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III. Der Prüfstein – Die nachkantische Skeptizismus-Debatte

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Wie so oft in der Geschichte der Philosophie war auch diesmal der philosophische Skeptizismus eine der entscheidenden Herausforderungen für die neuen Denkmuster. Letztere standen vor der Aufgabe, die Resistenz oder Immunität ihrer Gedanken gegenüber den scharfsinnigen skeptischen Einsprüchen zu beweisen. Und Gottlob Ernst Schulze, der sich nach dem antiken Pyrrhoniker Aenesidemus nannte, legte dann gegen Kant und seine „würdigen Nachfolger“ scharfsinnige Einwände vor und avancierte zum Advocatus diaboli dieser Denkepoche. 1793 formulierte Karl Leonhard Reinhold eine Einschätzung des Skeptizismus, die eine Facette der wildbewegten und einzigartig kreativen philosophischen Zeit nach Kant,31 geprägt von philosophischen Feuerwerken ungekannter Höhe, Kraft und Buntheit, trefflich beschreibt: „In keinem Zeitpunkte war der Begriff des Skeptizismus in der Philosophie zugleich so vieldeutig und so genau bestimmt, und nie gab es so viele eingebildete und so wenige wirkliche philosophische Skeptiker als gegenwärtig.“32 Die nachkantische Beschäftigung mit dem Skeptischen zeigt eine äußerst verästelte Gemengelage, gleicht einem babylonischen Gewirr, einem Irrgarten, in dem Orientierung schwerfällt, einem chaotisch wuchernden Gestrüpp mit scharfkantigen Dornen, an denen sich mancher Denker blutige Pfoten holte. Stets wurde von den Skeptikern der durchaus gefährliche Vorwurf des Dogmatismus gegen Kant und die Idealisten erhoben. Schärfste Debatten mit dem Ziele der Annihilation der Gegner, die sich wechselseitig etwa als Dogmatiker oder als Teufel und Seeungeheuer titulierten, waren an der Tagesordnung. Die Einschätzungen des Skeptischen schwankten zwischen den Extremen der Schmähung als bösartige Krankheit des Geistes, als Gebrechen des Zeitalters und dem Lobpreisen der durchdachten Einrede, der scharfsinnigen Prüfung. Der Skepticus erschien als Sphinx, als subtiler Aporetiker, der gegen die Unart der Voreingenommenheit steht, als der eigentliche All-Zermalmer von jeglichem Dogmatismus, zugleich aber auch als ein in Sachen Wissensgewinnung ewig Unentschiedener, Gleichgültiger, der alles dahingestellt sein lässt. Hier kann es nur um ganz wenige Grundzüge und Tendenzen, um ausgewählte Facetten eines faszinierenden Panoramas gehen, mit denen auf die vielen Gesichter der Skepsis verwiesen wird. Auf jeden Fall bildete die Skeptizismus-Debatte ein entscheidendes Moment in der Genese des Deutschen Idealismus.

Kants kritische Philosophie und deren grundlegende Unterscheidung zwischen dem doktrinellen Skeptizismus und der skeptischen Methode, die „nur der Transzendentalphilosophie allein wesentlich eigen und unentbehrlich ist“, und Hegels phänomenologisches Unternehmen eines „sich vollbringenden Skeptizismus“ als entscheidende Antwort auf den späteren Schulze bilden den Rahmen, in welchem sich die Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus als eine fundamentale Herausforderung für die Philosophie schlechthin erwies. In einem ersten Versuch einer historischen Gesamtdarstellung der skeptischen Denkschule, in Carl Friedrich Stäudlins Geschichte und Geist des Skepticismus (1794), kommt die fulminante Renaissance der Skepsis wie folgt zur Sprache:

Die neueste Revolution in der Philosophie [durch Kant] ist durch ihn [den Skeptizismus] veranlaßt worden und hat ihn wieder zum Gegenstande einer tiefern philosophischen Untersuchung gemacht. Jene Revolution sollte ihn stürzen, nach einer neuen Entdekung soll sie ihm kein Haar gekrümmt haben oder gar ihn vielmehr bevestigt haben.33

