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Getting it better

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In den folgenden Wochen wachsen wir über uns hinaus. Schon das Beherrschen von drei Akkorden reicht uns, um zu neuen Ufern aufzubrechen. Wie unsere großen Vorbilder, die Beatles, von denen wir uns weitere Platten ausleihen, auf Kassette aufnehmen und in jeder freien Minute anhören, immer mit der Gitarre auf dem Schoß und in der Absicht, das Gehörte auf das Griffbrett zu übertragen. Und so fangen wir auch an, eigene Songs zu komponieren. Botte stellt sich dabei viel kreativer an als ich, er sprudelt über vor Ideen und webt jeden Akkord, den wir lernen, in eine eigene, neue Melodie ein. Okay, sie klingen alle sehr nach Beatles, aber das ist ja gerade gut und ziemlich genial von Botte. Ich bin eher der Akkordefinder, schaffe es sogar, den Auftaktdreiklang von all I’ve got to do zu entschlüsseln. Sofort nehmen wir das Lied in unser Repertoire auf.

Im selben Maße, in dem wir unsere Gitarrenfertigkeiten entwickeln, arbeiten wir an unseren Stimmen, lernen die Tonhöhe zu halten, auch wenn der andere eine Lage tiefer oder höher singt. Bald beherrschen wir einen ziemlich passablen zweistimmigen Gesang, ohne dass wir auch nur eine Note lesen oder aufschreiben können. Der Gitarrenkurs hat uns diese Fähigkeit nicht vermittelt. Akkorde, Schlagtechniken und ein wenig Zupftechnik – Fingerpicking –, mehr war in einem Grundkurs nicht zu haben. Eine Fortsetzung gibt es leider nicht, denn Werner zieht es vollends nach Münster, um sich auf sein Examen zu konzentrieren. Wir treffen ihn noch zweimal: das eine Mal in unserem Heimatort bei einem Auftritt seines Jazzquartetts, in dem er einen langweiligen Bass zu langweiligem Dixie spielt, und das andere Mal, als wir an einem sonnigen Spätsommertag auf der Promenade unterwegs sind und er uns auf seinem Fahrrad entgegenkommt, wie immer lässig und entspannt – und in Begleitung einer Frau, die Botte und ich ziemlich scharf finden. Der Spott über das Pfannkuchengesicht hat sich damit endgültig erledigt.

In Münster besorgen wir uns endlich vernünftige Gitarrenbücher. Die Liederkiste haben wir gründlich satt, sowohl die Songauswahl als auch die transponierten Akkorde. Die Originallieder, zumal die der Beatles, klingen völlig anders. Botte ersteht das Beatles Songbook, ein gelbes dtv-Bändchen, das zumindest die korrekten Texte enthält. Ich entdecke ein günstiges Taschenbuch über die Beatles von Hunter Davies, das ich in drei Nächten zweimal lese. Immer wieder blättere ich darin herum und träume mich in eine eigene Welt, in der Botte und ich berühmt werden. Fangen nicht auch wir so an, wie Lennon und McCartney, die beiden produktivsten Beatles angefangen haben?

Ich beginne aufzuholen, bringe meine Songideen stärker ein, auch Ideen für Texte, obwohl mir das Dichten auf Englisch nicht so liegt. Aber Botte auch nicht. Warum singen wir nicht einfach auf Deutsch?

„Pah“, macht Botte. „Willst du bei Dieter Thomas Heck auftreten, oder was?“

„Ne“, sage ich nur und spiele einige abgehackte Akkorde.

„Hey, das ist gut!“ Botte singt los: „Get-ting it, get-ting it, get-ting it bet-ter ...“

„Nicht schlecht“, lache ich. „Klingt natürlich ein bisschen wie Getting better.“

„Klar“, grinst Botte, „wobei ich ein bisschen Sorge habe, dass man uns das G pervertiert.“

Ich kapiere nicht, was er meint.

„Na, pervers macht ...“ Botte lacht. „Aus G mach P.“

„Achso. Oh Gott.“ Jetzt muss ich auch lachen. „Vielleicht die Blagen.“

„Ich wollte es nur gesagt haben.“

Gemeinsam texten wir weiter, feilen noch an der Melodie, mildern das Staccato etwas ab.

