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Gib mir ein Tee

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Sues Schule stand am Rand der Altstadt von Markholm in einer sehr ruhigen Gegend. Von Ostern bis Oktober kamen hier sonst nur Touristen her, um die altehrwürdigen Mauern des ehemaligen Klosters zu betrachten, in der jetzt mit der Markholm High eine Eliteschule war, die allerdings, wie Sue fand, viel zu viel Geld kostetet. Und Geld war im Hause Hartmann stets notorisch knapp, vor allem wenn ihr Vater keine Konzerte hatte.

Der blaue Bus hielt direkt vor dem eisernen Tor zum Schul­ein­gang und Sue sprang hinaus. Heute hatten sie Glück. Sie waren so spät dran, dass die SUVs der Neureichen, die Suffis, wie Sues Vater sie gern nannte, schon weg waren.

»Verräter!«, rief Sue laut, um den stotternden Motor zu über­tönen, und schmiss, gespielt beleidigt, die Tür zu.

»Schmolli!«, sagte Christoph und schmunzelte.

Sue blieb stehen. Sie wartete kurz, ob ihr Vater noch eine zweite Beleidigung nachschob, drehte sich dann um, rannte zu ihrem Vater zurück und fiel ihm mit voller Wucht um den Hals.

»Hab dich lieb«, sagte ihr Vater.

»Ich dich auch«, antwortete Sue. Ihr war egal, ob andere das peinlich fanden. Sie jedenfalls umarmte ihren Papa.

»Was’n das?« Christoph deutete auf ihren Rucksack mit den pinken Blümchen und Schleifchen. Die Frage musste ja kommen, dachte Sue, und wollte am liebsten antworten: Da mein eigentlicher Rucksack randvoll mit stinkender Kotze ist, war ich gezwungen, dieses abartige Geschenk meiner Tante, die mich damit irgendwie zu einem besseren Mädchen erziehen wollte, mit in die Schule zu nehmen. Stattdessen fragte sie lediglich: »Wieso?«

»Na … ungewöhnlich, die Farbe, für dich.«

Sue drehte sich um, ließ ihren Vater stehen und lief singend Richtung Schule: »Viel Spaß in Prag!«

Christoph nahm den Singsang auf und antwortete: »Viel Spaß in der Schule!«

»Hab ich immer.«

»Lügnerin«, flüsterte Christoph. Sue hatte es trotzdem gehört.

Es klingelte. Sue wusste, dass sie, wenn sie in diesem Tempo weiterlaufen würde, sehr wahrscheinlich die ersten Minuten der Mathestunde verpassen würde. Was an sich kein Problem war. Aber dadurch, dass sie schon zwei Einträge im Klassenbuch hatte, wollte sie unter allen Umständen ein nerviges Elterngespräch vermeiden. Also beschleunigte sie, bog in den langen Gang mit den Spinden ein und steuerte zielgerichtet ihren grauen Schrank an.

Rucksack ab, Schlüssel rein und … Igitt. Ein fetter, nach Him­beere stinkender Kaugummi zog beim Öffnen der Schranktür einen langen Faden. Irgendein Idiot hatte dieses ekelhafte Zeugs in die Ritze ihres Schranks gedrückt. Was für eine hirnfreie Aktion.

Mit einem Taschentuch entfernte sie den Kaugummi und sah, dass an jedem Schrank kleine grüne Flyer steckten, außer an ihrem. Es war Werbung für die große Halloween-Party der Schule, die Zicke Eileen und ihre Barbietruppe organisierten und die natürlich von Eileens Vater finanziert wurde. Schon seit den Sommerferien gab es auf dem Schulhof kaum noch ein anderes Thema. Wer würde kommen? Welches Kostüm wäre passend? Was würde es zu essen geben? Sue gähnte. Alles pure Langeweile. Sie holte ihr Supermoon-Comic, das Einzige, was im ansonsten leeren Rucksack war, heraus, schmiss den pinkschwarzen Girlie-Sack ins Innere und verschloss die Tür. Da hörte sie eine Stimme.

