Читать книгу Getting It Better - Martin Bensen - Страница 8
Pläne
ОглавлениеBotte lässt die Platte weiterlaufen, Penny Lane mit dem hämmernden Klavier und dem abwärts schreitenden Bass, das spektakuläre Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, das endlich meine Starre löst. Botte grinst. Er wirkt stolz. Er merkt, dass ich ergriffen bin. Tatsächlich habe ich ihm den Besitz einer solchen Platte nicht zugetraut. Eine Band wie die Beatles hatte ich bisher nicht auf meiner Liste. Mein Musikgeschmack kommt mir plötzlich kindisch vor.
„Die Platte ist von meiner Schwester“, sagt Botte. „Wenn sie jetzt hier wäre, würde sie mich hauen. Jetzt weiß ich, warum.“
„Heißt das, du hast sie bisher auch nicht gehört?“
Botte betrachtet das blaue Album nachdenklich, wechselt zwischen Vorder- und Rückansicht hin und her, vergleicht die Bilder, die offensichtlich zu verschiedenen Zeiten in einem Treppenhaus gemacht worden waren. Er gibt mir das Album. Auf der Vorderseite blicken die langhaarigen Beatles über das Geländer, deren fantastische Songs wir gerade hören. Die Rückseite zeigt die Vier in derselben Position, aber aus ihrer Anfangszeit – so wie ich sie kenne und bisher nicht unbedingt mochte. Vielleicht lohnt es sich, jetzt auch ihre frühen Stücke genauer anzuhören.
„Es gibt auch noch ein rotes Album“, sagt Botte. „Da sind die jungen Typen vorne und hinten die alten.“
„Ich finde die jungen ja irgendwie albern. Hast du die mal im Fernsehen gesehen?“
„Ne, aber ich hab mal in das Rote reingehört, bei Keilmann auf der Bahnhofsallee. Da sind gute Lieder drauf. Ich glaub, ich kauf mir das. Von meinem Konfirmationsgeld. Eigentlich soll ich das alles sparen, sagt Mama.“
„Kenn ich!“, sage ich und denke an mein eigenes Sparbuch, auf dem sich leider nicht so viel befindet, wie ich es ursprünglich erhofft habe, denn ich hatte den Fehler gemacht, mir Bücher zur Kommunion zu wünschen, statt Geld. Der Fehler ist nicht so sehr das Buch an sich – ich lese wahnsinnig gerne –, sondern die Tatsache, dass man es selten ein zweites Mal liest. Musik kann man dagegen immer wieder hören, vor allem diese.
Lucy in the Sky with Diamonds. Das Lied kenne ich. War das nicht von Elton John? „Ja, witzig“, sagt Botte, „Aber schau mal, was da steht.“
„Lennon & McCartney“, lese ich laut. „Dann hat der es von den Beatles. Vielleicht ist Crocodile Rock auch gar nicht von ihm.“
Botte zuckt mit den Achseln und ich bin mir in diesem Moment nicht sicher, ob er weiß, wovon ich rede. Ich bin kein Fan von Elton John, aber ich habe die ganzen Lieder immer in Mal Sondocks Discothek im WDR, einer wöchentlichen Radio-Hitparade auf WDR 2, mitgeschnitten. Damals habe ich einen Radio-Kassettenrekorder bekommen. Obwohl ich meinen Eltern eingeschärft hatte, dass ich auf keinen Fall eines dieser neuen Ein-Knopf-Geräte haben wollte, schenkten sie mir genau so ein Gerät. Es gebe in der Preisklasse nix Besseres, hatte ihnen der Verkäufer bei Keilmann gesagt. Schon während der zweiten Sendung hatte ich den ersten Bandsalat, wegen dem ich die Neuerscheinungen verpasste. Wenig später funktionierte der Rücklauf nicht mehr, sodass ich die Kassetten immer drehen und vorwärts spulen musste, was sehr viel langsamer ging und mich zusätzlich nervte.
Botte lacht. „Hast du deinen Kasi von Sanyo noch, den mit dem komischen Knopf für alles?“
Kann er Gedanken lesen? „Der ist im Arsch. Naja, nicht ganz, spulen kann ich nicht mehr. Das Teil war von Anfang an scheiße“, gebe ich zu.
