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Ros

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„Ihr wollt euch etwas Geld verdienen? Dann kommt doch nachher mal vorbei.“

Unser Nachbar meint es offenbar ernst. Und obwohl Botte nicht begeistert ist, kommt er mit.

Die Nachbarin, eine kränklich wirkende Frau, öffnet uns, mehr aber auch nicht. Sie huscht gleich die Treppe hoch.

„Hier, im Wohnzimmer!“, kommt es aus dem Zimmer links vom Flur. Obwohl es das direkte Nachbarhaus ist, bin ich noch nie drinnen gewesen, zumindest nicht nach dem Umbau, der vor einem Jahr jäh unterbrochen werden musste, weil die frisch gemauerte Außenwand einfach in sich zusammengefallen ist – zum Glück während einer Fußballübertragung, als alle sicher vor dem Fernseher saßen.

„Habt ihr gehört?“

„Ja ja“, sagen Botte und ich gleichzeitig. Das Wohnzimmer ist wie ein Schlauch. Ganz hinten liegt Franz, ein bulliger Mittvierziger, auf dem Sofa. Er hat einen roten Kopf und verquollene Augen.

„Ah, da seid ihr ja. Kerl, hab ich‘n dicken Kopp. Weihnachtsfeier mit der Firma.“ Franz macht keine Anstalten aufzustehen, sondern bleibt einfach liegen, den aufgedunsenen Kopf auf eine Armbeuge gestützt. Soweit ich weiß, arbeitet mein Nachbar gar nicht, ist schon ewig wegen irgendeiner Kniegeschichte krankgeschrieben, was ihn offenbar nicht vom Feiern abhält. Aber das kann mir auch egal sein. Viel weiß ich sowieso nicht von meinem Nachbarn, habe nur eine diffuse Erinnerung, wie er einmal mit uns Kindern Fußball gespielt hat, drüben auf dem alten Sportplatz; damals sah er richtig gut aus – ein wenig wie Sandy aus der Serie mit dem Delphin namens Flipper. Daran erinnert jetzt nichts mehr. Er trägt einen blauen Jogginganzug aus Baumwolle, den er sogar anbehält, wenn er in die Stadt fährt.

„Goht sitten!“ Franz deutet auf die zwei Sessel, die genau gegenüber dem Sofa an einem schmalen Glastisch stehen.

Wir nehmen Platz, lassen die Jacken an, obwohl direkt neben uns Feuer im Kamin prasselt. Auf dem Tisch liegt ein Stoß Schallplatten, obenauf eine Weihnachtsplatte von Heino. Ich ahne, was er will.

„Ja, Tom, ich hab dir ja schon gesacht, dat wir da nächsten Samstach nachmittachs ne kleine Adventsfeier im Jugendheim ham. Da is uns jetz leider jemand ausgefall‘n, also der Alleinunterhalter. Der spielt da sonst immer die Weihnachtslieder auf ner Orgel.“ Franz setzt sich jetzt doch etwas auf und zeigt auf die Schallplatten vor uns. „Sowat hier.“

Botte sieht mich verstört an. Sein Blick verrät, dass er am liebsten wieder gehen würde.

„Ich weiß ja, dat dat nich so eure Musik is, aber et soll auch nich zu euerm Schaden sein. Seid ihr mit nem Fuffziger einverstanden?“

Wir sehen uns wieder an.

„Natürlich für jeden“, fährt Franz fort und muss grinsen; wahrscheinlich überbieten wir uns gerade im Blödgucken. „Dat sind nur’n paar Lieder, die ihr draufham müsst. So fünf oder sechs. Die eine Platte da reicht eigentlich schon, da sind alle wichtigen Lieder drauf. Ihr spielt auch nur in den Pausen zwischen den Gedichten und so. Zum Abendessen seid ihr dann schon wieder wech. Na, wat meinter?“

Ich finde das Angebot verlockend, aber ob Botte das auch so sieht? 50 Mark für jeden! Für gerade mal fünf oder sechs Lieder!

„Und was ist das für’ne Feier? Was für Leute kommen da?“, will Botte wissen.

„Dat ist die Seniorengruppe von unserm Sportverein. Alles nette Leute. Die freuen sich über sowat.“ Franz nickt uns aufmunternd zu. „Leicht verdientes Geld, Jungs. Und dat macht ihr bestimmt gut. Ja wat denn? Ich hab euch ja schon in der Fußgängerzone gesehn. Ihr seid klasse.“

Ob er auch was in die Mütze geworfen hat? Ich will nicht darüber nachdenken. An Botte und seiner Familie ist die ganze Angelegenheit spurlos vorübergegangen. Wenn es nach ihm ginge, würden wir das jetzt immer machen. Aber er weiß, dass er nicht auf mich zählen kann. Warum auch, wenn sich solche Gelegenheiten wie diese hier bieten? Botte nickt mir zu. Er ist einverstanden. Ich bin es schon längst.

