Читать книгу Gute und Böse Nachtgeschichten - Markus Walther - Страница 14
ОглавлениеDas Aufgebot
Das historische Rathaus zu Köln am Rande der Altstadt reckt sich verheißungsvoll in die Sonnenstrahlen des Herbsttages. Für den Augenblick scheint alles perfekt zu sein. Nicht nur, dass ich die Liebe meines Lebens gefunden habe. Wir haben uns auch endlich entschlossen zu heiraten. Gibt es einen besseren Grund, auf dem Rathausplatz zu stehen?
Hier soll es also passieren. Im nächsten Sommer werden wir mit der ganzen Familie den Rathausturm betreten und uns vor dem Standesbeamten das Jawort geben. Heute müssen wir jedoch erstmal in das Gebäude gegenüber. Weitaus weniger imposant drückt sich der schmucklose Eckbau, der die Verwaltung beherbergt, an die angrenzenden Fassaden.
Im dunklen Innenraum, rechts von der Tür, liegt der Empfang. Hand in Hand gehen wir dorthin. Bestimmt lächeln wir auch, im Glauben, dass jeder unsere Vorfreude mit uns teilen wird. Wir treten vor den Schalter und blicken einem kleinen Mann in die Augen, dem man ansehen kann, dass ihm glückliche Menschen suspekt sind. Den Gruß nicht erwidernd, schaut er mich fragend an. Ich begreife diesen Blick und antworte darauf: „Wir möchten heiraten. Wo müssen wir uns anmelden?“
Nach einer abschätzenden Musterung belehrt uns der Beamte mürrisch: „Sie möchten ein Aufgebot bestellen.“
„Klugscheißer“, denke ich bei mir. Doch als ich keine weiterführende Information von dem Kerl erhalte, sage ich brav: „Wir möchten ein Aufgebot bestellen. Wo müssen wir uns anmelden?“
„Erster Stock, Zimmer 112.“
Dort angelangt und nach nur kurzer, fast einstündiger Wartezeit im Treppenhaus, dürfen wir eintreten.
„Wir möchten heiraten“, erkläre ich, „nächsten Sommer. Am besten im Ju…“
„Sie möchten ein Aufgebot bestellen“, unterbricht mich die junge Frau hinter dem Schreibtisch, während sie ohne aufzublicken unsere mitgebrachten Unterlagen durchsieht. „Da fehlen Ihnen aber noch ein paar Papiere. Ist aber kein Problem: Sie bekommen alles bei uns im Hause. Hier ist Ihre Laufkarte. Zunächst müssen Sie zum Zimmer 023 fürs Archiv. Dort erhalten Sie …“
Ein Schwall an Informationen umspült mein Bewusstsein. Drei verschiedene Zimmer müssen wir aufsuchen, in denen man uns einen Zahlschein aushändigt, damit an der Kasse die Bearbeitungsgebühr bezahlt werden kann. Mit der Quittung darf dann das gewünschte Formblatt abgeholt werden.
Dass mich die Wartezeiten etwas mitnehmen, merke ich daran, dass ich jedes Mal den gleichen Fehler mache. Ich leite unser Anliegen mit den Worten ein: „Wir möchten heiraten.“ Und immer folgt prompt die Antwort: „Nein, Sie möchten ein Aufgebot bestellen.“
Endlich sitzen wir im Flur vor dem Büro des Standesbeamten. Die Augen geschlossen, mit müden und trägen Gedanken, warten wir die obligatorische halbe Stunde und ich versuche mir meinen ersten Satz, den ich gleich sagen werde, zu verinnerlichen.
Die Tür öffnet sich. Freundlich – ja, wirklich – werden wir hereingebeten. Erwartungsvoll blickt uns der Standesbeamte an und ich sage, wie ich es in diesen Gemäuern gelernt habe: „Guten Tag. Wir möchten unser Aufgebot bestellen.“
Gewinnend lächelt uns unser Gegenüber an. Wie selbstverständlich, so als würde er es tagtäglich sagen, formen seine Lippen die Worte: „Ach, Sie möchten heiraten?!“