Читать книгу Arabischer Frühling ohne Sommer? - Martin Pabst - Страница 12

1.4 Machtzuwachs der Regionalmächte nach 1990

Оглавление

Nach 1990 veränderte sich die externe Akteurskonstellation in der arabischen Welt. Zu den USA und Russland sind die Türkei, der Iran und Saudi-Arabien als relevante Regionalmächte hinzugekommen, ergänzt durch das diskret im Hintergrund agierende Israel. Unverändert ist das Phänomen externer Abhängigkeit – der Handlungsspielraum vieler arabischer Staaten ist aufgrund ihrer politischen und ökonomischen Schwäche im Vergleich zu früher sogar geringer geworden. Nur die Golfmonarchien haben aufgrund der von 1998 bis 2008 stark steigenden Ölpreise erheblich an Bedeutung gewonnen. Kuwait-Stadt, Manama, Doha, Abu Dhabi, Dubai, Riad und Dschidda sind zu Zentren rasanter wirtschaftlicher Entwicklung geworden.

Die UN-mandatierte »Koalition der Willigen« (1991) nach der irakischen Annexion von Kuwait dokumentierte den vorübergehenden Aufstieg der USA zur unipolaren Supermacht. Die Koalitionsstreitkräfte unter Führung der USA umfassten 22 Staaten, darunter aus Nordafrika und Nahmittelost Ägypten, Bahrain, Kuwait, Marokko, Oman, Saudi-Arabien, Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und sogar das bislang im sowjetischen Lager stehende Syrien.

Im Jahr 2003 initiierten die USA einen nicht vom UN-Sicherheitsrat genehmigten Krieg gegen den Irak. Hierfür brachten sie sogar eine 43köpfige »Koalition der Willigen« zustande. Aus Nordafrika, dem Nahen und Mittleren Osten zählten diesmal Jordanien, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien, die Türkei und die VAE dazu. Sie unterstützten die Koalition politisch, aber keines dieser Länder entsandte Truppen. Saudi-Arabien und andere arabische Staaten lehnten den Krieg grundsätzlich ab, da sie zu Recht befürchteten, dass der Sturz Saddam Husseins die arabische Regionalmacht Irak destabilisieren und im Gegenzug den Einfluss des Irans stärken würde.

Das ehrgeizige Projekt von US-Staatspräsident George W. Bush zur Demokratisierung des »Greater Middle East« unter seiner im Jahr 2005 verkündeten »Freedom Agenda« scheiterte.27 Der Irak konnte nicht als »Leuchtturm« der Demokratisierung dienen, sondern entwickelte sich im Gegenteil zum regionalen Brandherd und zu einem gescheiterten Staat. Das Mächtegleichgewicht in Nahmittelost war zerstört. Im Irak erodierte der gesellschaftliche Zusammenhalt. Nationalistische und dschihadistische Kräfte erhielten Auftrieb, und Nachbarstaaten strebten danach, das neu entstandene Vakuum zu besetzen. Ab 2011 breitete sich die Instabilität vom Irak auf andere arabische Staaten wie Jemen und Syrien aus.

In der arabischen Welt bestand 2011 ein doppeltes Machtvakuum. Zum einen hatten vielerorts die Regierungen durch ihre repressive Herrschaft, die ineffiziente Verwaltung und die politische und ökonomische Erfolglosigkeit das Vertrauen ihrer Bürger verspielt, zum anderen waren die von externen Mächten nach 1918 zumeist in künstlichen Grenzen geschaffenen arabischen Staaten tendenziell schwach und in ihrer Fortexistenz bedroht. Ein »nation buildung« war misslungen, erst gar nicht ernsthaft versucht oder sogar von privilegierten Machteliten bewusst hintertrieben worden.

Im Schlüsseljahr 2011 kulminierten die aufgezeigten Entwicklungen. Von der politischen und ökonomischen Misere frustrierte Jugendliche mit überwiegend säkularem Hintergrund organisierten Proteste. Ihr Ziel war es, freiere und gerechtere Gesellschaften mit demokratischen Teilhaberechten der Bürger zu etablieren. Allmählich rissen sie die tendenziell passive und angstbehaftete Elterngeneration mit. Wenn in einzelnen Staaten, wie z. B. Ägypten, kritische Nichtregierungsorganisationen bestanden, schlossen sich diese bald den Protesten an oder waren von Anfang an daran beteiligt. Aus dem Kreis der Gewerkschaften und Berufsverbände unterstützten zumindest Teile ihrer Mitglieder die Proteste. Insbesondere in den ressourcenarmen Staaten erhielten die Demonstrationen Zulauf, und die dortigen Regierungen konnten die Unzufriedenheit nicht mit finanziellen Ausgleichsmaßnahmen auffangen.

Arabischer Frühling ohne Sommer?

Подняться наверх