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Prolog

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Ich rieche Gras, feuchte Erde. Ich sehe Himmel, einen schönen Sommerhimmel, blau mit Schäfchenwolken. Der erdige Geruch will nicht zu dem Bild passen, nicht zu meinem Zustand. Ich schwebe, fühle mich leicht, körperlos. Bin ich immer noch ich? Nur noch ich? Nur noch Seele?

Ich habe gelesen, dass die Seele beim Sterben den Körper verlässt. Sie wird durch einen Tunnel zu einem schönen Licht gezogen. Und das Leben, das man verlässt, zieht an einem vorbei. Mein kurzes Leben, zehn Jahre, um genau zu sein.

Ich sehe mich selbst: einen Lulatsch, viel zu groß für sein Alter; aus jeder Menge rage ich heraus. So wie neulich aus dem Schulchor im Rampenlicht der heiligen Messe. Da stehe ich wieder, gehe etwas in die Knie, mache einen Buckel und senke den Kopf. Ich richte meine Stimme nach unten, mein Gesang soll nicht aus der Menge hervorstechen. So gut singe ich nämlich nicht. Der ganze Chor tut es nicht. Dazu probt er zu selten, ist außerdem für die meisten Viertklässler nur eine Pflichtübung. Und jetzt geschieht es: Plötzlich passt die Melodie unserer Stimmen nicht mehr zur Orgelbegleitung. Als drehte jemand einen unsichtbaren Regler, kippen sie alle weg, werden dünner und verklingen schließlich ganz. Der ganze Chor ist verrutscht, hat Schlagseite bekommen, er kentert und geht sanglos unter. Aber nicht klanglos, denn die Orgel spielt unverdrossen weiter. Wie gewohnt schert sich der Organist nicht um die Gemeinde; alle wissen, dass er schlecht hört. Die Dirigentin, Musiklehrerin unserer katholischen Grundschule, rudert hilflos mit den Armen, sieht schließlich ratlos zum Priester rüber, der missmutig dreinschaut, weil er sich vorzeitig von seinem Thron erheben muss. Denn jetzt erstirbt auch die Orgelmusik. Klamme Stille macht sich breit. Mein Kopf droht zu platzen, ich ducke mich noch tiefer, doch es hilft nichts: Ich rage dennoch heraus. Wie unbekümmert alle um mich herum sind. Bin ich denn der Einzige, der sich für diese Panne schämt? Die Kirche ist voll und bestimmt sind alle Augenpaare auf mich gerichtet, auf den langen, schon älter wirkenden Jungen, Oberversager unter Versagern. Dabei sollte doch gerade der Chor die Kommunionfeier festlich machen. Mein kleiner Bruder sitzt da im Anzug, kriegt heute endlich die Hostie, das Sakrament, mit dem er sich ein Stück reifer und vernünftiger vorkommen darf. Es wird ihn nicht abhalten, nachher ganz kindlich über uns, nein, über mich zu lachen, über meinen Tomatenkopf. Verzweifelt starre ich auf die Kerze in dem roten Glas auf dem Sockel des Tabernakels, das ewige Licht. Die Flamme brennt ganz ruhig. Kein Wunder, sie ist ja geschützt. So wie meine Mitsänger. Doch wer schützt mich? Ich ertrage die Stille nicht. Wann geht es endlich weiter? Um Himmels willen, warum habe ich plötzlich so lange Haare?

Geht die Phantasie mit mir durch? Wenn ich jetzt sterbe, warum sehe ich mich jetzt als älteren Jungen? Das da bin zweifellos ich! Mit Flaum über der Oberlippe und fast schulterlangem, lockigem Haar. Es umrahmt mein schmales Gesicht. Ich sehe aus wie Marc Bolan. Werde ich so einmal aussehen? Weg mit dem gelben Flausch aus dem Bad, der Hockerauflage, die ich mir als Perücke manchmal auf den Kopf setze! Weg mit dem Federballschläger, der meine Gitarre sein soll, wenn ich vor dem Spiegel stehe und Rockstar spiele. Get it on, yeah!

Das hier ist besser. Das bin ich als junger Mann. Also kann ich noch nicht tot sein. Das Leben geht weiter. Ich spiele Gitarre, eine elektrische, singe in ein echtes Mikrofon, stehe auf einer richtigen Bühne. Über meinem Kopf ist Himmel, ein schöner Sommerhimmel, blau mit Schäfchenwolken.

Ich höre Stimmen, das zischende Geräusch der Fabrik hinter unserem Garten. Ich liege auf unserem Rasen. Die Leichtigkeit ist weg; fast ist es, als würde ich auf den Boden gepresst, als sei ich gefallen – bin es wohl auch. Ich rieche Gras und Erde. Ich höre Lachen. Es klingt erleichtert. Klar und hell das meiner beiden jüngeren Brüder, seltsam fiepend das meines neuen Freundes. Jetzt weiß ich es wieder: Ich habe mich an der Teppichstange hochgezogen, habe sie unter meinem Bauch gespürt, hart und kalt, habe die Jungs unten stehen sehen, gespannt wartend, habe mich nach vorne geneigt, mich um die Stange rollen wollen – und losgelassen.

Getting It Better

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