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a) Demokratie (Art. 20 Abs. 1 GG)

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Der Demokratiebegriff ist durch seine notorische Unschärfe und interdisziplinäre Vieldeutigkeit gekennzeichnet. Gleichwohl lassen sich schon Art. 20 Abs. 1 GG, wonach die Bundesrepublik Deutschland ein „demokratischer“ Bundesstaat ist, einige zentrale Aussagen und normative Fixierungen entnehmen.[354] Für Demokratie als Volksherrschaft ist danach zunächst tragend die „Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger“[355], wobei damit zugleich ihr egalitärer Grundzug betont ist. Doch weder durch den Freiheits- noch durch den Gleichheitsbezug verliert Demokratie ihren Herrschaftscharakter. Sie zielt nicht auf Negierung oder Aufhebung staatlicher Herrschaft, sondern auf eine (besonders anspruchsvolle) Organisation derselben.[356]

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Von entsprechenden Strukturelementen demokratischer Herrschaft lässt sich angesichts des Umstandes, dass Einstimmigkeit in sozialen Großverbänden entweder Illusion oder diktatorische Fassade ist, zunächst die Geltung des Mehrheitsprinzips benennen,[357] dessen Rechtfertigung letztlich im Gedanken der Revisibilität einmal getroffener Entscheidungen liegt und das um einen adäquaten Schutz parlamentarischer wie struktureller Minderheiten zu ergänzen ist.[358] Sodann meint demokratische Herrschaft immer „Herrschaft auf Zeit“[359], bedarf also namentlich in Gestalt regelmäßiger Neuwahlen der kontinuierlichen Erneuerung ihrer Legitimation. Aus der Verknüpfung von Mehrheitsprinzip mit der Machtwechselchance lässt sich zudem eine verfassungsmäßige Fundierung der Opposition[360] ableiten, die freilich im Grundgesetz – im Unterschied zu vielen Landesverfassungen – eher als Funktion, nicht als Institution angelegt ist.

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Demokratie als „Verfahren der Legitimation, der Kontrolle und der Kritik politischer Herrschaft“[361] setzt einen prinzipiell offenen Kommunikations- und Willensbildungsprozess voraus, der den Entscheidungen etwa bei Parlamentswahlen vorausgehen, sie aber darüber hinaus insgesamt übergreifen und begleiten muss. Denn auch eine rein repräsentativ ausgestaltete Demokratie erschöpft sich nicht in der Stimmabgabe bei Wahlen, bei der die Willensbildung sich von unten nach oben zu vollziehen hat.[362] Hinzu kommt in Gestalt eines permanenten Rückkoppelungsprozesses zwischen Wählern und Gewählten „die Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung“[363] durch die Bürger. Wesentliche Grundlage für pluralistische Vielfalt und Gegensätzlichkeit, für Kritik und Kommunikation in diesem Sinne bilden die Grundrechte als „Infrastruktur aller demokratischen Prozesse“[364]. Insbesondere die Meinungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Lüth-Urteil als für die Demokratie „schlechthin konstituierend“ bezeichnet.[365] Das unterstreicht die demokratische Funktion der Grundrechte und ihre Bedeutung für die Gewährleistung einer pluralen Öffentlichkeit.

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