Wahrlich teuflische Heerscharen von vermeintlichen oder echten Skeptikern treten auf die philosophische Bühne und versuchen sich in der variantenreichen Rolle des Skeptikers, des Widerspenstigen, als Vertreter des Zetetischen, Ephektischen und Aporetischen, als Abkömmlinge der philosophischen Hölle, als Fürsprecher permanenter geistiger Revision, Rebellion und Insurrektion, als denkende Widerporste schlechthin. Man verteidigt Grenzziehungen für das Wissen, verordnet die Skepsis als Abführmittel für das Dogmatische, schreibt letztgültige Vernichtungen des Dogmatismus oder Apologien des Teufels. „Was ihr das Negative nennt, gilt als eigentliches Element“, denn Zweifel reime sich besonders schön auf Teufel, so Goethe. Dies rief natürlich auch die Heerscharen der Exorzisten auf den Plan, erforderlich war die Zähmung der Widerspenstigen.

Einige Beispiele für die Kämpfe der skeptischen Titanen in der ersten Hälfte der 90er-Jahre, einer ersten Phase der Skeptizismus-Debatte: Festzustellen ist die höchst erstaunliche Tendenz, dass die vermeintlichen Skeptiker unter den Namen von antiken Anwälten ihrer Zunft auftreten: Gottlob Ernst Schulze schmückt sich mit dem Namen Aenesidemus, der Teufelsapologet Johann Benjamin Erhard nennt sich in seiner Schrift Über die Medicin Arkesilas und Johann P. Feuerbach benutzt den Namen Pyrrhon. Als weitere Protagonisten skeptischer Streitsachen sind Salomon Maimon mit seinem Versuch einer neuen Logik und Theorie des Denkens. Nebst angehängten Briefen des Philaletes an Aenesidemus (1794), Leonhard Creuzer mit seinen Skeptischen Betrachtungen über die Freyheit des Willens mit Hinsicht auf die neuesten Theorien über dieselbe (1793) oder Ernst Platner zu erwähnen. Weiterhin greifen in die Debatte ein: Johann Heinrich Abicht mit Hermias oder die Auflösung der die gültige Elementar-Philosophie betreffenden Aenesidemischen Zweifel (1794), der Kant-Schüler Johann Sigismund Beck mit seinem Versuch einer Widerlegung des Aenesidemus gegen die reinholdische Elementarphilosophie (1795) oder auch Friedrich Immanuel Niethammer mit seinem berühmten Eröffnungsaufsatz zum Philosophischen Journal mit dem Titel Von den Ansprüchen des gemeinen Verstandes an die Philosophie.34

Als programmatisch erweist sich die Überschrift eines 1791 von Johann August Eberhard veröffentlichten Beitrags: Vergleichung des Skepticismus und des kritischen Idealismus. Die dort fixierte, aus der antiken Debatte herrührende These fokussiert einen Grundstein der folgenden theoretischen Kämpfe: „Eine Philosophie, die weder dogmatisch noch skeptisch seyn soll, ist ein Unding.“ Schulze wiederholt 1805 diese Behauptung: „Außer der dogmatischen und skeptischen Denkart über die Möglichkeit eines Wissens, findet keine dritte, von beyden verschiedene statt. […] Und eben so wenig können sie jemals in irgend einem ihrer Resultate zusammentreffen.“35 Dem wird Hegel grundsätzlich Paroli bieten und zwar mit seinem in Jena fixierten Gedanken von einer dritten Philosophie, die weder Skeptizismus noch Dogmatismus und also beides zugleich ist.

Ein nicht zu vernachlässigendes Moment der Konstellation repräsentieren die im ersten Jahrfünft nach 1790 publizierten Übersetzungen von skeptischen Schriften: Niethammers Teilübersetzung des Sextus Empiricus (1791) sowie die Übersetzungen der beiden Hauptwerke von David Hume: Des Treatise durch L. H. Jacob und der Enquiry seitens M. W. G. Tennemann mit dem wichtigen Vorwort von Reinhold Ueber den philosophischen Skepticismus. Im Zentrum dieser ersten Phase stand die Konfrontation zwischen Kant und Reinhold einerseits sowie deren skeptischen Widersachern andererseits. Stark vergröbert gesagt geht es um eine Kontroverse zwischen den Philosophien der Kantianer und Kant-Kritiker, zwischen Denkungsarten Reinhold’scher und Schulze’scher Provenienz, sowie um die durch Erhard, Niethammer und andere vorgetragene Kritiken an der sogenannten Philosophie aus oberstem Grundsatz Reinhold’schen Typs, welche als eine neue Form von Dogmatismus ins Kreuzfeuer der Kritik gerät.

