Читать книгу Gute und Böse Nachtgeschichten - Markus Walther - Страница 13
ОглавлениеSaat
Der Krieg war vorbei und das Dritte Reich besiegt. Die Alliierten kamen auch in dieses Dorf, um zu sehen, was sie als Reparation mitnehmen konnten. Doch die Hallen des einzigen Werks standen nun schon lange leer. An den Stellen, an denen die Webstühle und Nähmaschinen gearbeitet hatten, verrieten nur noch ein paar helle Flecken im Muster des Bodenbelags, dass hier einst rege Betriebsamkeit geherrscht hatte.
Der ehemalige Direktor der Näherei stand mit einem Spaten in der Hand auf dem großen Acker neben dem Werk und erklärte dem Übersetzer der Soldaten geduldig, dass sie zu spät waren. Die Wehrmacht hatte während der letzten Gefechte nicht nur die Jungen aus dem Dorf geholt, sondern auch die Maschinen. Die meisten Jungen waren, Gott sei es gedankt, inzwischen zurück, aber die Maschinen sind wohl eingeschmolzen worden.
Als einer der Soldaten argwöhnisch den Spaten betrachtete, erklärte der Direktor eilig, dass er versuchen wolle, auf diesem Stück Land eine neue Zukunft zu beginnen. Seine Kenntnisse als Bauer wären zwar bescheiden, doch in diese Aussaat steckte er all seine Hoffnung.
Ein paar Wochen vergingen und die Soldaten waren unlängst weitergezogen, als der Direktor zurück auf das Feld ging. Fast alle Dorfbewohner folgten ihm – Frauen, Kinder und die wenigen Männer, die zurückgekehrt waren. Sie gruben mit Schaufeln, Spaten, Hacken oder nur mit den bloßen Händen, um die „Saat“ wieder aus dem Boden auszugraben.
Zuerst kamen die kleineren Nähmaschinen zum Vorschein, dann die Webstühle. Mühsam schafften sie die Maschinen an ihre Plätze im Werk, säuberten und reparierten sie. Bald schon bewegte sich die erste Nadel im Takt eines Motors.
Die Saat war aufgegangen.