„Hey“, sagt Botte zufrieden. „Das ist echt gut geworden – ne echte Kiffler/Bothe-Komposition.“

„Yeah – und sogar zweistimmig!“

„Und jetzt erzähl du mir, wie wir sowas auf Deutsch singen würden? Besser machen, besser machen – mach es besser ...“

„Klingt scheiße“, muss ich zugeben. „Andererseits bin ich mir gar nicht so sicher, ob ein Engländer überhaupt Getting it better so sagen würde, wie wir das jetzt getextet haben.“

„Ist doch egal. Klingt aber gut.“

Tatsächlich machen wir es immer besser. Mit jedem neuen Akkord wächst unser Repertoire. In einem alten Buchkalender von 1973 halte ich unsere Songs fest. Über die Textzeilen in Blau setze ich die passenden Akkorde in Rot. Leider reicht das nicht immer, vor allem bei den neuen Liedern. Denn manchmal fällt uns zwei oder drei Tage später nicht mehr ein, wie die Gesangsstimme ging oder auch der Takt und die Schlagtechnik. Ratlos schrubben wir dann die Akkorde, suchen die ursprüngliche Melodie.

„Wollen wir nicht doch noch Noten lernen?“

Botte winkt ab. „Kommen mir nicht ins Haus. Lieber nehmen wir alle Songs auf. Dann wissen wir immer, wie wir sie das nächste Mal spielen müssen.“

Im November ist es so weit: Wir haben unser erstes Konzert. Ausgerechnet an einem Sonntag ziehen wir mit unseren Gitarren los. Wir setzen uns an den Rathausbrunnen und fangen einfach an zu spielen und zu singen. Wir haben keine Scheu, denn das Publikum ist spärlich, um nicht zu sagen: nicht vorhanden. Als wir unser Pulver schon fast verschossen haben, bleibt eine alte Frau mit Hund stehen. Doch sie kommt nicht dazu, uns zuzuhören, denn ihr kleiner Terrier zieht an der Leine und kläfft in einem fort.

„Für den Anfang gar nicht mal so unübel“, sagt Botte, als wir unsere Gitarren wieder einpacken. Ich habe es irgendwann sein gelassen, seine falsch verwendete doppelte Verneinung zu korrigieren.

„Na, ich weiß ja nicht.“

„Wieso denn? Es ist Sonntag und der Platz ist natürlich nicht der beste.“

„Und warum sind wir dann hier?“

„Testlauf. Das nächste Mal stellen wir uns vors Café und dann machen wir das an einem Samstag. Die neue Fußgängerzone ist doch das beste, was uns passieren kann.“ Bottes Augen leuchten. „Das wird super. Übrigens brauchen wir Gurte. Sitzen ist was für alte Blues-Opas, das machen ja noch nicht mal die Jazzer.“

„Bist du sicher, dass wir schon so weit sind? Die paar Songs reichen doch nie und nimmer.“

„Ne, natürlich nicht. Ich hab schon wieder ein paar Ideen. Außerdem sollten wir uns noch Ticket to ride und Dizzy Miss Lizzy draufschaffen. Wolltest du nicht dein Lied auch mal vorspielen?“

Botte kann richtig unangenehm sein mit seiner fordernden Art. Andererseits bringt er uns voran. Er dominiert unser Duo und anders als ich ist er auf eine nicht unsympathische Weise geltungsbedürftig. Meinen Eltern ist das auch schon aufgefallen. Ich solle mich bloß nicht von ihm herumkommandieren lassen. Und so albern wie er solle ich auch nicht sein. Damit meinen sie seinen schrägen Humor. Mit elf oder zwölf ging es meistens darum, dass etwas oder jemand in die Luft fliegt. „Bouw!“, schrie er dann immer und lachte sich schlapp. Natürlich meinte er das nicht ernst. Genauso wenig seinen Kommentar zu einem Todesfall in der Nachbarschaft: „Macht nix, dann ist schon wieder mehr Platz für die Tiere.“ Für Botte ist alles ein großes, lustiges Spiel. Als er mal mit seinem Fahrrad gestürzt war, machte er sich einen Spaß daraus, seine Abschürfungen an Knien und Händen zu zelebrieren. Der kleine, kaum wahrnehmbare Fleck auf dem rauen Asphalt unserer Straße, brachte aber nicht ihn, sondern mich auf die Idee mit den Sauerkirschen. Voller Eifer pflückten wir die reifen Früchte von dem kleinen Baum in unseren Garten und quetschten sie an der Unfallstelle aus. Die Kerne warfen wir weg und verschmierten die Masse zu einem großen Fleck. Alles wäre gut gewesen, wäre ich nicht auch noch auf die Idee mit den Zetteln gekommen. Weil einige Kinder und auch Erwachsene fragten, was denn das für ein Fleck sei, wollten wir die Sache richtig ausschlachten. Auf kleinen Handzetteln schrieben wir die kurze Meldung, dass Robert Bothe auf unserer Straße schwer verunglückt sei; an der Unfallstelle könne man noch den Blutfleck sehen. Die Zettel warfen wir in die Briefkästen der Nachbarn. Ein großer Fehler. Das Telefon bei Bothes stand nicht mehr still und wir bekamen einen Riesenärger.

