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Anforderungen Sozialer Arbeit in und mit Gemeinwesen

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Ziele Sozialer Arbeit in und mit Gemeinwesen beziehen sich auf Erhalt und Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen in sozialräumlichen Kontexten, im Sinne der dort lebenden Menschen, insbesondere aber auf die Verbesserung der Lebensqualität in benachteiligten Lebenswelten. Zentrale Aufgabe der Sozialen Arbeit in und mit Gemeinwesen ist die »Gestaltung von Lebenswelten« und nicht die »Befriedigung von Kundenbedürfnissen« (Becker 2013). Menschen in Stadtteil oder Quartier sind keine KundInnen sondern BürgerInnen mit Rechten und Pflichten, unterschiedlichen Ressourcen, Erfahrungen und Kompetenzen, sie sind Betroffene und AkteurInnen und zugleich mehr oder weniger anerkannte ExpertInnen ihres Lebensumfeldes (Hinte/Lüttringhaus/Oelschlägel 2007: 130 ff.). Die Gestaltung von Lebenswelten erfordert sowohl die Verankerung der Sozialen Arbeit in Stadtteil oder Quartier als auch die Arbeit auf anderen Steuerungsebenen und wird damit wichtiger Teil sozialer Stadt- und Quartierentwicklung. Dort ist danach zu fragen, wie eine Stadt und ihre Quartiere so gestaltet werden können, dass sie den Interessen ihrer älter und bunter werdenden Bevölkerung gerecht werden und für eine vielfältige Bevölkerung aus Jung und Alt, Einheimischen und Zugereisten, Armen und Reichen, Kindern und Erwachsenen attraktiv, sozial gerecht, wirtschaftlich leistungsfähig und ökologisch nachhaltig sind oder werden.

Die Fokussierung auf ein Handlungsfeld beruht auf dem diesem Band zugrunde liegenden »Freiburger Modell der Handlungsfeldorientierung« (Becker/Kricheldorff/Schwab 2020e) und bedeutet, die aktuellen Bedingungen und Entwicklungen in bestimmten Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit in den Blick zu nehmen und die daraus abzuleitenden Aktionen und Interventionen professioneller Sozialer Arbeit in Bezug zu den jeweils passenden Handlungskonzepten und Methoden zu entwickeln. Das Handlungskonzept Sozialraumorientierung wird also auf die handlungsfeldspezifischen Charakteristika von Aufgabenstellungen, Rechtsgrundlagen, Governance, Trägerlandschaften und Situationen von Stadt- und Quartierentwicklung bezogen. Auf der Grundlage des dreidimensionalen


Abb. 4: Handlungskonzepte Sozialer Arbeit Quelle: eigene Bearbeitung, Becker 2014

Kompetenzbegriffs, wie er im Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR)11 definiert wird, spielen sowohl theoriebegründete Handlungskonzepte als auch die Methoden der Sozialen Arbeit eine wichtige Rolle beim Kompetenzerwerb durch Kenntnisse, Fertigkeiten und Haltungen. Die Kombination von Wissensbeständen aus Bezugswissenschaften und Erkenntnissen der Wissenschaft Soziale Arbeit (Erklärungswissen) mit Kenntnissen und Fähigkeiten der Entwicklung und Anwendung von Methoden (Handlungswissen und Analyse-/Synthese-/Kritikfähigkeit) bildet auf der Grundlage von Wertorientierungen und Haltungen die Basis der Ausbildung spezifischer Handlungskompetenzen Sozialer Arbeit.

Das Handlungsfeld Sozialer Arbeit in und mit Gemeinwesen erfordert spezifische Kenntnisse sowie ein differenziertes Verständnis sozialer Probleme. Dafür braucht es eine Verständigung über gesellschaftliche Strukturen und Prozesse, die problematische Lebenslagen produzieren können. Grundlage dafür sind Fähigkeiten, gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie demografische, ökonomische, politische und ökologische Strukturen und Prozesse analysieren und kritisch interpretieren zu können. Im Einzelnen geht es darum, wesentliche demografische Trends (wie Bevölkerungswachstum und -schrumpfung, Bevölkerungsmigration, Bevölkerungsalterung), ökonomische Entwicklungen (wie Globalisierung, Tertiarisierung, Polarisierung von Regionen, Stadtgesellschaften, Arbeitsmarkt und interkommunaler Wettbewerb), politische Veränderungen (wie z. B. »unternehmerische Stadtpolitik«) und deren gesellschaftliche Auswirkungen zu kennen und diese vor dem Hintergrund entsprechender Theorien erklären sowie Interventionen im Rahmen staatlicher Sozial-/Wohlfahrtsregime konzipieren und bewerten zu können.