Ein neues Plateau der Skeptizismus-Debatte wird mit Fichtes Auftritt in Jena erreicht. Für Dieter Henrich zählt eine gegen Kant erneuerte Skepsis

zu den wichtigsten Ereignissen in der Entwicklung der nachkantischen Philosophie. Fichte gelangte zur Grundidee seiner Wissenschaftslehre in der Auseinandersetzung mit ihr [der Skepsis]. Für die Philosophen, die Fichte nicht folgten, aber sich doch an sein Werk anschlossen, wurde dann eine Ortsbestimmung der skeptischen Argumente zu einem ebenso dringenden Bedürfnis wie eine Begründung ihrer Position, die als von skeptischen Einreden nicht betroffen darzustellen war.36

Hier soll ein Augen- und Ohrenzeugen aus Jena, spätestens seit Schillers und Reinholds Wirken das Zentrum der philosophischen Operationen, zu Wort kommen: Der ein „Revisionstribunal“ anstrebende Karl Friedrich Forberg formuliert aus dem Blickwinkel der Skepsis-Debatte zunächst eine harte Kritik der Kant-Jünger: „[…] wenn ich auf der einen Seite zurückdenke an die entzückenden Aussichten, die der königsbergische Weise eröffnet hatte, und auf der anderen erblicke die demüthige Miene, mit welcher seine Jünger der Himmelfahrt ihres Meisters nachstaunen, zufrieden mit jedem Zipfel seines Mantels, der ihm dabey entfiel“, so lautet die Diagnose: „die Erniedrigung des Sinnes, die Geistesleerheit und die Ideenarmuth.“37 Die folgende Stelle beinhaltet die Beschreibung einer Dimension der Problemkonstellation Kant-Reinhold und nachkantische Philosophie:

[Reinhol]ds Verdienst war, daß er abführte von dem Buchstaben der Kantischen Kritik, daß er den Philosophen Deutschlands das Bedürfniß erster Principien aller Philosophie kräftig einschärfte, und sie in einem oft sehr bittern Tone daran erinnerte, daß die Kritik der Vernunft nur die Propädeutick eines philosophischen Systems, nicht aber dieses System selbst wäre. Und hier hat [Reinhol]ds Verdienst um die Philosophie seine Grenze!38

Mit Fichte tritt die Philosophie in ein neues Stadium ein, das eine wiederum neue, unter dem Namen Skeptizismus auftretende Kritik nach sich zieht: Laut Fichte hat Schulze „mich eine geraume Zeit verwirrt, Reinhold bei mir gestürzt, Kant mir verdächtig gemacht, und mein ganzes System von Grund auf umgestürzt.“39 Auf eine der Gegenstimmen rekurriert Forberg, auf Erhards Grundsatzskepsis: Dass ein höchstes Prinzip, „von dem sich alle Wahrheiten, wie von einem Knäuel abwinden lassen ein Bedürfnis für die speculative Vernunft sey, daran zweifle ich nicht. Aber ich fürchte, es geht den Philosophen mit ihrem ersten Princip, wie den Alchymisten mit dem Stein der Weisen“.40

