Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Martin Loughlin - Страница 50

b) Notstandsverfassung

Оглавление

74

Die Notstandsverfassung hat nicht nur die Verfassungslage „einschneidend verändert“[268]. Sie polarisierte die innenpolitische Debatte und politisierte die Öffentlichkeit, die Universitäten eingeschlossen.[269] Hauptgegner waren bis zuletzt die Gewerkschaften, die angesichts der Großen Koalition gleichsam die Hauptlast der Opposition trugen. Aber auch viele „freischwebende“ Intellektuelle engagierten sich in bislang kaum dagewesener Weise.[270] Befürchtungen einer vollständigen autoritären oder gar totalitären Umbildung des Staates gingen um und verbreiteten höchste Alarmstimmung.[271] Die einschlägigen Titel repräsentativer Sammelbände und Streitschriften wie „Notstand der Demokratie“[272], „Der totale Notstandsstaat“[273], „Gefahr im Verzuge“[274] verliehen den tatsächlich empfundenen oder auch politisch dramatisierten Sorgen ebenso beredten Ausdruck wie die denunziatorische Abkürzung der Notstandsgesetze als „NS-Gesetze“[275]. Der Protest gipfelte in einem Sternmarsch nach Bonn im Mai 1968. Katalysatorische Funktion für die nachdrückliche Wucht der außerparlamentarischen Opposition hatte sicher, dass die Verabschiedung in der Endphase der Großen Koalition zusammenfiel mit den Studentenunruhen,[276] den Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg und dem mit alledem verbundenen tiefgreifenden Umbruch des gesellschaftspolitischen Klimas insgesamt. Die Notstandsgesetzgebung bildete den „Kristallisationspunkt der Studentenrevolte und der erstmals politisch hervortretenden außerparlamentarischen Opposition“[277]. Deshalb ist es auch kurzsichtig, von einem Abebben des Protests nach Verabschiedung der Notstandsverfassung zu sprechen.[278] Der Widerstand formte sich vielmehr in den darauffolgenden Jahren in einer viel prinzipielleren Weise zur Fundamentalopposition um, die nicht lediglich einer Verfassungsnovelle innerhalb des Systems, sondern dem System als solchem galt. 1968 war eben auf vielfältige Weise ein „Epochenjahr“[279].

Handbuch Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх