Читать книгу Arabischer Frühling ohne Sommer? - Martin Pabst - Страница 18
2.1 Überregionale strukturelle Defizite
ОглавлениеBouasisis Selbstverbrennung war der Auslöser für eine Protestwelle – die Ursachen lagen tiefer. Die 22 arabischen Staaten litten an strukturellen politischen, ökonomischen, demographischen und ökologischen Defiziten. Die Unfähigkeit bzw. der Unwillen der Regierungen, diese Probleme zu lösen, kulminierten in einer nicht überraschenden übernationalen Protestbewegung.
Machtarroganz, Repression, die Ineffizienz der Verwaltung, miserable Lebensbedingungen für einen Großteil der Bürger sowie außenpolitische und wirtschaftliche Marginalisierung hatten zu wachsender Unzufriedenheit geführt und die staatliche Legitimität infrage gestellt. Durch ein hohes jährliches Bevölkerungswachstum von durchschnittlich 2 % waren die Gesellschaften sehr jung, und ein Viertel bis ein Drittel der Jugendlichen in den arabischen Staaten war arbeitslos. Dem stand eine z. T. massiv überalterte Führungsschicht entgegen, die ihre Privilegien hartnäckig verteidigte.
Die Nutzung moderner Medien gab protestierenden Jugendlichen zumindest für kurze Zeit einen gewissen Vorsprung vor den staatlichen Sicherheitskräften, die auf diesem Gebiet noch Nachholbedarf hatten. In dreierlei Hinsicht nutzten sie erfolgreich neue Medien: Erstens konnten die Jugendlichen damit überregional Unterstützer werben und zu Protesten aufrufen, zweitens hatten sie nun mithilfe von Mobiltelefon und Messengerdiensten ein dem Polizeifunk ebenbürtiges Führungsmittel bei Demonstrationen zur Verfügung, drittens konnten sie ihre politischen Ziele übers Internet und die sozialen Netzwerke im In- und Ausland kommunizieren und die Regierungen durch Bilder brutaler Polizeigewalt delegitimieren.
Angefacht wurde die Unzufriedenheit durch überteuerte Grundnahrungsmittel. Im Jahr 2008 war es infolge des Klimawandels wie auch infolge vermehrter Produktion von Biotreibstoffen zu einer Welternährungskrise gekommen. Besonders Syrien war schwer getroffen, wo zusätzlich von 2006 bis 2010 eine extreme Dürre herrschte. Hinzu kam, dass China 2010 eine Missernte hatte. Daher kaufte es auf dem Weltmarkt überproportional viel Getreide auf, weswegen die Preise ab Jahresmitte in die Höhe schossen.7
Energieexportierende Staaten wie Algerien und die Golfmonarchien glichen den Preisanstieg mit großzügigen staatlichen Subventionserhöhungen, Gehaltsanhebungen für Staatsbeamte, der Schaffung neuer Arbeitsstellen und Schuldenerlass aus. Beispielsweise nahm der saudische König Abdullah im Februar 2011 stolze 37 Milliarden USD für ein solches Maßnahmenpaket in die Hand. Die Menschen in den energiereichen Staaten wurden daher nur in begrenztem Maß von der Protestwelle erschüttert. Hingegen war dieses Instrument für ärmere Staaten wie Ägypten, Jemen, Syrien oder Tunesien nicht möglich. Hier kam es zu starken Protesten.