie beim »normalen« Schreiben zuvor, bist du ohne Wertung, ohne Urteil, ohne Kategorien, wie gut oder schlecht. Du verfolgst keine Absicht und willst nichts. Das heißt, du willst nicht irgendetwas bezwecken, irgendein Ergebnis haben oder irgendetwas verändern. Lass deine Wut wütend sein und stelle ihr einfach nur Fragen oder spiegle, was du erfährst. So kannst du deine Wut fragen, warum sie wütend ist. Frag sie, wie es dazu gekommen ist, dass sie wütend wurde. Und frag sie bspw. auch, ob sie das schon öfter erlebt hat, wann und warum. Lass deine Wut sich auskotzen. Wenn dir keine Fragen einfallen, um deine Wut am Reden zu halten, dann spiegle, was sie gesagt hat. Spiegeln heißt, du wiederholst das Gesagte entweder mit gleichen oder ähnlichen Worten. Achte dabei aber darauf, nicht zu interpretieren!

So sagt die Wut vielleicht: »Ich hasse meinen Mann. Wie kann er nur so etwas tun. Was fällt ihm ein?«

Und du kannst fragen: »Was hat denn dein Mann getan?«

Oder du spiegelst und sagst: »Du hasst also deinen Mann?«

Sagt deine Wut: »Ich hasse diese d umme Kuh!«

Kannst du fragen: »Warum ist sie eine d umme Kuh?«

Warte einfach ab, was passiert. Deine Wut braucht meist nur kleine Anstupser, um weiterzulaufen. Lass interpretierende Aussagen, wie »Ich denke, du bist wütend, weil …« oder »Vermutlich ist sie so doof, weil …« sein. Deine Aufgabe ist es nicht, deiner Wut zu helfen, dich auf ihre Seite zu schlagen oder gegen sie zu stellen. Du brauchst weder Ratschläge noch Tipps oder Lösungen suchen. Lass die Wut sich aufregen und höre gespannt zu. Je mehr die Wut sich auslässt, desto mehr kommt hervor, warum sie eigentlich wütend ist. Hier wird langsam das darunter liegende Gefühl deutlich, die Welpen, die die Wuthundemama verteidigt und beschützt.

So kann es sein, dass auf die Frage, warum sie eine dumme Kuh sei, die An twort ist:

»Weil sie mich ständig (oder immer) behandelt, wie ein klei nes Kind.«

Aha! Es geht also um das kleine Kind. Frage hier nach: »Und das möchtest du nicht, oder? War um nicht?«

Oder du fragst: »Wie fühlt sich das denn an, wenn du so behande lt wirst?«

Mit der darauf folgenden Antwort kannst du noch tiefer gehen: »Ist dir das schon früher mal passiert? Wie hat sich das damals angefühlt?«

Nehmen wir an, die Antwort wäre: »Ich fühle mich klein und schmächtig und nicht als gleichberechtigt. Ich habe das Gefühl, nicht meine eigenen Entscheidungen treffen zu können und werde ständig bevormundet. Ich bin doch kein kleines Kind mehr. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Zumindest würde ich das gern mal, wenn sie mich lassen würde. Aber immer mischt sie sich ein. Ständig fällt sie mir ins Wort …«

An dieser Stelle siehst du folgendes: »Immer« und »ständig« sind Indizien für festverankerte Glaubenssätze, die nicht eben erst mit dieser Situation entstanden sind, sondern schon lange in dir verwurzelt sind. Diese dumme Kuh, über die du dich gerade aufregst, wackelt nur an einem Ast von dem Wut-Baum, den du über Jahre in dir hast wachsen lassen. Kurzzeitig war bei der Antwort der Blick auf dein Inneres gerichtet: »Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Zumindest würde ich das gern mal.« An diesem Punkt wechselt die Antwort wieder zu Anschuldigungen und wird zur Wut über das Außen. Hier solltest du einlenken und bei dem »Ich fühle mich so und so« bleiben.

