Читать книгу Soziale Arbeit mit marginalisierten Jugendlichen - Markus Ottersbach - Страница 19
2.2 Mesokontext: Lebenslagen
ОглавлениеMesosoziologische Theorien orientieren sich an den gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen, die für die konkrete gesellschaftliche Inklusion der Menschen zuständig sind und deren Ausstattung, Aufgaben, Befugnisse und Ausrichtungen politisch initiiert sind. Institutionen, die Arbeit, Bildung, gesundheitliche Versorgung, Wohnraum oder auch Freizeitmöglichkeiten vermitteln bzw. bereitstellen, haben die Aufgabe, im Rahmen der Gestaltung der Lebenslage der Menschen diese zu inkludieren. Diese Institutionen (die Firma, die Schule, die Familie etc.) versorgen Menschen – in der Sprache Bourdieus (vgl. Bourdieu 1981; Bourdieu 1989) – mit unterschiedlichen Kapitalformen, wie ökonomisches, kulturelles oder soziales Kapital10. Als ökonomisches Kapital werden Vermögen, Besitz und Einkommen betrachtet, als Formen kulturellen Kapitals die Vermittlung von Bildungsqualifikationen und als soziales Kapital soziale Netzwerke oder soziale Beziehungen der Menschen untereinander. Von Bourdieu weniger beachtet, aber dennoch nicht unwichtig, könnte man das politische Kapital der Menschen noch anführen, das durch das Engagement bei Wahlen oder bei direkten Formen der politischen Partizipation deutlich wird.
Solche Kapitalformen können auch als Aspekte der sozialen Lage oder der Lebenslage aufgefasst werden. Die Lebenslage der Menschen ist sehr unterschiedlich, d. h. es gibt Reiche und Arme, Gesunde und Kranke, Menschen mit hoher und Menschen mit geringer Bildungsqualifikation, Menschen, die eher in wohlhabenden Quartieren, und solche, die eher in marginalisierten Quartieren wohnen. Verbunden mit der Prägung der Individuen durch Institutionen ist auch eine Vermittlung von Gesetzen, Normen und Ritualen. Menschliches Handeln wird durch Institutionen in Form von Gesetzen verpflichtend und in Form von Verhaltensnormen normativ reguliert11. Gemeinschaften erwarten zudem auch die Beachtung und Einhaltung von Regeln und Ritualen. Dies gilt nicht nur für religiöse Gemeinschaften, sondern auch für Fanclubs, Karnevalsvereine oder Männerbünde. Institutionen vermitteln implizites Wissen, dass inkorporiert werden muss, später routiniert abläuft und nicht mehr bewusst reflektiert wird. Zudem prägen Institutionen soziale Beziehungsgeflechte zwischen Individuen, indem sie diese nicht nur ermöglichen, sondern auch hierarchisieren und mit Inhalten versehen.
Am Beispiel der Institution Schule lässt sich verdeutlichen, dass diese Institution Lehrer*innen und Schüler*innen in bestimmten Räumlichkeiten zusammenbringt, deren Verhältnis einer Hierarchie unterwirft und bestimmte Regeln und Rituale des Verhaltens aller Akteurinnen und Akteure mehr oder weniger festlegt. Zudem vermittelt die Schule bestimmte Inhalte, d. h. ein bestimmtes Wissen, das durch Rituale wie Prüfungen abgefragt wird und auf dessen Basis Qualifikationen verteilt werden, die letztlich über In- und Exklusion von Schüler*innen entscheiden. Die institutionell vollzogene Inklusion seitens der Schule impliziert auch die fortdauernde Stratifikation z. B. in Bezug auf die Reproduktion sozialer Ungleichheit. Obwohl das Bildungssystem Chancengleichheit fördern soll, weisen die zahlreichen PISA-Studien (vgl. z. B. die PISA-Studien von 2006, Prenzel et.al. 2008, und 2018, Reiss, Weis, Klieme & Köller 2019) seit Jahren für Deutschland nach, dass die Schule maßgeblich zur Reproduktion des Schichtengefüges beiträgt. Am Beispiel des Bildungssystems zeigt sich sehr deutlich, dass die funktionale Differenzierung gesellschaftlicher Subsysteme die Fortdauer stratifkatorischer Prozesse in modernen Gesellschaften nicht verhindert. Auch die Sozialpolitik vermag dieses Manko nicht zu kompensieren. Zwar hat im Zuge des Ausbaus der Wohlfahrtssysteme in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Bürger*innen in Deutschland stattgefunden. Dennoch ist die Hierarchisierung in Bezug auf Wohlstand damit nicht abgeschafft worden. Die sozio-ökonomische Distanz zwischen den Schichten hängt nach wie vor maßgeblich von konjunkturellen Schwankungen und sozialpolitischen Maßnahmen ab (vgl. Finanzkrise oder Corona-Krise).