Читать книгу Der Kelch der Wiederkehr - Matthias Bieling - Страница 11

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Der Himmel über dem Ruhrtal war hellgrau und hatte blaufarbene Streifen, die einen gelassen stimmten. Darunter sah der Komplex der Ruhr-Universität dunkel und abweisend aus, eine riesige Betonansammlung, die gut gemeint aber widerwärtig war und deshalb schlechte Laune machte. Ich fuhr ins Zentralparkhaus, fand eine Lücke, stieg aus, schloss das Fahrzeug ab und suchte mir den Weg zu einem verrotteten Treppenaufgang und von dort auf den Campus. Es war nicht weit zu den M-Gebäuden und ich fand schnell, was ich suchte.

Nach dem ‚Herein‘ öffnete ich die Tür. In dem Raum waren Schränke an den Wänden, voller Aktenordner und Büchern mit Registraturschildchen, rund um einen in der Mitte stehenden Schreibtisch verteilt. An einem Druck- und Faxgerät in der Ecke stand eine Frau mittleren Alters mit einer Figur, bei der alles so war, wie es sein sollte. Ihr Rock endete auf Höhe der Knie und sie trug einen weißen, leichten Baumwollpulli dazu. Ihre halblangen brünetten Haare waren sorgfältig frisiert und Ihr Make-up nicht aufdringlich. Sie passte nicht hinter diese Tür, auf der ‚Prof. Dr. med. Ruben Osbert, Sekretariat, Fakultät für Medizin, Lehrstuhl für Humangenetik‘ stand, aber sie lächelte mich aufrichtig an.

„Guten Tag, mein Name ist Koslowski, ich bin Privatdetektiv und möchte mit Prof. Osbert über einen der Studenten sprechen. Besser gesagt, einen ehemaligen Studenten.“

Sie sah mich neugierig an, mit einem Augenaufschlag der erst recht nicht hierher passte. „Herr Prof. Osbert ist sehr beschäftigt. Er hat heute Vorlesung, die Doktoranden sind auf seine Unterstützung angewiesen und die Hausarbeiten sind noch nicht bewertet, müssen aber bis nächste Woche fertig sein. Um wen geht es denn?“, fragte sie und blickte mir direkt in die Augen. Sie hatte große, graue, erfahrene Augen.

Ich hielt dagegen und sagte „Eugen Schäfer, er hat bis vor zwei Jahren hier Medizin studiert.“

Für einen Moment sah sie mich noch an, wendete sich dann nach rechts, sodass ich ihr Profil gut sehen konnte und ging zu einer Tür. Ich frage mich immer, wie Frauen auf solchen Schuhen laufen können, aber es sah sehr ansprechend aus.

„Ich werde sehen, ob Prof. Osbert einen Moment Zeit für Sie hat“, sagte sie, als sie die Türklinke hinunterdrückte. „Einen Moment bitte.“ Sie war sehr professionell und verschwand hinter der Tür.

Es dauerte nicht lange. Die Tür öffnete sich und die Frau trat wieder in das Büro, blieb an der offenen Tür stehen und sagte, dass der Professor gerne mit mir sprechen werde. In ihren Augen blitzte es und sie lächelte mich an, als ich mich an ihr vorbeizwängte. Sie benutzte ein teures Parfüm, und es blieb mir noch etwas davon in der Nase, als ich an ihr vorbei war.

„Guten Morgen, ich bin Ruben Osbert“, begrüßte mich der Mann in dem Büro und rückte dabei seine Hornbrille zurecht. Seine Haare, soweit sie noch vorhanden waren, denn in der Mitte seines Kopfes war er kahl geworden, waren angegraut, ursprünglich aber von heller Farbe gewesen. Seine Wangen hingen etwas herab und seine Tränensäcke sackten herunter. Sein Mund war extrem schmal und im Mundwinkel hing ein infamer Zug, aber vielleicht sah das auch nur im Verhältnis zu seiner Nase so aus. Denn diese war groß und breit und wies einen Buckel auf. „Sie können hier die Maske abnehmen. Nehmen Sie doch bitte Platz“, vollendete er die Begrüßung.

In dem Büro war es heiß, einige Blätter mit Notizen waren mit Tesafilm-Streifen an die Fenster geheftet. Auf dem Boden und den Regalen lagen Schnellhefter, Bücher und Papierstapel herum. An der Längswand waren gerahmte Zertifikate und Zeitungsausschnitte platziert. Die Rahmen waren alle gleich und hatten links, rechts, oben und unten alle denselben Abstand. Es sah sehr ordentlich und geplant aus, irgendwie militärisch.

„Sie sind Privatdetektiv und suchen Eugen Schäfer, sagte meine Sekretärin?“, fragte er und setzte sich in seinen teuren Chefsessel, der hinter seinem teuren Schreibtisch stand, so einen, den man hochfahren kann, um daran im Stehen zu arbeiten. Er wies einladend auf einen Schwingstuhl vor dem Schreibtisch. Dabei sah er mich aber nicht an, sondern fummelte unruhig an dem Kragen seines helllila Hemdes herum, das er unter einem grauen Pullunder trug.

Ich setzte mich. „Eugen Schäfer ist tot“, kam ich direkt zur Sache, da ich mir nichts anderes überlegt hatte und auch nicht erwartete, dass eine subtilere Vorgehensweise mehr Effekte hervorbringen oder einfacher zu Erkenntnissen führen würde. Aufgrund der Informationen, die Julia mir über ihr zufällig mitgehörtes Telefonat zwischen Eugen und dem Professor gegeben hatte, konnte es durchaus sein, dass er irgendwie in die Angelegenheit verwickelt war. Ein direktes Ansteuern an mein Anliegen erschien mir deshalb zum damaligen Zeitpunkt als zielführend, um herauszufinden, ob es tatsächlich so war.