»Du möchtest also deine eigenen Entscheidungen treffen?«

»Wieso ist dir das so wichtig?«

»Warum meinst du, dies nicht z u können?«

Sollte die Antwort »Weil sie mich davon abhält« sein, dann lenke den Fokus wieder auf dich und deine Bedürfnisse. Es geht nicht um sie und was sie alles falsch macht, sondern darum, wie du dich fühlst, wie du dich lieber fühlen willst, was dir wichtig ist und warum es dir wichtig ist.

Verstehst du das Prinzip? Du bist der ahnungslose Fragensteller, der nichts über die blöde Kuh, aber alles über sich selbst wissen will. Mit dieser Einstellung, die dich in den Vordergrund schiebt, solltest du deinen Dialog führen. Es ist absolut erstaunlich, was du alles über dich erfahren wirst. Und die Gefühle, die du dann am Grund des Wutsees findest, sind es, denen du dich widmen solltest. Nicht, indem du dir überlegst, wie du eine Lösung für diese Gefühle findest, wie du nun alle frisch erkannten Bedürfnisse umsetzt und wie du deine Wohnsituation, deinen Job oder deinen Partner wechselst, um deinen Bedürfnissen gerecht zu werden. Nein, darum geht es nicht. Es ist vollkommen ausreichend, wenn du diese erkannten Gefühle fühlst und dich ihnen mit deiner Zeit, deinem haltenden Raum und deiner Akzeptanz, dem Zulassen, dem Annehmen und deiner Widerstandslosigkeit hingibst. Mehr braucht es definitiv nicht. Denn diese Gefühle sind es, denen du irgendwann vor vielen Jahren keine Aufmerksamkeit geschenkt hattest. Vielleicht in einem jungen Alter, in dem du nicht wusstest, wie du mit ihnen umgehen solltest. Sie hätten dich förmlich übermannt und ins nervliche Chaos gestürzt. Verstehe, dass wir als Kinder nicht die nötige Impulssteuerung hatten sowie nicht im rationalen Verstand verankert waren. Was wir erlebten, ging schneller ins Unterbewusstsein über und bildete unsere Persönlichkeit. Wir hatten keinen Filter, der vorab nach »brauchbar und gut« oder »gefährlich und schlecht« für uns unterschied. Wir haben alles aufgenommen.

Das, was früher in uns schwere Emotionen hervorgerufen hat, brachte unser natürliches Ruhesystem ins Wanken. Unser gesamter Organismus ist darauf bedacht, Energie zu sparen und im Ruhemodus zu verweilen. Komischerweise scannt er deshalb dennoch unentwegt die Umgebung nach potenziellen Gefahren ab, um auf der Hut zu sein und um schnellstmöglich auf die Gefahren reagieren zu können. Es geht ihm ständig um den Überlebenskampf gepaart damit, möglichst wenig Ressourcen zu verschwenden. Er setzt sich also eigentlich ständig selbst unter Stress, obwohl es seine Absicht ist, diesen zu vermeiden. Langsam aber sicher baut der Stress sich auf. Ein Tröpfchen scheinbare Gefahr hier, ein Tröpfchen scheinbare Gefahr da. Und wenn das Fass am Überlaufen ist, versucht unser Organismus die schnellstmögliche Lösung zu finden. Eine, die sofort Erleichterung bringt, selbst dann, wenn sie langfristig Schäden nimmt. Im Erwachsenenalter hauen wir unserem Gegenüber eine rein oder greifen zur Zigarette oder zum Alkohol. Im Kindesalter waren wir etwas machtloser. Wir hatten kaum Wege zur Kompensation. Wir durften nicht wütend sein, nicht zappeln, nicht schreien, nicht pupsen und nicht fluchen. Wir spürten etwas in uns, für das wir nur wenige Möglichkeiten zur Bewältigung hatten. Gleichzeitig bekamen wir vom Außen mit, dass dieser Zustand falsch ist und somit wir falsch sind. Also erkannten wir, dass diese Gefühle auch falsch sind. Sie mussten weg. Aber wohin? Wir fingen an, uns innerlich zu spalten. In den Teil, der falsch ist, und den Teil, der richtig ist. Der richtige Teil bekam Liebe und Zuneigung und hielt somit das Nervensystem in Balance. Auf dieser Seite herrschte eine Chance auf Leben. Auf der Seite der schlechten Gefühle herrschte nur eine Aussicht darauf, ausgeschlossen und verstoßen zu werden und somit zu sterben. Also musste dieser Teil weg. Und die einzige Konfliktbewältigungsstrategie, die uns einfiel, war es, diesen Teil in uns abzukoppeln und zu unterdrücken. Wir haben diesen Teil also in den dunklen Keller geschoben, angekettet und die Tür verschlossen. Doch wir spüren seine Anwesenheit, hören seine Schritte und fühlen seine Wut, die immer größer wird. So groß, dass unsere Angst vor dem eigenen Gespenst auch immer größer wird und wir nun im Außen alles auf Distanz halten, was unserer Wut zu nahe kommen könnte, damit wir nicht gezwungen sind, in den Keller hinabzusteigen.

