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Mist

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Mitte Januar ruft mein ehemaliger Schulfreund Jockel bei mir an. In der sechsten Klasse habe ich mit ihm ein Jahr in der ersten Reihe gesessen, weil die Klassenlehrerin uns im Blick haben wollte. Eigentlich ging es dabei mehr um ihn und darum, dass man mir einen mäßigenden Einfluss auf ihn zutraute und ihm einen antreibenden auf mich. Es funktionierte nur im Ansatz; später musste er das Gymnasium wegen schwacher Leistungen und einiger nicht duldbarer Vorkommnisse verlassen.

Obwohl wir grundverschieden waren, freundeten wir uns an. Im Haus seiner Familie, in der Nachbarschaft meiner Oma, gab es einen Partykeller, der komplett mit Stanniolpapier ausgekleidet war; an den Wänden hingen Poster der Popstars, an der Tür zu einer kleinen Küche ein lebensgroßer Starschnitt des amerikanischen Weltklasse-Schwimmers Mark Spitz in schmaler Badehose und mit Goldmedaillen vor dem nackten Waschbrettbauch. Manchmal durften wir in dem Keller Cola trinken und Musik hören, doch oft kam der ältere Bruder mit Freundinnen und Freunden und verjagte uns dann. Einmal war der Bruder auch alleine unten, da hörte ich ihn Saxophon spielen.

Wie ein Echo aus dieser Vergangenheit klingt das, was Jockel mir erzählt. Es sei so, dass sein Bruder Roland bald zwanzig werde. Er studiere schon in Münster, wolle aber lieber auf dem Land feiern. Es gebe da eine Scheune im Nachbarort, die gehöre einem Kumpel von ihm. Da könne man saufen, essen, tanzen und später einfach ins Stroh fallen.

Ehe ich fragen kann, was das Ganze denn nun mit mir zu tun habe, kommt er auf Botte und mich zurück.

„Als ihr da neulich in der Fußgängerzone gespielt habt, hab ich gedacht, das wäre doch was für Roland. Er macht leider keine Musik mehr, aber er findet es toll, wenn jemand anders auf seiner Fete spielt, das hat er mir letztens im Suff gesagt.“

„Aber da gibt’s doch ganz andere Bands“, unterbreche ich ihn. „So richtige, meine ich, mit Schlagzeug, E-Gitarren und so.“

„Ne, ne. Was kaum jemand weiß: Er steht total auf Beatles. Simon & Garfunkel findet er auch spitze. Und seid ihr nicht so ähnlich?“

Nicht schon wieder, denke ich, höre aber weiter zu.

„Die Sache ist: Ich würde ihm das gerne schenken. Also euch. Also dass ihr da auftretet.“

Warum eigentlich nicht? Der Gedanke gefällt mir. Ob Botte da mitzieht?

„Die Sache ist aber auch: Ich kann euch leider nicht viel geben. Meine Eltern halten mich total kurz und auf der hohen Kante hab ich nix.“

„Hm“, sage ich gedehnt. „Mir würde das ja nichts ausmachen. Schon aus alter Freundschaft. Aber ich weiß nicht, was Botte dazu sagt.“

„Der andere? Kannst du ihn mal fragen? Wäre gut, wenn ich noch heute was höre. Sonst muss ich mir nämlich was anderes einfallen lassen.“

Ich verspreche es ihm. Bevor ich Botte anrufe, überlege ich, wie ich ihn überzeugen könnte. Dann greife ich zum Telefonhörer.

„Das ist natürlich blöd.“ Wie erwartet ist Botte alles andere als begeistert. „Wie kommen wir da überhaupt hin? Pennen werde ich da auf keinen Fall. Außerdem ist es doch bestimmt rattenkalt in so’ner Scheune. Und stinken wirds da auch. Ich hasse das. Mir reicht schon die Gülle auf den Feldern.“

Ich gebe ihm recht. „Andererseits haben wir schon eine Weile nicht gespielt. Und wir haben noch Zeit bis dahin. Ende Februar kann es auch schon wieder deutlich wärmer sein als jetzt.“

Botte sagt nichts. Ich lege nach: „Lass uns doch so richtig abgehen. Das wird bestimmt lustig bei den Typen. Ich kenn den Bruder gut, der ist echt in Ordnung.“

„Bleibt immer noch die Frage, wie wir da hinkommen“, lenkt Botte ein.

„Ich frag meinen Vater, ob er uns hinbringt und auch wieder abholt, okay?“

„Dann ja“, sagt er und verabschiedet sich.

Im Grunde will er doch auch wieder spielen, das spüre ich. Wir müssen dranbleiben. Die Weihnachtszeit und das kalte Wetter haben uns etwas träge werden lassen. Dazu passt, dass wir uns in letzter Zeit kaum gesehen haben.

