Читать книгу Gute und Böse Nachtgeschichten - Markus Walther - Страница 7
ОглавлениеDie Frage
Ein Sonnenstrahl zwängte sich durch die zugezogenen Gardinen und ließ Staubkörner, die träge in der Luft tanzten, sichtbar werden. Wolfgang blickte schlaftrunken auf die Uhr. Gleich zehn. Sonntagmorgen. Es schien ein wunderschöner Tag zu werden, genau passend zur letzten Nacht. Seine Hand wanderte zur anderen Betthälfte. Es war so schön, ihre Haut zu spüren. Davon würde er wohl nie genug bekommen.
„Morgen, Schatz“, murmelte sie.
Schade, seine Berührungen hatten sie geweckt. Er hätte sie gerne noch etwas liegen lassen. Sie rieb sich die Augen und rekelte sich genussvoll.
„Frühstück, Schatz?“, fragte er vergnügt, obwohl sich in diesem Augenblick leise eine andere Frage in sein Bewusstsein drängte.
„Gern“, antwortete sie.
Wolfgang schwang sich aus dem Bett und ging barfuß in die Küche. Auf dem Weg dorthin fand er seine Shorts irgendwo auf dem Parkettboden und zog sie an. Als er in der Küche ein reichhaltiges Frühstück zusammenstellte und auf einem Tablett dekorierte, überlegte er, wie er ihr diese Frage am passendsten stellen konnte. Er hasste solche Peinlichkeiten. Die Frage zum falschen Moment gestellt, wäre ein unwiderruflicher Fehler.
Er hörte durch die Tür, dass sie inzwischen ins Bad gegangen war. Der Kaffee würde noch ein paar Augenblicke brauchen. Deshalb war er fast versucht, ihr ins Bad zu folgen, um da weiterzumachen, wo sie in der Nacht aufgehört hatten. Doch er entschied sich anders: Erst musste diese Frage aus der Welt geschafft werden, die sich mittlerweile, einer dunklen Gewitterwolke gleich, über seinem Kopf mehr und mehr verdichtete.
Sie kam zurück ins Schlafzimmer, als er das Tablett mühsam zum Bett balancierte. Nachdem sie unter die Bettdecke gekrochen waren, begannen sie ein gemütliches Frühstück. Der Kaffee war ihm gut gelungen, dachte er sich. Trotzdem würde es ihm nicht helfen, die Frage auszusprechen.
„Schatz“, sagte sie, „gibst du mir mal die Marmelade?“
Wolfgang gab sie ihr. Aberwitzig, dass ihre Frage so simpel war und so einfach ausgesprochen, während seine Frage, die noch immer unausgesprochen blieb, sich so viel schwerer formulieren ließ.
Er könnte sich ohrfeigen, dass er diese Frage nicht schon gestern gestellt hatte. Gestern wäre diese Frage noch das Selbstverständlichste der Welt gewesen.
„Sag mal, Schatz …“, setzte er an. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass das wohl der falscheste Zeitpunkt war. Trotzdem sprach sein Mund einfach weiter: „Sag mal … Gestern hab’ ich deinen Namen im ‚Tanzpalast‘ nicht richtig verstanden, Schatz …
Wie heißt du eigentlich?“