»Eine Halloween-Party? Cool!«

Sue sah auf. Vor ihr stand ein Junge, den sie hier noch nie gesehen hatte. Mit cooler Lederjacke, einer roten Wollmütze und hübschem Gesicht.

»Äh … Hi!«, stammelte sie.

Der Junge zeigte auf den gut sichtbaren Teefleck, der leider genau da war, wo Jungs im Allgemeinen gerne hinschielten, und sagte: »Du hast da …«

Ja, ich hab da, dachte sie und überlegte, mit welch flottem Spruch sie dieses Malheur überspielen konnte. Sie räusperte sich.

»Ja … Ich bin Tee.« Okay. Das war nicht unbedingt ein cooler Spruch. Das war eher peinlich. Mit seinem breiten Grinsen zeigte der Junge, dass er es ebenso verstanden hatte. Verdammt. Da wurde sie zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte, von jemandem in der Schule angesprochen, und dann brachte sie nicht mal zwei vernünftige Sätze heraus. Sue räusperte sich und sagte: »Ich meine Tee. Das ist Tee. Pfefferminztee.« Das machte wenigstens halbwegs Sinn, auch wenn es nicht wirklich viel intelligenter klang.

»Oh, trägt man das heute?«

»Klar … Superhelden tun das.« Sie lächelte. Das war schon besser.

»Okay. Ich bin Tobi. Tobias Grimm. Auch mit T, aber ohne Tee.«

Tobi streckte altmodisch seine Hand aus. Sue, die vor Schreck ihren Supermoon-Comic fallen ließ und ebenfalls nach Tobis Hand greifen wollte, sagte:

»Ich bin …«

»… mein Becherhalter«, rief eine Stimme hinter ihr, schob einen viel zu heißen Kakaobecher in Sues geöffnete Hand und ergriff stattdessen Tobis.

Der Becher war extrem heiß und Sue pustete instinktiv gegen ihre Finger, was nicht wirklich etwas brachte. Und während Evil Eileen sich frecherweise vor sie schob und mit ihren roten Lippen­stift­lippen grinsend den neuen Schüler begrüßte, wich Sue zurück, weil ein starker Schmerz ihren ganzen Körper durchzog.

»Du bist der Neue, oder? Ich bin Eileen. Hier …«, sie reichte ihm einen Flyer, »Unsere Halloween-Party. DJ Goblin legt auf. Bist eingeladen. Wer im Kostüm kommt, hat freien Eintritt.«

Sues Schmerz verschwand, dafür zog ein eiskalter Schauer durch ihren Arm, kribbelte wie tausend Ameisen und legte sich fröstelnd über ihren ganzen Körper. Sie atmete schneller, die Geräusche um sie herum verblassten und wurden dumpf. Es war, als hätte sich eine glibberige, eiskalte Maske über Sue gelegt.

»Wo ist sie hin?«, fragte Tobi und schob Eileen, die gerade mit ihrem Handy ein Selfie machen wollte, unsanft beiseite.

Doch das Einzige, was die überschminkte Dumpfbacke zu sagen hatte, war: »Wo ist mein Kakao?«

Was meinte sie?, dachte Sue, die Eileen den noch immer dampfenden Kakaobecher hinhielt. Und da fiel es ihr auf. Ihr Arm war wieder nicht zu sehen, war verschwunden. Ihr anderer Arm auch. Sie schluckte. Konnte das sein? Ihr Herz raste. Wie automatisiert setzte sie sich in Bewegung und rannte Richtung Toilette. Sie hörte von weitem noch, wie Tobi rief: »Du hast deinen Supermoon-Comic vergessen.«

Dann war Sue schon um die Ecke. Sie stieß beinahe mit einem händchenhaltenden Pärchen zusammen, konnte ausweichen, tou­chierte dabei den immer furchtbar gut gelaunten Ver­trauens­lehrer mit seinen Jesuslatschen, verlor beinahe das Gleichgewicht und stieß mit der Schulter und letzter Kraft die Tür zur Toilette auf.

Invisible Sue - Plötzlich unsichtbar

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