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Stimmen

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Ich bin enttäuscht. Für das Geld hätte er mir wenigstens eine Stimmgabel geben können. Schmollend verlasse ich den Musikladen. Noch einmal sieben Mark habe ich bezahlt. Meine Mutter war so lieb, mir einen Zehner aus ihrem Haushaltsportemonnaie zu geben. Sie merkt, dass es mir ernst ist mit meinem neuen Hobby. Anders meine beiden Brüder, die nur abwinken, wenn ich die Saiten zupfe. Sie haben ja recht, bisher habe ich noch nichts zustande gebracht. Wie ich die Gitarre stimmen muss, weiß ich erst jetzt. Ich war zu feige nachzufragen. Oder zu beleidigt; der Ladenbesitzer hätte es mir bestimmt gezeigt.

Wo ist Botte eigentlich? Hat er jetzt endlich seine Gitarre? Warum lässt er nichts von sich hören? Ein paarmal bin ich an seinem Haus vorbeigelaufen, aber jedes Mal war er irgendwo anders. Hat er womöglich keine Lust mehr?

Am Sonntagnachmittag steht er endlich vor der Tür. Er strahlt mich an, seine Backen glänzen und sind rot wie bei dem Mädchen auf der Rotbäckchen-Flasche. Er hält eine hellbraune Gitarrentasche hoch, eine wie meine.

„Und? Kannst du schon was spielen?“, fragt er, während er sich an mir vorbeizwängt und schon auf der Treppe zu meinem Zimmer ist. Ich folge ihm etwas missmutig.

„Aha, du hast ne andere. Auch nicht schlecht.“ Botte betrachtet meine Gitarre, packt dann seine aus. Sie sieht aus wie meine, nur das Holz ist etwas dunkler. Er hält sie am Hals, nimmt meine und vergleicht beide Instrumente. Jetzt sehe ich, dass der Bauch seiner Gitarre minimal dicker ist. Nun ja, er ist ja selbst auch kräftiger als ich, spotte ich in Gedanken und fühle mich doch schlecht, weil ich das Gefühl habe, wieder den Kürzeren gezogen zu haben, wie schon bei meinem Kassettenrekorder.

Botte reicht mir meine Gitarre und lässt sich auf meinem Bett nieder. Ich nehme sie nur widerwillig, setze mich ihm gegenüber auf den Schreibtischstuhl. Botte fährt über die leeren Saiten. Wow, die klingt schon deutlich besser. Und sogar gestimmt. Ich lege meine Hand über die Saiten meiner Gitarre, die ich jetzt am liebsten verstecken würde.

„Lass hören!“, sagt Botte, doch ich mag nicht.

„Ist deine auch ne Kasuga?“, lenke ich ab.

„Ja, Kasuga W-312!“ Wie um sich zu vergewissern, dreht er die Gitarre zu sich und sieht in das Schallloch. Er nickt zufrieden. „270 hat die gekostet, mit Extra-Saiten und Tasche waren’s 300. Na ja, dafür klingt sie gut. Und ne Stimmpfeife hat mir der Nentwig umsonst dazugegeben.“

„Stimmpfeife?“ Ich bin verwirrt, merke, dass Botte mir wieder etwas voraushat.

„Ja, die hier!“ Er greift in seine Hosentasche, holt einen metallischen Gegenstand hervor, der in seine Handfläche passt und aussieht wie sechs versetzt aneinanderhängende Orgelpfeifen. Er bläst nach der Reihe in die kleinen Röhrchen. Es klingt lustig, etwas gequetscht, wie eine Kindertrompete, aber die Töne unterscheiden sich. Zudem sind sie noch genau markiert.

„E-A-D-G-H-E“, liest er vor und bläst wie zur Bestätigung noch einmal alle Töne hintereinander.

„Komm, jetzt stimmen wir deine Gitarre danach!“ Botte ist in seinem Element. „Ich blase, du zupfst, okay?“

Das tiefe E erklingt. Mit einem Seufzen schlage ich die obere Saite mit dem Daumen an. Botte stutzt.

„Hast du kein Plektron?“

„Ein was?“

„Na, so’n Plättchen, mit dem man die Saiten anschlägt. Sowas hier!“

Wieder kramt er in der Hosentasche, holt ein braunes Plastikstück heraus. „Da, nimm, ich hab zwei davon. Hat mir auch der Nentwig geschenkt.“

Ich nehme das – „Wie heißt das?“ „Plektron“ – zwischen die Finger. Es fühlt sich glatt an, ist ein an den Ecken abgerundetes Dreieck, dessen einer Winkel etwas spitzer ist.

„Schau, mit dem längeren Teil schlägt man die Saiten an. So.“ Botte macht das schon ganz gut, greift mit der linken Hand etwas auf dem Griffbrett, ratscht mit dem Plättchen an den Seiten entlang. Richtig schön klingt das, erinnert mich an Westernmusik.

„Hm“, brumme ich, stiere auf seine Hände und versuche es auch. Ein Schnarren ertönt.

„Na also, geht doch“, sagt Botte und bläst wieder das tiefe E.

Als wir nach einer Ewigkeit endlich einigermaßen gleich gestimmte Gitarren haben, drückt Botte mit zwei Fingern seiner linken Hand die mittleren Saiten im zweiten Bund herunter. Es klingt anders als vorhin, aber genauso gut. Ich probiere es auch; diesmal schnarrt nichts, stattdessen dämpfe ich mehrere Töne versehentlich ab.

„Du musst die Fingerkuppen ganz gerade drauf halten, nur auf die zwei Saiten. Und feste runterdrücken.“ Botte, mein Gitarrenlehrer. Hatte er etwa schon Unterricht?

Ich verlagere meinen Griff etwas, drücke fester und spüre, wie die Saiten in meine Kuppen schneiden. Ist von George Harrison nicht bezeugt, dass er sich beim Üben blutige Finger geholt hat, so wie die Beatles später bei ihren langen Konzertnächten im Hamburger Star Club?

Als Botte längst weg ist, sitze ich immer noch an meiner Gitarre. Das Abendbrot lasse ich ausfallen. Auch die Hausaufgaben, die ich wieder mal den ganzen Tag aufgeschoben habe. Ich probiere verschiedene Griffe aufs Geratewohl; nicht alles klingt gut, genau genommen sogar ziemlich wenig. Aber der Ehrgeiz hat mich gepackt. Morgen Abend beginnt der Gitarrenkurs, dann wird alles besser. Wie zur Bekräftigung schlage ich mit dem Plektron gegen die Saiten, bleibe an der dritten hängen, die sich mit einem Knacken verabschiedet.

Getting It Better

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