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4. Faktoren der Verfassungsentwicklung

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Fragt man nach den wichtigsten Faktoren für die Verfassungsentwicklung, so ist zwischen förmlichen Verfassungsänderungen und dem Vorgang des Verfassungswandels zu unterscheiden.

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Bei den förmlichen Verfassungsänderungen waren die treibenden Kräfte eigentlich immer die politischen Parteien. Deren vornehmste Aufgabe besteht ja ohnehin darin, Anstöße aus der Gesellschaft aufzunehmen, Interessen zu bündeln und zu politischen Programmen zu formen. Als herausragende Verfassungsjuristen lassen sich hier mit starker Betonung der hohen Selektivität eines solchen Vorgehens Adolf Arndt (SPD) und Ernst Benda (CDU) nennen.

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Lediglich im Fall der Einführung des kommunalen Wahlrechts für EU-Ausländer ging eine Verfassungsänderung praktisch direkt auf einen Hinweis des Bundesverfassungsgerichts zurück.[282] Häufiger begegnet der – vom Gericht freilich bei seinen Entscheidungen wenigstens bewusst in Kauf genommene – Eingriff durch den verfassungsändernden Gesetzgeber im Anschluss an ein im Ergebnis als misslich empfundenes Judikat. Als klarer Fall solcher Korrekturgesetzgebung dürfte die Einfügung von „und die Tiere“ in Art. 20a GG im Anschluss an das Schächturteil von Januar 2002 anzusehen sein.[283] Auch die geplanten Ausnahmen von den Erfordernissen des Art. 72 Abs. 2 GG bei der Neufassung vieler bundesgesetzlicher Kompetenzen (vgl. unten, Fn. 304) gehen sicher auf die verschärfte Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zurück, mit der die Begründungslasten für die Inanspruchnahme konkurrierender Gesetzgebungsbefugnisse durch den Bund erhöht wurden und die Stellung der Länder gestärkt wurde.[284]

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Ansonsten waren des Öfteren Verfassungsänderungen geboten, um die Verfassung dem Stand des europäischen Integrationsprozesses anzupassen (Art. 88 GG) oder die Struktur der Staatsorganisation entsprechend umzustellen (Art. 45, 52 Abs. 3a GG). Auch die Änderung des Art. 12a Abs. 4 Satz 2 GG war gleichsam europarechtlich, genauer: durch die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes induziert.[285] Denn dieser hatte das im Grundgesetz niedergelegte generelle Verbot eines Waffendienstes für Frauen praktisch aufgehoben, und „die Peinlichkeit einer europarechtswidrigen Verfassungsnorm“ wollte man sich ersparen.[286]

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Beim Verfassungswandel (vgl. oben, Rn. 47) ist naturgemäß das Bundesverfassungsgericht die treibende Kraft, da es für die erfolgreiche Durchsetzung eines solchen Wandels gleichsam einer autoritativen richterlichen Bekräftigung bedarf.[287] Die Staatspraxis allein richtet hier in aller Regel noch nicht viel aus.[288] Auch prominente Staatsrechtslehrer erlangen wegen des vorherrschenden „Bundesverfassungsgerichtspositivismus“[289] regelmäßig erst dann maßgeblichen Einfluss auf die Verfassungsentwicklung, wenn sie auf die Richterbank wechseln: neben Konrad Hesse[290] wären hier (erneut mit dem Eingeständnis der Selektivität) Ernst Friesenhahn,[291] Gerhard Leibholz[292] und zuletzt wohl Ernst-Wolfgang Böckenförde zu nennen, dessen Deutung des Demokratieprinzips die Verfassungsrechtsprechung geprägt hat.[293] Manche stark forcierte Linien werden später vom Gericht freilich wieder zurückgenommen, wie man das anhand der Entscheidungen zur Europäischen Union oder zur demokratischen Legitimation sehen kann.[294]

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Schließlich verdient noch die Rolle der Landesverfassungen für die bundesdeutsche Grundgesetzentwicklung Erwähnung. Sie beschränken sich nämlich keinesfalls auf den bloßen Nachvollzug von Verfassungsänderungen und -wandlungen auf Bundesebene,[295] sondern haben in zahlreichen Fragen vornehmlich der Staatsorganisation auch als Vorbild und Vorläufer für die gesamtstaatliche Verfassungsentwicklung gedient.[296] Dass Landesverfassungen auf diese Weise „Werkstatt“ für den Bundesstaat (P. Häberle) sein können,[297] belegen namentlich die Staatszielbestimmungen in den Verfassungen der Länder, die Art. 20a GG wie seiner späteren Ergänzung um den Tierschutz als Vorbild gedient haben.[298] Auch die Diskussion um eine – behutsame – Korrektur der Entscheidung des Parlamentarischen Rates gegen direktdemokratische Elemente auf Bundesebene (oben, Rn. 24) bezieht ihre Argumente wie ihre Kraft aus der funktionierenden unmittelbaren Demokratie auf Landesebene.[299]

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Keine tragende Bedeutung vermochten hingegen Expertenkommissionen zu erlangen, wie sie seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehrfach etabliert worden sind. So hat die 1970/1973 eingesetzte Enquête-Kommission[300] nur geringe Wirkung entfaltet. Ähnliches gilt für die Sachverständigen-Kommission von 1981, die insbesondere die Notwendigkeit von Staatszielbestimmungen prüfen sollte,[301] und für die bereits erwähnte GVK.[302] Ob das Urteil für die 2003 eingesetzte so genannte Föderalismus-Kommission letztlich anders lauten wird,[303] kann erst die praktische Bewährung der auf ihre Vorarbeiten zurück gehenden umfänglichen Grundgesetzreform vom Sommer 2006 zeigen; erste Stimmen sind hier mit Recht skeptisch.[304]

§ 1 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Deutschland › III. Grundzüge des Grundgesetzes

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