Im Ausgang der Auseinandersetzung um Kant und im Gefolge der deutschen Rezeption der Hume-Reid-Kontroverse entstand eben eine Denkströmung, die sich als neuester Skeptizismus bezeichnete, mit ihrem Hauptprotagonisten Gottlob Ernst Schulze. Nach seiner Attacke auf Kant wirkte er als dreifacher und erfolgreicher agent provocateur von 1792 bis 1805 und löste drei einschneidende Kontroversen aus: Erstens in seinen Angriffen auf Reinhold und Fichte in den ersten 90er-Jahren mit Fichtes Verteidigung in der Aenesidemus-Rezension, zweitens die Kritik Schulzes an Schelling 1800 (Kritik der theoretischen Philosophie) und Hegels Replik im Skeptizismus-Aufsatz von 1802,41 sowie drittens Schulzes Einspruch gegen Schellings und Hegels Identitätsphilosophie aus den Jahren 1803 und 1805 und Hegels Antwort mit der Phänomenologie des Geistes. Der ganze Haufen der neuen Skeptiker – so Hegel – verehre Herrn Schulze als ihren Vormann und Heros. Die klare Unterscheidung von echter und „unechter“, edler und unedler Skepsis blieb gerade hier ein unabweisbares Erfordernis für die Denker, die wesentlich diese einmalig kreative Ära der Philosophie prägten. Und Fichte stellte sich mit der ihm eigenen Vehemenz dieser großen Herausforderung der Bedrohung durch die skeptischen Seeungeheurer, wie er die skeptische Bedrohung so schön beschreibt. Mit seiner Creuzer-Rezension 1792 greift Fichte sofort mit erheblicher Wirkung in die Debatte ein und kritisiert den Hypermoralismus Creuzers, der in der Abweisung einer begründbaren praktischen Philosophie seinen Kern hat. „Allein“ – so die Creuzer’sche These – „was das spekulative Interesse der Vernunft nicht kann, vermag das unerklärliche reinmoralische praktische Interesse derselben.“42 Die Äußerung der absoluten Selbsttätigkeit im Bestimmen des Willens wird – so Fichtes trefflicher Einwand – bloß als Postulat gefasst, nicht als Gegenstand des Wissens, sondern des Glaubens. „Gründet sich doch die gesamte Kenntniß unserer Natur am Ende auf Fakta im Bewußtseyn, die wir nicht weiter zu erklären im Stande sind, ja deren Möglichkeit wir nicht einmal einsehen.“43 Der von Fichte aufgezeigte Kern des Pudels wird hier ganz deutlich sichtbar: Die Philosophie wird darauf reduziert, dass ihre Sätze Tatsachen des Bewusstseins sind und folglich mit der Erfahrung übereinstimmen. Fichte stellt sich klar gegen diese Bankrotterklärung der Philosophie. 1793 verfasst Fichte seine berühmte Aenesidemus-Rezension, die auf die Schulze’sche Attacke auf Reinholds Fundamentalphilosophie antwortet, wobei Fichte von diesem Angriff des Aenesidemus durchaus zu einem tieferen Durchdenken seines eigenen Entwurfs genötigt wurde. Die „Anmaßungen der Vernunftkritik“ bei Reinhold wollte Schulze zurückweisen, Fichte hält dagegen und charakterisiert Schulzes Skeptizismus als uneigentliche Skepsis, als „anmaßenden Dogmatismus“.44 Die eigentliche Antwort Fichtes war bekanntlich die neue Grundsatz-Philosophie in Gestalt der Wissenschaftslehre von 1794, in der Fichte nachweist, dass die neuen Pseudo-Skeptiker mit ihrer anti-transzendentalen Argumentation in Dogmatismus und eine inakzeptable Philosophie des gesunden Menschenverstandes umschlagen.

In Fichtes „Annihilierung“ der Konzeption des in Jena wirkenden Kantianers Carl Christian Erhard Schmid – im sog. Anti-Schmid als einem weiteren Beispiel von Fichtes Auseinandersetzung mit einer vermeintlichen Skepsis – erblickte Friedrich Schlegel ein Muster der Widerlegung von pseudoskeptischen Philosophien. Der Philosophie kommt laut Schmid die „bescheidene“ Aufgabe zu, die gegebene Vielfalt systematisch zu ordnen, unsere Kenntnisse in ein System zu bringen, alle weitere Erkenntnis prinzipiell in Zweifel zu ziehen.45 Ein wie auch immer geartetes Hinausgehen über ein solches Verfahren gleicht in den Augen Schmids leeren Schwärmereien und müßigen Hirngespinsten, das Übertreten der Grenze der „Tatsachen“ wird von ihm als „Transzendentismus“ abgefertigt. Gegen die Schmid’sche Erschleichung von „Tatsachen“ wendet Fichte ein, dass die Philosophie (als Wissenschaftslehre) die notwendige, aber unbewiesene Voraussetzung der Wissenschaften erst erhärten müsse. Durch Philosophie wird „sonach unser Vorstellen erst ein Wissen“.46 Mit diesem Anspruch auf Wissen mittels Denken kommen wir ins Zentrum der frühen Wissenschaftslehre. Bei einer konsequenten Durchführung des Schmid’schen Vorgehens würde hingegen jedes systematisierende Denken zur Philosophie erhoben – „wenn“ – so Fichte – „jemand z. B. die Schneiderkunst in ein System brächte, so wäre dieses System ein Theil der angewandten Schmidischen Philosophie“.47 Das tapfere Schneiderlein Fichte holt schließlich zum letzten Streich aus, mit einem klaren Plädoyer für die edle, echte Skepsis, für den unumgänglichen Weg durch die Hölle des Negativen, durch ein Dante’sches Inferno des Zweifels: Wir sollten „einmal wenigstens in unserm Leben an allem zweifeln, und uns völlig zur leeren Tafel machen. Wer sich nicht bewußt ist, durch diesen Zustand hindurchgegangen zu sein, der sei nur im voraus sicher, daß er mit seinem Philosophiren weder sich selbst noch Andern sehr zur Freude leben werde.“48

