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f) Jüngere Entwicklungen im Grundrechtsbereich

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Abgesehen von der Änderung des Art. 10 GG im Zuge der Notstandsgesetzgebung (vgl. oben, Rn. 54) hat es im Grundrechtsabschnitt lange Zeit zwar Klarstellungen und Erweiterungen, aber kaum deutlich sichtbare Restriktionen gegeben. Das änderte sich in den 1990er Jahren.

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Produkt langer und zäher parteipolitischer Kontroversen war zunächst der „Asylkompromiss“[247] zwischen CDU/CSU, SPD und FDP, der in das 39. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes mündete.[248] Der vor dem Hintergrund exorbitant gestiegener Asylbewerberzahlen bei gleichbleibend niedriger Anerkennungsquote und entsprechend intensiven Debatten gefundene Kompromiss bestand darin, dass in Art. 16a Abs. 1 GG das Individualgrundrecht auf Asyl weiterhin gewährt, in den folgenden Absätzen aber umfangreichen Einschränkungen unterworfen wurde.[249] Argumentationen, wonach damit die unantastbare Menschenwürde oder andere kraft der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG absolut geschützte Rechtsgüter verletzt würden,[250] hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht eine Absage erteilt.[251]

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Gleiches gilt im Ergebnis für die Erweiterung der Eingriffsmöglichkeiten in das Wohnungsgrundrecht (Art. 13 GG) im Jahre 1998.[252] Hintergrund für diese Grundgesetzänderung bildete die nach dem Ende des Kalten Krieges verstärkt registrierte „Organisierte Kriminalität“, der man mit den herkömmlichen polizeilichen Ermittlungsmethoden nicht mehr effektiv genug begegnen zu können glaubte. Nach üblichem, wenn auch problematischem Sprachgebrauch bietet namentlich Art. 13 Abs. 3 GG n.F. die Grundlage für den „Großen Lauschangriff“[253] zu Zwecken der Strafverfolgung. Die besondere Schwere des Eingriffs resultiert dabei aus der Kombination des Eindringens in die private Wohnungssphäre mit der Heimlichkeit dieses Vorgehens. Eben deswegen wurde teilweise die Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 3 GG bezweifelt und angenommen, die akustische Wohnraumüberwachung verletze einen „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ und damit letztlich die in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde.[254] Diese Argumentation verkannte freilich die Möglichkeit einer verfassungskonformen restriktiven Auslegung der neuen Bestimmungen auf Grundgesetzebene sowie ihrer konkreten Handhabung auf der Anwendungsebene.[255] Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Neuregelung zutreffend nicht als Verstoß gegen die Ewigkeitsgarantie gewertet, unter Rückgriff auf die problematische Vorstellung eines Kerngehalts der Grundrechte allerdings die Auslegung der Ermächtigungen und ihrer Anwendung in einer Weise angemahnt, die eine Verletzung des „unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung“ ausschließe.[256]

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