„Ihr seid echt dufte Kerle!“, ruft Franz und legt sich stöhnend wieder hin.

Wir nehmen die oberste Platte mit den gängigen Weihnachtsliedern mit und beginnen gleich bei mir im Zimmer mit dem Üben. Das Schwierigste sind die Texte. Sie gehen mir schon in der Kirche gegen den Strich. Es ist ein Ros‘ entsprungen – was soll das sein? Ein Ross? Eine Rose? Na klar: aus einer Wurzel zart.

„Klar wie Kloßbrühe, du Trollo“, sagt Botte und fingert die Akkorde durch. Wir hören sie ab wie schon bei den Beatles-Platten, schreiben sie über die Textzeilen, die ich später noch auf meiner Schreibmaschine sauber übertragen möchte.

„Ach was“, sagt Botte plötzlich. „Lass uns doch nur die bekannten Weihnachtslieder singen. Übers schneebeglänzte Feld... sowas halt.“

Wir singen einfach los: Es ist für uns eine Zeit angekommen ...

„Wollen wir das als Kanon singen?“, frage ich, doch Botte winkt angeekelt ab.

„Das ist ja albern. Mir würde es schon reichen, wenn du Feld nicht wie ein Kartoffelbauer singen würdest.“

„Na, hör mal! Wenn das so losgeht, brauchen wir gar nicht weitermachen.“ Ich weiß nicht, was er hat. Wahrscheinlich ist es ihm genauso unangenehm wie mir, auf Deutsch zu singen, und dann auch noch Lieder von Heino.

Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich“, singt Botte und hält sich zwei Finger unter die Nase. „So’n Scheiß.“

„Schwarzbraune Scheiße, ja!“, stimme ich ihm zu.

Wir prusten los, lachen eine Weile, bis der Witz schal ist.

„Drecksmistpissköttelblödekackschweinscheiße!“, schreit Botte und dann ganz ruhig: „Ich musste mich mal eben abreagieren.“

„Besser jetzt als am Samstag.“

„Wahrscheinlich würde dieser Haselnussscheiß den Alten sogar noch besser gefallen“, sagt Botte. Wir wissen, dass es ein Volkslied ist und mit Weihnachten nichts zu tun hat. So gesehen kann Heino gar nichts für den Text und wir müssen das Lied auch nicht singen. Aber Heino ist Heino und wir mögen ihn nicht.

„Dass er bei allen Liedern immer das R so rollen muss“, sagt Botte und verzieht das Gesicht. „Das klingt doch wie bei Hitler. Ich kann das gar nicht.“

„Ich weiß.“, sage ich und muss grinsen. Mir fällt ein, wie Botte unbedingt das rollende R wie John Lennon singen wollte, der manchmal seinen Liverpooler Slang ins Spiel brachte. Immer wieder probierte er „time bright“ so wie John auszusprechen, schaffte es aber nur unzureichend. Das Ende vom Lied war, dass wir It’s only love wegen dieser einen Textstelle nicht in unser Repertoire aufnahmen. Dass ich es singe, weil ich meine Zungenspitze aufs Vorzüglichste flattern lassen kann, kam für Botte nicht infrage. Es sei sowieso ein langweiliges Lied, redete er sich raus.

Für eine Verballhornung der Weihnachtslieder bestand jedenfalls keine Gefahr. Trotzdem stolpert Botte über Textstellen, die er lustig findet. Immer wieder werfen sie ihn aus der Kurve, weil er losprusten muss – und mich wieder ansteckt. Ich ahne Schlimmes für die Adventsfeier.

Doch der Samstag verläuft in geordneten Bahnen. Wir kommen nur auf drei Lieder, weil die Gedichte und Vorträge so lange dauern. Immerhin dürfen wir uns an dem Kuchenbuffet bedienen. Botte hat heute auch keine Lust auf Spott. Dabei gäbe es einige Vorlagen, sowohl in den Redebeiträgen, als auch bei manchen körperlichen Eigenarten unter den Anwesenden.

Neben der Bezahlung wird uns noch eine andere Ehre zuteil. Am Montagmorgen, beim schnellen Kaffee vor der Schule, liest meine Mutter mir aus der Zeitung vor:

Für weihnachtliche Stimmung sorgten die beiden jungen Musiker Robert Bothe und Thomas Kiffler, die manche Bürger auch aus der Fußgängerzone kennen. Anders als dort gaben sie bekannte deutsche Weihnachtslieder zum Besten und wurden dafür mit kräftigem Applaus bedacht.

Ach wirklich?

„Ach wirklich?“, lacht Botte am Nachmittag. „Dann kann Weihnachten ja kommen.“

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