Als Reaktion auf meine Worte verdunkelten sich seine Augen und seine Unterlippe zitterte kurz. Offensichtlich wusste er bisher nichts über den Tod von Eugen Schäfer und es schien ihn zu berühren. Seine Bestürzung bekam er aber schnell in den Griff und er versuchte, sich einen unbeteiligten Ausdruck zu geben. Er war nunmehr auf der Hut, machte dabei einen schlauen und zähen Eindruck und es würde schwer werden, aus ihm etwas Brauchbares herauszubekommen.

„Was können Sie mir zu Eugen Schäfer sagen? Er war doch mit Ihnen bekannt“, versuchte ich ihn zu locken.

„Er war bis vor zwei Jahren Student hier, aber wir waren nicht miteinander bekannt“, presste er hervor und schluckte dabei. Seine Augen flackerten, dann leckte er sich über die Lippen. Er war ein schlechter Lügner, aber ich ließ es ihm für den Moment durchgehen.

„War er ein guter Student?“

Seine Blicke streiften durch das Zimmer und blieben an den Zertifikaten hängen. Vielleicht zählte er sie durch, um sich zu vergewissern, dass ich nicht eines entwendet hatte. „Wenn ich mich richtig erinnere, erfüllte er die Anforderungen. Seine Stärken lagen aber mehr im Praktischen. An wissenschaftlichem Arbeiten war er nicht so interessiert.“ In seinem Gesicht loderte dann erschütternder Ehrgeiz auf: „Dabei kann man die Wissenschaft vorantreiben und Berühmtheit erlangen.“ Er bemerkte wohl seine Blöße, denn er sagte danach mit künstlicher Ruhe: „Das war für ihn aber nicht von Interesse. Nur die Laborpraktika waren für ihn sehr interessant. Er verließ dann auch die Universität und arbeitete im Medizinbereich. Er hatte da schon Erfahrungen gemacht, ich denke als Rettungssanitäter oder so.“ Er hatte inzwischen wohl beschlossen, dass es am besten war, nichts Greifbares für mich übrig zu haben. Er hatte sich wieder völlig gefangen und das Verharren im Ungefähren gab ihm Sicherheit.

Ich nahm sein Verhalten als Bestätigung, ihn nicht außen vor lassen zu können. Da ich ihn nicht hart befragen konnte, versuchte ich es mit Überrumpelung: „Worum ging es denn bei Ihrem Telefonat letzte Woche?“

„Telefonat?“, fragte er, um Zeit zu gewinnen. „Woher wissen Sie, dass wir telefoniert haben? Wer hat Ihnen das gesagt, Herr Koslowski?“ Argwohn strömte unter der Tür hindurch in den Vorraum.

„Seine Frau hat das zufällig gehört.“ Ich war froh, diese Antwort geben zu können und sein Argwohn verflüchtigte sich, ohne dass ein Schimmer zurückblieb.

Er zählte erneut durch und stellte fest, alles war immer noch an seinem Platz. Da er mittlerweile diagnostiziert hatte, mir etwas geben zu müssen, damit ich mit etwas abziehen konnte, hatte er einen Plan gefasst, lehnte sich in seinem Sessel zurück und sagte: „Herr Schäfer hatte einen Posten Labormaterial, den er verkaufen wollte, für unsere Versuchslabore. Aber wir sind ja buchführungspflichtig und haben im Rahmen der Universitätsordnung definierte Beschaffungsprozesse. Da konnte ich ihm dem Posten nicht abnehmen.“

Er war immer noch ein schlechter Lügner, aber ich ließ ihm das immer noch durchgehen: „Wissen Sie, mit wem er da zu tun hatte?“

„Nein, tut mir leid, das war auch nur ein kurzes Telefonat. Ich hatte mich gewundert, nach zwei Jahren mal wieder von ihm zu hören, aber wir haben wirklich nur ganz kurz gesprochen. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann. Ich muss jetzt auch wirklich weiterarbeiten, es tut mir leid“, sagte er im Aufstehen.

Ich überlegte kurz, ob ich die Renitenz-Karte spielen sollte. Aber da ich seinen hasserfüllten Blick sah, eine Abwägung der Erfolgschancen nicht positiv ausfiel und ich auch nicht wusste, in welche Richtung ich weiter fragen sollte, beschloss ich, die Befragung zu beenden. Ich stand also auch auf und wandte mich Richtung Tür.

Obwohl ich keinerlei Anhaltspunkte herausgefunden hatte, wie seine Verwicklung in den Fall aussah, wusste ich, dass Professor Ruben Osbert mit hoher Wahrscheinlichkeit darin eine Rolle spielte. Das war schon mal was und deshalb sagte ich beim Herausgehen artig ‚Danke‘. Ich wusste genau, wenn man nicht locker ließ, fand man im Laufe der Zeit immer mehr heraus und darunter war dann auch etwas, das als Tatsache an der Verwicklung klebte und auch einen gefassten, schlauen und vorsichtigen Professor zum Auspacken brachte.

Nachdem ich seine Tür geschlossen hatte, schickte ich noch einen Blick in die aufmerksamen Augen der Vorzimmerschönheit, die hinter ihrem Schreibtisch saß und die Beine übereinander geschlagen hatte, bedankte mich auch bei ihr und nahm mir vor, ihr ‚Auf Wiedersehen‘ zu überdenken.

Der Kelch der Wiederkehr

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