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Die Sonne reflektierte auf der matt-weißen Glasscheibe der Tür zu meinem Vorzimmer, auf der von außen in schönen, klaren, schwarzen Buchstaben stand ‚Josef Koslowski – Private Ermittlungen – schnell, sicher, seriös‘.

Ein paar Drinks hatten mir durch die Nacht geholfen, sodass sie nicht zu lang geworden war. Da ich den Morgen genauso gut hier verbringen konnte wie überall sonst, war es mir nicht schwergefallen, mir ein paar Routineaufgaben und Papierkram als leichten Zeitvertreib vorzustellen. Aber alles, was man sich leicht vorstellt, wird dann immer ganz anders.

„Wieso möchten Sie mich wegen des Verkehrsunfalls des Malteser-Rettungswagens gestern auf der Ausfallstraße sprechen?“, fragte ich den Besucher, der problemlos den Weg durch das leere Vorzimmer gefunden hatte. Das Vorzimmer war aus Kostengründen derzeit nicht besetzt, wobei derzeit schon länger andauerte.

Der Mann vor mir hatte eine entzündete Gesichtshaut und trug einen elegant geschnittenen, blauen Anzug zu seinen herbstblattblonden Haaren. Diese waren sogfältig gescheitelt und verliehen ihm ein nervöses Aussehen. Er war unmittelbar nach mir gekommen, ohne Maske und den Mantel über dem Arm und es war mir nicht recht, dass er offensichtlich draußen auf mich gewartet hatte. Er war etwa einsachtzig groß, etwa 45 Jahre alt und sportlich-schlank, begann aber verweichlicht auszusehen.

„Der Ruhr-Morgen berichtet ja immer zuverlässig, aber Sie waren ja dort, wie ich verstehe. Natürlich sind die Zeilen beschränkt und nicht alles ist ja auch für das breite Publikum interessant, nicht wahr?“, antwortete er auf meine Frage nach dem Grund seines Hierseins.

Die Tonlage seiner Stimme war überraschend hoch. Er war bemüht, sich einen unbeteiligten Ausdruck zu verleihen, was erstens unglaubwürdig war, weil er extra gekommen war und zweitens unlogisch, denn ein versehentlicher Tod durch Überdosis bot keinen Grund für einen Besuch eines Unbeteiligten in meinem Büro. Es war so unlogisch wie eine Mücke, die nachts lieber schlafen wollte und so unglaubwürdig wie ihre vorgegebene Appetitlosigkeit, wenn sie diabolisch um das Ohr surrte.

„Wie ich verstanden habe, waren Sie ja dort, Herr Koslowski?“, fragte er erneut und ließ seinen Blick durch mein Büro schweifen.

Ich legte Wert auf einen professionellen Eindruck meines Büros und so hatte ich hinter meinem Schreibtisch, der immer bis auf den Flatscreen, die Tastatur, die Maus und das Telefon leer war, ein streng abstraktes Bild im Stil irgendwo zwischen Mondrians Kompositionen und Malewitschs Suprematismen gehängt. An der Seitenwand rechts von mir war eine durchgängige Aktenschrankwand mit Schiebetüren. Die meisten Schranktüren waren geschlossen, aber einige ließen einen Spalt, durch den man unterschiedlich farbig beklebte Aktenrücken sehen konnte.

Ich lehnte mich in meinem Bürosessel zurück und erwiderte: „Ich bin zufällig vorbeigekommen. Woher wissen Sie, dass ich dort war?“

„Oh, wir haben das aus dem Zeitungsartikel entnommen. Wir haben zufällig über diesen Artikel von dem Unfall erfahren“, sagte er, rückte auf dem Besucherstuhl vor meinem Schreibtisch nach hinten und blickte zu seiner Rechten harmlos aus dem Fenster.

Severin Graf hatte also, um sich mit ein wenig Reklame zu revanchieren, in seinem Artikel erwähnt, dass ‚der berühmte und erfolgreiche Privatdetektiv Josef Koslowski‘ am Tatort gewesen war. Er war ein tüchtiger Reporter und wir versorgten uns gegenseitig immer mal wieder mit Informationen. Darüber hinaus war er eine Art wandelndes Lexikon, das mir schon oft zupass gekommen war. Ich kannte ihn schon ewig, mochte ihn und wir sprachen dann und wann miteinander in gelockerter Atmosphäre. Da er derzeit – wie auch eigentlich sonst immer – ein wenig in der Schusslinie bei seinem Chefredakteur stand, hatte ich ihn angerufen, weil ich gedacht hatte, die Geschichte könnte ihm ein wenig helfen. Das zahlte sich vielleicht nun aus.

„Warum wollen Sie mit mir darüber sprechen?“, fragte ich, um nicht in die Defensive zu geraten.