Botte hat gut Lachen, sein Radio-Kassettenrekorder von ITT Schaub-Lorenz war zwar etwas kleiner und klang blechern, aber er funktionierte zuverlässig.
„Und deiner?“
Botte stöhnt. „Macht keinen Spaß. Ich hab aber auch nie so viel aufgenommen wie du. Mal Sondock ist nicht mehr gut; die Sachen, die er spielt, finde ich mittlerweile alle doof. Das hier“, er deutet auf den Plattenschrank, „da hab ich viel mehr davon. Zu Weihnachten wünsch ich mir nen eigenen Plattenspieler. Hier kann ich ja nur was hören, wenn Lotte weg ist.“
Applaus ertönt, dann eine sanft geschlagene Gitarre, ein Klavier und ein satter Bass – das Intro von A Day in the Life. Wir erstarren wieder. Was für eine wunderschöne Melodie. Und wie poetisch der Text! In Englisch bin ich ganz gut und ich verstehe ziemlich viel. Schon überlege ich mir, wie ich es auf Deutsch singen würde. Ich schreibe manchmal Geschichten. Botte auch. Eine Zeit lang haben wir uns unsere Texte gegenseitig zum Lesen gegeben. Botte schreibt eher witzig, überhaupt ist er ein lustiger Typ, manchmal auch nur albern, dann lacht er mehr über seine Scherze als alle anderen, überdreht und mit einer viel zu hohen Stimme, die ihn fast weiblich wirken lässt. Dabei ist er schon weit im Stimmbruch, während er bei mir gerade erst begonnen hat.
Eine Gitarrenpassage klingt besonders schön. Ich glaube, ich habe so etwas Ähnliches neulich schon einmal gehört, und zwar bei den Nachbarn gegenüber. Der Sohn ist siebzehn und hat öfter Freundinnen und Freunde da. Sie sitzen dann im Garten auf dem Rasen, lachen viel und ich glaube, sie rauchen auch Haschisch. Sehen kann ich sie nicht, denn dichtes Gebüsch versperrt mir die Sicht, aber ich kann sie hören. Neulich hat jemand Gitarre gespielt. Es klang unheimlich schön. Ich stand am Zaun und habe mir in diesem Augenblick gewünscht, auch so spielen zu können. Aber dazu müsste ich erstmal eine Gitarre haben. Die billigste Konzertgitarre kostet 200 Mark, habe ich im Schaufenster unseres kleinen Musikladens gesehen, der auch nur ein paar davon hat, weil er lieber Klaviere und Orgeln verkauft. So viel Geld habe ich nicht auf dem Sparbuch. Dass mir meine Eltern etwas dazugeben, bezweifle ich. Als ich ihnen meinen Wunsch beim Abendbrot andeutete, reagierten sie abweisend. Das ist doch nur ein Strohfeuer, nachher liegt das Ding wieder in der Ecke. Dazu ist es einfach zu teuer. Damit war das Thema vom Tisch. Doch jetzt, hier bei meinem Freund Botte, ist das Verlangen wieder da.
„Ich würde ja unheimlich gern Gitarrespielen lernen“, platzt es aus mir heraus, direkt in den düsteren Abschlussakkord des Stückes hinein, als hätte ich genau darauf gewartet. Meine Worte schweben wie der Ton, der jetzt gar nicht enden will. Bottes Blick ist unergründlich, doch ich sehe, dass es in ihm arbeitet. Unvermittelt springt er auf, würgt die Fanfare des nächsten Stückes ab, nimmt die Platte vom Teller und schiebt sie in die Hülle zurück. Seine Hände zittern. Kaum dass er die LP zurückgeräumt und die Geräte ausgeschaltet hat, kommt seine Mutter zurück. Sie sieht müde aus und biegt gleich in die Küche ab.
„Mama, wir haben uns was überlegt!“, ruft Botte ihr zu und als zur Antwort nur das Schlagen der Kühlschranktür kommt, setzt er nach. „Wir möchten gern Musik machen. Mit Gitarre.“
Stille. Botte duckt sich etwas, als fürchtete er ein Donnerwetter. Seine Mutter blickt zur Tür herein. Ich hätte geschworen, dass sie ihm einen Vogel zeigen würde, doch sie nickt nur. „Du hast ja Geld“, sagt sie. „Aber überleg dir das gut. Wenn du das wirklich willst, meinetwegen.“
Wie ich Botte beneide.