Forberg resümiert die durch Fichtes Eingreifen neu entstandene Gefechtssituation dann wie folgt: „Die Hallenser [Kantianer] haben nun den Feldzug förmlich eröffnet.49 Ich freue mich dessen. Die Wahrheit gedeihet, wie die Tugend, nur im Kampf. Bis jetzt sind alle Kantianer und Antikantianer Gegner der Fichtischen Philosophie. Man hört überall spotten über die Fabrik erster Principien, die in Jena ordentlich angelegt scheint.“50 Fichte hatte wohl einen neuralgischen Punkt des Kantischen und Nachkantischen getroffen, was dort allseits heftigen Schmerz induzierte. Und die sogenannten Grundsatz-Skeptiker wie Erhard und Niethammer haben jetzt statt Reinhold Fichtes Jenaer Wissenschaftslehre im Visier – ein Grundsatz verweise stets auf eine Begründung und jene wiederum auf eine solche etc., ein Tropus des Sextus Empiricus. Als insuffiziente antiskeptische Strategie wird jedoch auf irgendeine Art von Unmittelbarkeit rekurriert, ein Faktum, ein bittweise Angenommenes – Instinkt, Eingebung, unmittelbares Wissen, gesunder Menschenverstand, Schulzes unleugbare Tatsachen des Bewusstseins – alle diese Formen „machen auf die gleiche Weise die Unmittelbarkeit, wie sich ein Inhalt im Bewußtsein findet, eine Tatsache in diesem ist, zum Prinzip“. Niethammer behauptet, dass der Skeptizismus dort, „wo kein Satz, sondern ein unmittelbares Faktum zu Grunde gelegt wird, keine Einsprache mehr tun“ könne, denn von „einer Thatsache kann man weiter keinen Beweis fordern, als den des unmittelbaren Bewußtseins“.51 Damit wird nun keineswegs Resistenz gegen die pyrrhonischen Tropen gewonnen, stattdessen gerät man in einen neuen Dogmatismus der Unmittelbarkeit.

Dagegen tritt schon Mitte der 90er-Jahre ein mit der antiken Skepsis bestens Vertrauter auf – Friedrich Schlegel, der solcherart Pseudoskepsis als empirisches und unkritisches Dogma attackiert. „Die Empiriker“ – so Schlegel – „denken sich das als Burgfriedensbruch, als Gränzverletzung, wenn man über die Welt der Erscheinungen hinausgeht“ und sie „stürzen in die Aporie einer absoluten sich selbst setzenden Grenze des Wissens“.52 Dagegen wird von Fichte und Schelling der Maimon’sche durchgreifende Skeptizismus gegen das Vorurteil des philosophischen Realismus in Stellung gebracht, das Vorurteil, dass die Dinge außer uns unmittelbar gewiss sein sollen. Der gemeine Menschenverstand – so Fichte – unterstellt, postuliert einfach, dass die Welt immer sein würde, wenn auch er nicht wäre. Das zu rekognoszierende Gelände wird sehr unübersichtlich: Wer ist hier ein echter Skeptiker? Was sind wahrhaft skeptische Einsprüche? Kann der Skeptiker wirklich mit Argumenten arbeiten? Welche Immunisierungsstrategien sind erfolgreich? Die Immunisierung des eigenen Denkens gegen das Treiben der „skeptischen Seeungeheuer“ wird jedenfalls bei Fichte und Hegel als eine entscheidende Herausforderung begriffen.

Kant und der deutsche Idealismus

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