Читать книгу Getting It Better - Martin Bensen - Страница 10
Kasuga
Оглавление„Und du bist dir wirklich sicher?“ Meine Mutter sieht mich forschend an. „Wehe, die steht nachher in der Ecke rum.“
Ich umklammere die Gitarre, als gehörte sie schon mir, aber noch ist sie nicht bezahlt.
„Ganz sicher“, stöhne ich. Wie oft denn noch? Ich bezahle die doch komplett von meinem Geld. Die 140 Mark von meinem Sparbuch und weitere 100 Mark von meinem Taschengeld, das ich für den kleinen Ferienjob in den Gartenanlagen des neuen Krankenhauses bekommen habe, in dem mein Vater jetzt als Krankenpfleger arbeitet. Da bleibt sogar noch etwas Geld für eine Tasche und einen zweiten Satz Saiten übrig.
Wie oft habe ich mir die Nase am Schaufenster des kleinen Musikladens plattgedrückt, mich kaum von der Auslage lösen können, in der drei Konzertgitarren auf Ständern glänzten. Jetzt stehe ich mit meiner Mutter vor der Ladentheke, ziehe immer noch genüsslich den zitronigen Duft ein, der mich schon beim Betreten des Geschäfts in Hochstimmung gebracht hatte. So riecht das Paradies, nach Zitrone und nicht nach Milch und Honig. Auch die Gitarre selbst riecht so. Aus dem Schallloch nach Holzleim – ein wenig wie meine selbstgebastelte Gitarre damals auch.
„Mit der Kasuga 310 machen Sie nichts falsch“, sagt der Ladenbesitzer mehr an meine Mutter als an mich gewandt und zwirbelt die Spitzen seines imposanten Schnurrbarts. „Sie klingt nicht ganz so voll wie die 312er, aber der Unterschied ist minimal – im Gegensatz zum Preis.“
Dat is‘n guten Schuh, höre ich in meiner Erinnerung den Schuhladenbesitzer sagen, bei dem wir Kunden sind, seit ich denken kann. Es mussten jedenfalls immer günstige Schuhe sein, denn wir drei Kinder wuchsen alle Nase lang aus ihnen heraus. Ich werde unsicher. Ob ich doch die 312er nehmen soll? Allerdings wäre dann kein Geld mehr übrig für die Gitarrentasche und einen Satz Nylonsaiten, die der Verkäufer mir dringend empfiehlt, weil gerade am Anfang „schnell mal eine reißt“. Andererseits habe ich kaum einen Unterschied zwischen den beiden Modellen gehört, als der Verkäufer mit seinen Wurstfingern über die Saiten fuhr.
„Also dann!“ Meine Mutter nimmt mir die Entscheidung ab, indem sie kurz Daumen und Zeigefinger aneinander reibt.
Der rotgesichtige Ladenbesitzer lacht und schiebt die Gitarre vorsichtig in die hellbraune Tasche aus Kunstleder. Schnaufend tippt er ein paarmal auf die Tasten der alten Registrierkasse, dessen Schublade kurz darauf mit einem Bimmeln aufspringt.
„Das macht dann 239 Mark zusammen, junger Mann.“ Seine Backen glänzen.
Ob Botte seine Gitarre schon hat? Für ihn bliebe jetzt nur noch die teurere Kasuga, so viel weiß ich. Vorausgesetzt, er kauft auch hier und nicht in Gronau oder sogar Münster. Feierlich lege ich zwei blaue und zwei grüne Scheine auf den Tisch, die wir kurz zuvor nur ein paar Meter weiter von der Sparkasse geholt haben. Ich muss daran denken, wie ich als Kind mit Vorliebe den Zwanzigmarkschein „gefälscht“ habe, die Banknote an der Fensterscheibe, ein Blatt Zeichenpapier darüber haltend und gegen das Licht die Konturen akribisch nachzeichnend, die ich später mit Buntstiften ausmalte, etliche verregnete Nachmittage lang.
„Viel Spaß dann mit dem guten Stück! Und wenn wat is, kommste vorbei, ne?“ Der Verkäufer gibt mir sogar die Hand, ehe er mir das eingepackte Instrument reicht und wir den Laden verlassen.
Es fühlt sich ungewohnt an. Nicht, dass ich mit meiner Mutter einkaufe, sondern dass ich zum ersten Mal selber bezahle. Ich bin kein Kind mehr. Vorbei die Zeiten, als ich eine Jacke oder Hose nur in Begleitung und mit dem Geld meiner Eltern kaufen konnte. Wer weiß, vielleicht wirft die Musik ja was ab. Botte und ich haben nämlich vor aufzutreten, sobald wir spielen können. Nächste Woche beginnt der Gitarrenkurs an der Volkshochschule. Ich kann es gar nicht erwarten.
„Jetzt hetz doch nich so!“, ruft meine Mutter von hinten. „Nachher fällste noch hin und dat Ding ist kaputt!“
Ein Mädchen mit langen, dunklen Locken kommt aus dem katholischen Stift, sieht erst meine Gitarrentasche, dann mich an. Ihr Lächeln trägt mich bis nach Hause.