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1.3 Der Begriff der »bildungsfernen Jugendlichen«

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Zahlreiche Institutionen, angefangen von der Bundeszentrale für politische Bildung bis hin zu kommunalen Einrichtungen der Jugendarbeit, deren Auftrag u. a. die Förderung der außerschulischen (politischen) Bildung von Jugendlichen ist, beschäftigen sich in letzter Zeit verstärkt mit einer scheinbar neuen Zielgruppe: den so genannten bildungsfernen Jugendlichen. Häufig wird der bezeichneten Gruppe Desintegration, fehlendes politisches Interesse, Schulverweigerung bzw. (Aus-)Bildungsverweigerung attestiert. Eine exakte Definition so genannter bildungsferner Jugendlicher sucht man in der Literatur bisher jedoch vergeblich. Als bildungsfern werden gemeinhin Jugendliche bezeichnet, die der schulischen Bildung relativ ferngeblieben sind, d. h. keinen Hauptschulabschluss erreicht haben. Eine kritisch orientierte sozialwissenschaftliche Perspektive sollte sich mit diesem vagen Verständnis jedoch nicht zufriedengeben. Denn welche Personen als bildungsfern einzustufen sind, hängt vom Bildungsbegriff ab. Ein rein leistungsorientierter Bildungsbegriff wie der bisher hier zugrunde gelegte misst Bildung anhand des Grades der Akkumulation von Wissen. Mit der mehr oder weniger genauen Erfassung des Wissenstands ist das Problem fehlender oder ausreichender Bildung aber noch nicht gelöst, denn umstritten ist auch, was Wissen ist. Versteht man Wissen als wissenschaftlich fundiertes, schulisch vermitteltes Wissen oder eher als lebensweltliches Wissen, deren beider Bedeutung im Übrigen für die Bewältigung des Alltags nicht unterschätzt werden sollte? Und wenn man Bildung als wissenschaftlich fundiertes Wissen versteht: Orientiert man sich dann an einer rein disziplinären oder eher an einer interdisziplinären wissenschaftlichen Perspektive? Gerade in hochkomplexen und stark ausdifferenzierten Gesellschaften ist interdisziplinäres Wissen erforderlich, um die aktuellen gesellschaftlichen Probleme lösen zu können. Ein kritischer Bildungsbegriff hingegen müsste neben der Erfassung des interdisziplinären Wissenstands auch noch zwei weitere Kompetenzen beinhalten. Zunächst ginge es darum, einen Theorie-Praxis-Bezug herzustellen, d. h. sich bei der Forschung an der Praxis zu orientieren und die Ergebnisse der Forschung wiederum in die Praxis einfließen zu lassen. Weiterhin wäre es wichtig, sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher Diskurse und öffentlicher Kontroversen möglichst unvoreingenommen eine eigene Meinung bilden zu können. Die Verbindung von Theorie und Praxis wie die eigene Urteilsfähigkeit und Mündigkeit wären somit weitere Aspekte dessen, was Bildung sein könnte (vgl. auch Adorno 1959). Zusammenfassend könnte man die Gruppe der bildungsfernen Jugendlichen etwa anhand folgender Kriterien kennzeichnen:

• Jugendliche, die nur einen geringen Wissensstand im Sinne schulisch relevanten Wissens erworben haben. Dies ließe sich relativ leicht an den Schulnoten bzw. -abschlüssen ablesen.

• Es wären demnach aber auch solche Jugendliche bildungsfern, deren lebensweltliches Wissen Defizite aufweist. Deutlich wird dieses Manko z. B. in der Unfähigkeit, Krisen zu bewältigen, und bei denjenigen, die nicht interdisziplinär denken und sich nicht auf einen intensiven Theorie-Praxis-Bezug einlassen können.

• Nach diesem Verständnis gehören auch diejenigen Jugendlichen dazu, die nicht in der Lage sind, öffentliche Kontroversen kritisch einzuschätzen und eine eigenständig entwickelte Meinung zu bilden.

Bei diesem relativ hohen Anspruch an das, was Bildung sein könnte, ergibt sich zweifellos die Frage, wer dann überhaupt als bildungsnah bezeichnet werden könnte. Auch bei Erwachsenen dürfte es im Übrigen schwierig sein, fündig zu werden. Ein weiteres Problem bei dem Versuch der Definition dessen, was bildungsferne Jugendliche charakterisieren könnte, ist die Etikettierung der damit bezeichneten Gruppe durch einen negativ konnotierten Begriff. Zudem wird wie beim Begriff der sozialen Benachteiligung lediglich ein Status beschrieben. Die sich hinter dem Status verbergende Dynamik der Entstehung der sozialen Benachteiligung oder der Bildungsferne bleiben außer Acht.

Soziale Arbeit mit marginalisierten Jugendlichen

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