Ich denke oft darüber nach, wie mein Leben ohne Botte wäre. So anstrengend er manchmal ist und so sehr er mich fordert und mitunter auch dominiert, so interessant ist unsere Freundschaft – erst recht, seitdem wir zusammen Musik machen. Botte ist mein Vorbild, wenn es um Mut, Kreativität und Selbstbewusstsein geht. Sein Lachen ist ansteckend. Er weiß hoffentlich nicht, wie sehr ich ihn bewundere, dass ich ihm sogar seine Scherze stehle, wenn er nicht dabei ist – etwa in der Schule, die zum Glück eine andere ist als seine. Botte geht auf die Realschule und muss dazu jeden Tag in einen Nachbarort pendeln. Ich besuche das Gymnasium in Doesbeck und war dort am Anfang sehr unglücklich, weil keiner meiner damaligen Freunde dorthin gewechselt ist. Ausgerechnet Bottes Humor hat mir später geholfen, neue Freunde zu finden, nachdem ich anfangs alles andere als beliebt gewesen war. Wegen meiner Länge fühlte ich mich unwohl, sie passte auch gar nicht zu meiner Schüchternheit, wegen der ich mich am liebsten verkrochen hätte. Ich bekam einen roten Kopf, wenn ich im Unterricht etwas sagen musste, und weil ich dünn und linkisch war, interessierten sich auch die Mädchen nicht für mich. Zudem machten sich alle über meinen Namen lustig, nannten mich Kiffer statt Kiffler, wie ich nun mal heiße. Dann änderte sich die Lage: Wie Botte ließ ich mir nicht nur die Haare wachsen, setzte mich endgültig auch gegen meine Eltern durch, sondern begann auch, Witze zu erzählen – Scherze von Botte. Mit durchschlagendem Effekt: Ich brachte meine Mitschüler zum Lachen. Sie fanden mich plötzlich interessant, so sehr, dass ich bald zum Kreis der angesagten Jungs gehörte und endlich auch bei meinem Vornamen Thomas beziehungsweise Tommy oder Tom genannt wurde. Meiner Klassenlehrerin, Frau Butt, blieb diese Entwicklung nicht verborgen. Auch nicht, dass ich gute Aufsätze schrieb, etwas, das ich ausnahmsweise Botte voraushatte.

Aber ausgerechnet diese Lehrerin gehört zu den Zuschauern unseres zweiten Auftritts in der noch ungewohnten neuen Fußgängerzone. Frau Butt kommt gerade in dem Moment dazu, als wir uns total verspielen und unter dem Gelächter einiger Sechstklässler neu beginnen müssen.

Botte lacht das einfach weg. Ich kann das nicht, ich hadere mit so etwas, bin dann wie gelähmt. Meine Lehrerin legt den Kopf schief. Das macht sie immer, wenn jemand von uns Schülern im Unterricht versagt. Jetzt fühle ich mich so. Wie damals im Schulchor bei der Kommunionfeier meines kleinen Bruders. Die Jungs, die jetzt lachen, sind aus der Klasse meines jüngsten Bruders, verwöhnte Kinder, die Botte als „Reichensöhnchen“ verspottet, als Palominos, nach der Modemarke für Kinder. „Help“, zischt Botte. Ich nicke, aber ich verstehe ihn falsch. Er schreit das Wort heraus. „I need somebody!“, singt er. Jetzt begreife ich. Das Beatles-Lied. Wir haben es nie richtig geübt. Doch wie von selbst fliegen mir die Akkorde zu, die Worte. Und immer sicherer stimme ich ein, schreie mir die Scheu von der Seele. Botte lacht laut auf und dann springt er förmlich in den Refrain. Am Ende klatschen einige Leute, die Kinder schütteln nur den Kopf. Meine Lehrerin ist schon wieder weg. Ich merke, dass ich eigentlich nur ihr etwas beweisen wollte. Anderntags in der Schule lässt sie sich nichts anmerken. Nur einmal lächelt sie mir zu. Freundlich und irgendwie anerkennend.

Getting It Better

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