Darüber hinaus gilt es, die politischen, rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für effektive Interventionen Sozialer Arbeit analysieren, bewerten und, auf lokale Gegebenheiten übertragen, nutzen zu können. Das Wissen um individuelle Lebenslagen, aber auch sozialpsychologische und soziologische Erkenntnisse über menschliche Lebensformen und Milieus sind hilfreich, um Beteiligungs- und Aktivierungsprozesse in und mit Gemeinwesen entwickeln, initiieren und durchführen zu können, die den betroffenen Menschen, unter Einbezug ihrer Interessen und Fähigkeiten, mehr Handlungsoptionen eröffnen und ihre Selbstwirksamkeitserfahrungen erweitern. Sich als Fachkräfte weniger als ›ProblemlöserIn‹, sondern eher als ›UnterstützerIn‹ von Potentialen und Interessen, die teilweise bereits vorhanden, aber noch nicht zur Geltung gekommen sind, zu verstehen, ist dabei Teil der professionellen Haltung. Der Aufbau einer professionsbezogenen Identität wird durch eine Verständigung über die Geschichte und die Entwicklungsphasen des Handlungsfelds ermöglicht und gefördert. Dazu ist die Reflexion des beruflichen Selbstverständnisses und der Wertvorstellungen, an denen sich das berufliche Engagement orientiert, erforderlich. Die eigene Rolle als GemeinwesenarbeiterIn, QuartiermanagerIn oder sozialraumorientierte SozialarbeiterIn in anderen Handlungsfeldern definieren und gegenüber KollegInnen der eigenen und anderer Berufsgruppen/Professionen sowie AdressatInnen verständlich darzustellen, gehört zu den professionellen Kompetenzen. Dies impliziert, die für Soziale Arbeit im Handlungsfeld Sozialer Arbeit in und mit Gemeinwesen wesentlichen Handlungskonzepte (wie Sozialraum-, Lebenswelt-, Ressourcen-, Managementorientierung) und Methoden (wie z. B. Empowerment, Netzwerkarbeit, Bürgerbeteiligung, Streetwork, Projektarbeit, Sozialstrukturanalyse, Sozialraumanalyse etc.) kennen und situations- und personengerecht anwenden zu können. Dazu sind Fähigkeiten erforderlich, für das Handlungsfeld wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse recherchieren, analysieren, interpretieren und anwenden zu können. Neben Sozialstruktur- und Sozialraumanalysen sind weitere Methoden und Instrumente der Aktionsforschung (wie z. B. die aktivierende Befragung) zu kennen und konzipieren, durchführen und auswerten zu können.

Der überwiegende Teil der Interventionen im Handlungsfeld Sozialer Arbeit in und mit Gemeinwesen wird in Kooperation mit Institutionen, Verbänden und Vereinigungen organisiert. Für die Bearbeitung sozialer Probleme sind in diesem Kontext unterschiedliche institutionelle und disziplinäre Perspektiven relevant. Zur Akquise und Durchführung von Projekten ist der institutionellen Vernetzung besondere Bedeutung beizumessen. Fachkräfte Sozialer Arbeit können Kommunikations- und Arbeitsformen konzipieren, die lokale AkteurInnen und Bevölkerung miteinander in Verbindung bringen, um die Belange des Quartiers auf den Ebenen Quartier-Kommune-Region zu positionieren. Sie können Projekte initiieren und durchführen, auswerten und öffentlichkeitswirksam darstellen. Sie können interdisziplinär, mit Angehörigen anderer Professionen, ›auf gleicher Augenhöhe‹ zusammenarbeiten und dabei mit unterschiedlichen Hierarchiestrukturen umgehen.

Sowohl für die verschiedenen Beteiligungs- und Aktivierungsformen als auch für die Präsentation von Projekten und deren Ergebnissen werden grundlegende medienpädagogische Handlungs-, Ausdrucks- und Kommunikationskompetenzen für den Interaktionsprozess mit Einzelnen und Gruppen benötigt. Fachkräfte sind in der Lage, Zusammenhänge übersichtlich und anschaulich zu visualisieren und dabei auch ein größeres Publikum einzubeziehen. Sie kennen Moderationstechniken für Großgruppen und Beteiligungsformen, die unterschiedliche Bildungsstände und Erfahrungen von BürgerInnen mit Beteiligungsformen berücksichtigen, und sie sind in der Lage, diese situations- und personenadäquat zu konzipieren und einzusetzen. Eine auf fundierter Grundlage ausgearbeitete Darstellung der Aufgabendimensionen Sozialer Arbeit in und mit Gemeinwesen findet sich in Becker (2016a).

Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit in der Sozialen Arbeit

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