Seine Augen waren klar und groß, als er sich vom Fenster abwandte und mich anmaßend ansah. Dabei kratzte er sich mit seinem Daumen den Zeigefinger. Der Eindruck von Nervosität war verschwunden und er wirkte mittlerweile sehr souverän: „Der Fahrer, Eugen Schäfer, war öfter bei uns zur geistigen Stärkung, ich habe ihn gern bei uns gesehen.“ Die hohe Stimme klang dabei sehr ölig und besonders unangenehm. „Es war ja auch kein Unfall, wie man liest.“ Er war fertig mit dem Fingerkratzen und wusste offenbar, worauf er hinauswollte. „Natürlich möchten wir nicht in ein schlechtes Licht geraten, das Image ist ja heutzutage so wichtig. Ein an einer Überdosis Verstorbener und wir in einem Atemzug genannt, wäre eine Katastrophe. Wir haben nichts mit Drogen zu tun und möchten auch nicht nur ansatzweise damit in Verbindung gebracht werden.“ Er sah mir direkt mit kalten, harten Augen in mein Gesicht: „Ist Ihnen irgendetwas Besonderes aufgefallen?“

„Wer ist denn wir?“

„Oh, ja natürlich, wir sind eine Vereinigung geschichtsinteressierter Menschen, die ganz zwanglos zusammenkommen und uns über Aspekte eines besonderen Teiles der Vergangenheit austauschen. Nichts Besonderes. Haben Sie also etwas bemerkt?“ Er reichte mir eine Visitenkarte, auf der ‚Dr. rer. pol. Belvon von Richtplatz, Vorsitzender, Verein zur Erforschung des Erbes der Katharer e.V.‘ und eine Adresse und Telefonnummer aufgedruckt war.

„Es war dunkel, aber es war trotzdem viel zu sehen. Herr von Richtplatz, wenn Sie mir einen Hinweis geben, worum es Ihnen geht, ist es für uns beide einfacher“, sagte ich und versuchte dabei sehr einfältig auszusehen.

Er sah kurz auf seine eleganten, aber etwas durchweichten Schuhe, fingerte erneut etwas an einer seiner Entzündungen herum und raffte sich zu einer Erklärung auf: „Natürlich, Eugen Schäfer sollte ein Paket bei sich haben. Darin war ein Kelch, nichts Besonderes, der Materialwert ist gering, aber für unsere Forschungen von hohem ideellem Wert.“ Dabei sah er mich mit leicht geneigtem Kopf an und auf seinem Kinn lag ein gelblicher Schimmer.

Seine Worte konnten erklären, worum es ging und warum er hier war: Ein Paket, das der Tote bei sich hatte und das er haben wollte, war ein nachvollziehbarer Grund mich aufzusuchen und es war ganz naheliegend und logisch, dass sich bei einem Drogentoten in einem Paket, das er mit sich führte, Drogen befunden hatten. Drogen wären eine klare und einfache Sache, ein Kelch mit hohem ideellem Wert eher nicht. Aber ich konnte mich einfach nicht mit diesem Drogengedanken anfreunden, mein Gefühl wollte nicht mit dem Logischen und Naheliegenden harmonieren. Ich hatte das Gefühl, es entsprach der Wahrheit und es hatte sich ein Kelch in dem Paket befunden. Das machte es aber nicht sympathischer.

„Haben Sie ein Foto von dem Kelch?“, wollte ich wissen.

„Nein, leider nein. Ich habe ihn nie gesehen und kenne ihn nur aus Beschreibungen. Es handelt sich um einen flachen Kelch aus Achat, vielleicht mehr ein flacher Becher oder eine Schale. Er ist sehr alt“, beschrieb er den Inhalt des Paketes mit einem feindseligen Blick. „Haben Sie den Kelch oder das Paket gesehen?“, insistierte er und sah mir fest auf meine Brust. Vielleicht meinte er, damit meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen.

„Ich habe kein Paket oder einen Kelch gesehen, es tut mir leid, wenn ich nicht weiterhelfen kann“, erwiderte ich. Ich gaukelte mir so vor, mich aus der Sache herausreden zu können, denn ich hatte mir vorgenommen, nur noch klare und einfache Fälle anzunehmen.

Seine Stirn kräuselte sich leicht und nachdenklich spitzte er die Lippen, griff dann in seine Jackettasche, holte einen Umschlag heraus, legte ihn auf den Tisch und ich konnte sehen, dass er einen Stapel Fünfziger enthielt. „Ermitteln Sie für uns, ich will den Kelch haben“, sagte er mit schneidender Stimme und sah mir fordernd auf die Lippen. Die Forderung, allerdings in Form eines Angebotes, hatte ich erwartet, die Schärfe in seiner Stimme nicht. Ich war wählerisch bei meinen Auftraggebern und wollte dieses gerne erwidern, aber er kam mir mit einem schiefen Lächeln zuvor: „Wenn er das Paket nicht bei sich hatte, muss er es irgendwo anders haben. Es ist sicher kein schwerer Auftrag und Sie leben doch von Ermittlungen.“

In der Tat konnte ich einen Auftrag gut gebrauchen. Den Bericht über den Ehemann einer unangenehmen, Untreue vermutenden Ehefrau hätte ich schon längst schreiben und übergeben müssen, da der Vorschuss verbraucht war und es keinerlei Anknüpfungspunkte für eine Untreue gab. Die Suche nach der verschwundenen Katze von Frau Schulze würde nichts einbringen und ansonsten war mein Auftragsbestand abgearbeitet. Der Gedanke an Drogen als Inhalt des Paketes nagte immer noch in mir, war aber immer noch nicht mein Freund. Ich hatte aber auch gelernt, eins plus eins ergab nicht drei und deshalb sträubte sich alles in mir, die Suche nach einem Kelch mit rein ideellem Wert zu akzeptieren.

Bevor ich aber etwas sagen konnte, stand er auf, sah mich noch einmal durchdringend an und verließ mein Büro mit den Worten: „Überlegen Sie es sich. Es ist ein einfacher Auftrag. Wir bleiben in Kontakt.“

Er ließ den Umschlag einsam auf meinem Schreibtisch zurück.

Der Kelch der Wiederkehr

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