Читать книгу Invisible Sue - Plötzlich unsichtbar - Markus Dietrich - Страница 9
Zombie-Dog
ОглавлениеDie Sonne war bereits untergegangen und ein kühles herbstliches Nass legte sich über die Stadt Markholm. Lange Schatten lagen auf den Häusern, die dicht gedrängt an den bewaldeten Hügeln standen. In der Ferne leuchteten, zwischen den riesigen alten Schornsteinen, die gläsernen Türme der DEC, der Drill Energy Corporation. Genau die Firma, in der Sues Mama an geheimen Forschungen arbeitete und seitdem kaum noch Zeit für ihre Familie hatte. Geschweige denn für Sue.
Christoph schaltete das Radio an. Er musste die Lautstärke fast völlig aufdrehen, damit bei dem Lärm des Motors überhaupt etwas zu hören war.
»Einen wunderschönen guten Abend, Markholm«, sagte eine stadtbekannte Stimme. »Mein Name ist Lisa Wells von News24, und ich berichte heute live aus der DEC, wo Direktor Dr. Jonas Drill zu einer Pressekonferenz eingeladen hat.« Applaus im Hintergrund.
Christoph sah auf seine Uhr. »Sie haben anscheinend mit Verspätung angefangen. Das gibt uns einen kleinen Vorsprung. Aber die Zeit arbeitet gegen uns.« Er machte das Radio noch einen Tick lauter, sodass die Lautsprecher anfingen, zu knarzen und die kleinen Star-Wars-Actionfiguren auf dem Armaturenbrett hin und her hüpften.
Dann war die Stimme eines Mannes zu hören, den Sue nur allzu gut kannte und den sie überhaupt nicht mochte. Dr. Jonas Drill, Mamas Chef, immer unfreundlich, immer schwitzend immer schlecht gelaunt. Er hasste Kinder und machte daraus auch keinen Hehl.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren. Liebe Kollegen und Kolleginnen, werte Gäste. Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer Welt ohne Schwäche. Einer Welt, in der es keine Krankheiten mehr gibt …«
Christophs Bus bog nun in eine langgezogene Straße ein, die an einer Schranke endete, die zum DEC-Forschungskomplex gehörte. Überall standen schwer bewaffnete Sicherheitsbeamte herum, und Kameras filmten jede noch so kleine Bewegung. Rote flackernde Laserzäune flankierten sirrend die Einfahrt. Christoph drehte das Radio leiser und kurbelte die Scheibe herunter. Ein uniformierter junger Mann mit ernstem Gesicht trat aus seinem schmalen Wachhäuschen.
»Ähm … Ihre Ausweise bitte.«
Der glattrasierte Sicherheitsmann war offensichtlich nervös. Sue hatte ihn hier noch nie gesehen. Vielleicht war er neu und wollte keine Fehler machen. Sues Vater war bei den Wachleuten kein Unbekannter.
Christoph hatte wie immer seinen Besucherausweis, den Sues Mama ihm besorgt hatte, vergessen. Ohne den kam man nicht auf das Gelände. Und Ordnung gehörte nicht zu Papas Stärken. Dafür war er nie um irgendwelche Ausreden verlegen.
»Es tut mir unendlich leid«, sagte er und schielte leicht grinsend zu Sue hinüber, »aber meine Tochter … Wir wollten gerade etwas essen gehen, als sie plötzlich … also sie hat mit diesem blauen Zeug gespielt. Wissen Sie? Das, was meine Frau, also Maria Hartmann, gestern mitgebracht hat. Und dann fing sie plötzlich an zu bluten. Mein Gott. Bitte …«
Sue musste sich zusammenreißen, um nicht gleich loszulachen, und versuchte ihr Gesicht hinter ihrer Hand zu verbergen. Dem Sicherheitsmann war allerdings nicht zum Lachen zumute. Nervös schaut er von Christoph zu Sue und wieder zurück.
Christoph nutzte diesen Moment und kam jetzt erst recht in Fahrt. Als Schüler hatte er in der Theater-AG der Schule die ganz großen Rollen gespielt.
»Sie müssen mich durchlassen. Bitte. Bevor es schlimmer wird. Meine Frau weiß sicher, was zu tun ist. Meine Güte … Vielleicht stirbt sie.«
Das war zu viel. Dem armen Sicherheitsmann stand der Schweiß jetzt auf der Stirn und unsicher leuchtete er mit seiner Taschenlampe ins Innere des Wagens. Sue hob schwerfällig ihren Kopf und röchelte in den Schein der Lampe. Der Sicherheitsmann wich vor Entsetzen einen Schritt zurück und ließ die Lampe fallen.
Blut quoll aus Sues Augen und lief ihr über die Wange. Sue gab sich extrem Mühe, wie ein Zombie zu grunzen. »Bitte …«, krächzte Sue sehr überzeugend. »Sie müssen mir helfen.«
Der Sicherheitsmann hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund, wahrscheinlich aus Angst sich anzustecken, und winkte seinen Kollegen im Wachhäuschen hastig zu. Die Schranke hob sich augenblicklich.
»Haben Sie tausend Dank«, sagte Christoph und kämpfte innerlich gegen einen Lachanfall. Der Sicherheitsmann nickte nur kurz und erleichtert. Christoph und Sue fuhren los und konnten sich kaum mehr halten vor Lachen. Sue wischte sich den Ketchup aus dem Gesicht und biss genüsslich in ihren inzwischen kalt gewordenen Hotdog.
»Ich glaube, ich leide an Ketschupritis«, kicherte sie.
»Hoch ansteckend. Hab ich gelesen«, sagte ihr Vater. Wieder mussten sie lachen. Manchmal war es dann doch lustig, auf Papas Spiele einzugehen, dachte Sue.
Die erste Hürde hatten sie also genommen. Im Radio war noch immer Direktor Drills Stimme zu hören. Monoton und gelangweilt. Christoph drehte die Lautstärke wieder hoch, während der Bus zwischen den modernen Stahlglasfassaden ins Herz der DEC vordrang.
»Stellen Sie sich vor, Ihr Körper reagiert mit einem eigenen, nennen wir es Schutzschild«, referierte Drill. »Um das allerdings genauer zu erklären, habe ich Ihnen heute einen Experten, wenn nicht sogar den Experten mitgebracht. Bitte begrüßen Sie mit mir eine der erfolgreichsten Genetikerinnen und Mutationsforscherinnen, Dr. Maria Hartmann.«
Sues Lächeln erstarb. Da war sie. Ihre Mutter. Gleich würde sie reden und nicht mehr aufhören, wie immer, wenn sie über ihre Forschung sprach. Applaus war zu hören und Drill fuhr fort: »Maria, man könnte Ihre Erfindung in einem Satz zusammenfassen: Der Mensch 2.0.«
Vielleicht sollten sie mal eine Mutter 2.0 erfinden. Dann hätte Sue ein Problem weniger. Dafür eine Mutter, die sich um ihre Kinder und die Familie kümmerte und nicht dauernd in der Welt herumflog und Vorträge hielt.