***

„Habt ihr schon mal über eine Anlage gespielt?“ Der Bärtige mit der Bierflasche in der Hand fummelt an einer Lautsprecherbox herum.

„Ne“, sagt Botte, „aber du kannst uns das ja so einstellen, dass wir nix machen müssen.“

„Außer vielleicht spielen, ne?“ Der Typ scheint ein richtiger Witzbold zu sein. Jetzt macht er sich an einem der beiden Mikrofonständer zu schaffen.

„Könnt ihr mal ansingen?“ Der Bärtige schlurft quer durch die Scheune auf den offenen Heuboden zu, unter dem ein Tisch mit einem Mischpult steht. Es wird von einer Schreibtischlampe erhellt.

„Und bitte!“

Botte macht mir ein Zeichen, also trete ich ans Mikrofon. Auf halber Höhe streckt sich mir ein zweites Mikro für die Gitarre entgegen. Das ist ja ein Service! Ich spiele Cherry Blood an, eine Eigenkomposition mit satten Dur-Akkorden und einem zügigen Rhythmus.

„Danke! Und jetzt du!“

Botte schreitet gemächlich zum anderen Ständer, doch statt zu singen, sagt er nur langsam „eins, zwo, drei vier“ und schrammt ein paarmal lustlos über die offenen Saiten.

„Okay“, kommt es vom Mischpult.

„Warum so lustlos?“, frage ich ihn. „Hättest ja einfach absagen können, wenn du keinen Bock hast. Aber so ist das doch scheiße.“

Botte stöhnt laut auf. Immer wenn er sich ärgert, verengen sich seine Augen. Dass er innerlich kocht, erkenne ich daran, dass er ganz still wird. Meistens reagiert er dann nicht mehr auf Ansprache, manchmal haut er einfach ab. Das geht hier aber nicht. Mein Vater hat uns wie ausgemacht auf 18 Uhr hergebracht und wird uns um zehn wieder abholen.

So weit, wie wir dachten, war es gar nicht. Aber wir waren trotzdem froh, gefahren zu werden, denn es ist noch einmal richtig kalt geworden. Hier in der Scheune ist es allerdings gemütlich warm. Dafür stinkt es. Und vielleicht ist es das, was wiederum Botte stinkt.

„Hey, da isser ja, der Kiffer!“

„Kiffler“, korrigiere ich augenrollend und blicke in das grinsende Gesicht von Jockels großem Bruder. Roland sieht wilder aus als damals, etwa so wie der Räuber Hotzenplotz in meinem Kinderbuch, hat einen langen, buschigen Bart und schulterlange, braune Haare. Er trägt ein Shirt mit weit gelockerten Schnüren unter seiner Lederjacke, dazu eine zerschlissene Jeans und Cowboystiefel. Genau besehen sieht er aus wie der bärtige Jim Morrison von den Doors.

„Ja, weiß ich doch. Spitzenname, echt ey. Und du machst jetzt Musik?“ Roland lallt etwas.

„Wir versuchen es wenigstens. Das hier ist übrigens Botte, mein Mitstreiter.“ Das Wort rutscht mir nicht grundlos heraus.

Botte nickt nur. Er schmollt immer noch.

„Na, dann ist ja alles in Botter“, sagt unser Gastgeber lachend. Der ist sich wirklich für nichts zu schade – entschuldigend sehe ich Botte an, was ihm aber herzlich egal zu sein scheint.

„Ach so ...“ Ich drehe mich wieder zu Jockels Bruder. „Alles Gute zum Geburtstag übrigens!“

Er guckt erstaunt. „Wer hat denn was von Geburtstag gesagt? Der Jockel etwa? Noch’n Grund, warum er schön zu Hause bleiben muss.“ Damit schwankt er am Mischpult vorbei durch eine weitere Tür und ist weg.

Botte sieht mich schweigend an. Sein Blick ist eine Mischung aus Genugtuung und Anklage. Er hat mal wieder alles gewusst, ganz klar! Jetzt werde auch ich wütend. Sehr sogar.

Gerade will ich meine Sachen einpacken und zur Not nach Hause laufen, da kommt eine ganze Horde Menschen aus dem hinteren Gebäudeteil in die Scheune, mindestens zwanzig Leute, die allesamt wie die Typen von Hair aussehen. Sie fangen an zu johlen, einige pfeifen durch zwei Finger, andere klatschen rhythmisch und stecken alle damit an.

Da überrascht mich Botte. „Au“, schreit er ins Mikrofon, das augenblicklich zu pfeifen anfängt. Und während der Bärtige hektisch an den Reglern fummelt, legen wir beide los. Nicht lange, da tanzen die ersten Paare einen astreinen Rock’n’Roll auf Dizzy Miss Lizzy. Wir legen gleich nach, spielen nahtlos I Saw Her Standing There. Meine Sept-Akkorde stechen in aller Klarheit hervor, während Botte das treibende Riff auf den Bass-Saiten so hart anschlägt, dass es über die Anlage wie eine vollwertige Rhythmusgruppe klingt. Einige der Tanzenden lassen sich im Schlussakkord auf den Boden fallen, der nicht gerade sauber aussieht. Botte verzieht das Gesicht. Jockels Bruder kommt auf uns zu, wünscht sich was Langsames. Außerdem gebe es gleich Essen, Kassler mit Sauerkraut. Schon ist er wieder weg.