Besser wäre es natürlich gewesen, einen adäquaten Umgang mit diesen Emotionen zu finden, sich selbst dafür nicht zu verurteilen und auch nicht von anderen verurteilt zu werden und zu lernen, dass diese Emotionen nicht lebensbedrohlich sind, auch keinen großen Schaden anrichten, wenn man sich um sie kümmert und dir im Grunde nur zeigen wollen, was du brauchst bzw. eigentlich lieber fühlen möchtest. Dadurch integrierst du diese Gefühle und hebst das Gefühl der inneren Trennung, des Zwiespalts auf. Du wirst wieder du und bist verbunden mit Körper und Verstand. Du kannst dir nun trauen, weil dein inneres Barometer, ob etwas gut oder ungünstig verläuft, wieder stimmt. Diese innere Wahrheit wollte man dir ständig ausreden, bis du irgendwann selbst nicht mehr an deine innere Weisheit geglaubt hast und nun im Außen ständig nach Lehrern, Eltern und Gurus suchst, die dir sagen, was zu tun ist. Du hast das Vertrauen in dich verloren. Als Kind dachtest du, du wärest richtig und bekamst gespiegelt, dass du es nicht bist. Und das, obwohl du es bist! Warum machen das die Erwachsenen? Weil man es mit ihnen auch getan hat und weil sie durch dich an ihre eigene Fehlbarkeit erinnert werden. Auch sie hatten einmal die Wahrheit in sich und haben sie abgegeben. Wenn sie nun jemanden sehen, der die Wahrheit in sich trägt, dann wird dieser verteufelt, weil er das lebt, was der andere zwar gern leben würde, es sich aber nicht traut oder eingesteht. Wenn also ich nicht darf, dann darfst du auch nicht. Denn wenn du dürftest, hieße das, dass ich auf eine Lüge hereingefallen bin. Und wenn das einer bemerkt, der die Gefühle nicht handhaben kann, die diese Erkenntnis mit sich bringt, so wird er immer versuchen, dich zu ändern oder, im schlimmsten Fall, zu beseitigen, nur, um seine eigene Fehlbarkeit nicht spüren zu müssen.

Doch das ist kein Problem. Mach auch keines daraus. Das, was dein Gegenüber dann mit dir versucht, ist nur seine Lösung, um mit seinen Problemen umzugehen. Wenn du dabei bei dir bleibst und seine Anschuldigungen und die Gefühle, die diese in dir auslösen, ebenso annimmst, befreist du dich aus den Fängen deiner Umwelt und deinen unkontrollierten Reaktionen auf diese. Und sollte ein Vorfall doch noch tiefe, unaushaltbare Gefühle in dir auslösen, so kannst du diese, wie nachfolgend beschrieben, ausleben, ohne dem anderen wehzutun und dich somit von ihnen befreien.

Der Schattenwolf in dir

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