Читать книгу Invisible Sue - Plötzlich unsichtbar - Markus Dietrich - Страница 20
Forschungsobjekt
ОглавлениеSue erwachte in ihrem Zimmer. Supermoon lachte sie wie jeden Morgen freundlich an. Und in diesem Moment fiel ihr ein, dass sie ihren Comic gestern in der Schule vergessen hatte. Bei diesem, wie hieß er doch gleich, Tobi?
Verdammt. Sie sprang auf. Warum war der Comic ihr erster Gedanke? Warum nicht ihr viel größeres Problem? Sie sah sich um. Sah an sich herab. Diesmal zumindest war alles so, wie es sein sollte. Mal abgesehen davon, dass direkt unter ihrem Bett noch immer ein Schulrucksack voller Kotze stand und stank.
Ihr Handy summte. Die Nummer kannte sie nicht. Noch halb im Schlaf drückte sie auf das verschmierte Display und las: »Hi … Ich hab deinen Comic. Sehen wir uns in der Schle? LG«
Schle bedeutete wahrscheinlich Schule. Und LG? Wer war LG? Warum gingen immer alle Leute davon aus, dass man ihre Kontakte gespeichert hatte. Aber wahrscheinlich war es dieser grinsende Tobi. Sue gefiel der Gedanke und sie spürte, wie ihr ein wohliger Schauer über den Rücken lief.
Aus der Küche hörte sie Geklapper. Sie stand auf, tippelte barfuß über den eiskalten Boden, öffnete die provisorisch mit Tüchern zugehängte Glastür ihres Zimmers, ging zum Tisch im Wintergarten und setzte sich mit einem gruseligen »Guten Morgen!« hin.
Ihre Mutter hing nach vorne gebeugt über ihrem Laptop und schaute nicht einmal auf. Fürsorge, wie sie sie kannte, dachte Sue. Sie sorgte sich um ihre Formeln, Zahlen und Berechnungen mehr als um ihre Tochter.
»Geht’s dir gut? Soll ich dir was zu essen machen?« Immerhin. Sie hatte mitbekommen, dass ich hier bin, dachte Sue und musste lächeln. Sie stützte ihren Kopf auf ihre Arme und sah hinaus in den gelbrot verfärbten Wald. »Ich fühle mich, als wäre ich 10.000 Kilometer gerannt. Wie lange hab ich geschlafen?«
»Ziemlich lange. Du bist nicht mal wachgeworden, als Lenia und ich dich in dein Zimmer gebracht haben. Hier … Das sollte gegen die Müdigkeit wirken.« Sie nahm eine Tasse vom Herd, aus der heißer Dampf emporstieg, und stellte sie mehr oder weniger liebevoll vor Sue ab. »Kohlenhydrate und Enzyme.« Sue roch an der Tasse und verzog das Gesicht. Das hatte eher was mit verfaulten Eiern gemein, als mit wohlduftendem, süßen Kakao. Sue liebte Kakao.
Sie nahm gedankenverloren die Tasse und merkte erst jetzt, wie eiskalt ihre Hände waren. Wahrscheinlich war ihr Blutdruck im Keller. Sie sah aus dem Fenster. Ihre Eltern hatten den alten Wintergarten zur Küche umfunktioniert, oder besser gesagt, sie waren noch dabei. Im Frühjahr und Herbst war es hier unglaublich schön. Jetzt aber, kurz vor Halloween, hielt man es ohne dicken Pulli kaum aus. Dafür hatte man einen wahnsinnig schönen Blick auf die kleinen Berge und Wälder, die Markholm umgaben. Sue liebte die Berge.
»Das ist ja eine unglaubliche Wirkung.« Maria strahlte förmlich, redete mit sich selbst. »Wir müssen noch ’ne Menge Tests machen. Ich hab ’ne Wärmebildkamera bestellt …«
Sue schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich waren alle Forscher so. Sie nahm einen Schluck des widerlichen Enzym- und Kohlenhydrategemischs und verbrannte sich dabei fast die Zunge. Das Zeug war nicht nur eklig, sondern leider auch extrem heiß.
»Ich hab dir Blut abgenommen und lasse es grade im Labor überprüfen. Aber du …« Maria drehte sich um und betrachtete den leeren Tisch, auf dem die Tasse mit der ekelerregenden heißen Flüssigkeit stand.