Botte tut so, als müsse er sich übergeben, stimmt aber trotzdem Don’t let me down an. Wie immer schreit er sich dabei etwas heraus, das ihm auf der Seele liegt, diesmal offenbar den Frust. Für den nächsten Song reicht seine Puste nicht mehr. Er leidet, will an die frische Luft. Ich begleite ihn. Nach einigen tiefen Atemzügen geht es ihm besser.

„Lass uns mal n bisschen rumgehen“, sagt er und muss aufstoßen. „Bäh! Das riecht ja bis hier. Ich hasse Sauerkraut, da kann ich ja gleich von dem Misthaufen da hinten essen.“

Mir knurrt der Magen. Tatsächlich mag ich Sauerkraut, pur oder mit Speck oder auch mit Kartoffeln vermanscht, wie es meine Mutter immer macht. Den Kasslerbraten muss ich aber auch nicht haben.

Wie still es hier ist. Die Landstraße ist nicht weit weg und trotzdem hört man keine Geräusche von dort. Einzelne Scheinwerfer wischen vorbei, wie verglühende Kometen. Mir wird langsam kalt.

„Na, keinen Hunger?“ Plötzlich steht Jockels Bruder neben uns. Richtig stabil allerdings nicht; er schwankt sogar noch mehr als vorhin. Und er verströmt einen seltsamen Geruch, der mich an Weihrauch und den Rauch von brennenden Tannennadeln erinnert, einen Duft, den ich mag und zu Weihnachten immer absichtlich über der Kerze erzeuge.

„Auch mal ziehn, Kiffer?“ Jockels Bruder hält eine glimmende, etwas unförmige Zigarette gegen den Schein der Scheunenlampe. Ich höre schon gar nicht mehr drauf, obwohl es jetzt sogar passen würde, wenn ich wollte.

„Ne, lass ma!“ Botte steht neben mir und zieht mich von Jockels Bruder weg. Ich weiß, dass mein Freund Haschisch hasst, sogar richtig Angst davor hat. Keine Ahnung, warum. Zigaretten an sich findet er nicht schlimm. Einige Male haben wir schon welche geraucht, uns dann wie richtige Musiker gefühlt. So wie die Beatles im Studio an der Abbey Road. In den Herbstferien haben wir Let it be als Film im Jugendheim gesehen und uns über die vielen Szenen gewundert, in denen die Glimmstängel während der Proben lässig in den Mundwinkeln der Musiker hingen.

„Dann nich“, lallt Jockels Bruder hinter uns. „Muss ma pissen.“ Einen Moment später hören wir ein matschiges Geräusch und ein ersticktes Röcheln.

„Komm, lass ihn“, raunt Botte, der bereits am Scheunentor ist.

„Ne, ich guck mal nach dem“, sage ich und suche mit zusammengekniffenen Augen das Geländer ab. Wo ist er nur abgeblieben? Ein Stöhnen und ein Schmatzen, keine drei Meter von mir. Dann sehe ich ihn, wäre fast selber gestolpert. Jockels Bruder liegt bäuchlings in der Mistwanne, aus der es bestialisch nach Scheiße und Pisse stinkt. Schnell renne ich zur Scheune, rufe nach den anderen. Sie reagieren erst gar nicht, sind wahrscheinlich auch schon zugedröhnt. Schließlich erbarmt sich der Bärtige, stellt seinen halbvollen Teller auf die Anlage und geht kauend nach draußen. Wir greifen uns die Gitarren, schieben sie eilends in unsere Taschen, schauen hektisch, ob wir nichts vergessen haben. Draußen prallen wir fast mit dem Bärtigen zusammen. Er hat Jockels Bruder halb geschultert, halb schleift er ihn hinter sich her. Wir halten die Luft an und drücken uns an den stinkenden Schemen vorbei.

„So ein Mist!“, sage ich wenig inspiriert. Aber auch der beste Witz hätte uns jetzt nicht aufmuntern können.

„Es ist noch nicht mal acht“, stellt Botte fest. „Da drüben ist Licht. Die Bushaltestelle. Wenn kein Bus mehr kommt, können wir ja trampen.“

Noch vor neun Uhr sind wir zu Hause. Meine Eltern starren mich ungläubig an. Ob was Schlimmes passiert sei, wollen sie wissen.

„Nö“, antworte ich wahrheitsgemäß, „das war nur ziemlicher Mist.“

Getting It Better

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