Читать книгу Der Kelch der Wiederkehr - Matthias Bieling - Страница 16

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Mittlerweile war es schon spät geworden. Es würde eine stille Nacht werden, aber durch die würden mir ein paar Drinks und das Deklamieren von Stefan Georges Gedichten helfen. Dabei würde ich über ein verschwundenes Paket, Humangenetik als Wissenschaft und einen Kelch nachdenken. Da ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, erschien es mir angebracht, beim Dresden-Döner etwas zu essen, bevor ich Lina anrufen würde.

Es war alles wie immer: Die Glasscheiben der Theke waren ein wenig schmierig nach dem langen Tag, die Spieße drehten sich langweilig in mäßiger Geschwindigkeit und die Bedienung fragte „Mit scharf oder mit ohne scharf?“ Ich bestellte mit ohne scharf.

In der Ecke lief stumm auf einem Bildschirm die Aufzeichnung einer türkischen Musiksendung aus Vor-Corona-Zeiten: Eine fette Matrone in einem Seidenoberteil schüttelte ab und zu ihre Brüste, ansonsten schienen ihre Lippen den Stoffbezug des Mikros zu streicheln, während sie dazu ein bisschen dümmlich lächelte.

Der Döner schmeckte wie immer und fast hätte ich ihn ohne einen großen Tropfen fettiger Sauce auf meinem Anzug bewältigt. Wie in jedem gutsortierten Imbiss gab es solche Halter für Papierservietten, aus dem ich einen Packen entnahm, um das Revers meines Jacketts damit zu reinigen.

Zu dem Döner trank ich ein kleines Bier, das lauwarm war, weil die Glastür des Kühlschranks durch eine Plastikfolie ersetzt worden war, die mit Klebeband am Kühlschranktürrahmen befestigt war. Als ich das traurige Bild betrachtete, erklärte die Bedienung, dass das Türöffnen einem Gast zu lange gedauert hatte und er deshalb die Tür eingeschlagen hatte. War eine große Sauerei gewesen, da er wie ein Schwein geblutet hatte.

Offenbar war die Bedienung an den Döner-Spießen schon viel rumgekommen und hatte schon einiges erlebt. Ich selbst hatte noch kein blutendes Schwein gesehen, konnte aber ansonsten die Situation nachvollziehen.

Auf der Essener Straße war mir klar, dass mein Gefühl im Rücken realen Tatsachen entsprach. Die Scheinwerfer warfen blaues Licht und hielten beruhigend den Abstand. Ich fuhr schneller oder langsamer, bog ab, blinkte und fuhr geradeaus, das blaue Licht folgte mir. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es eine Verwechselung war. Einen Augenblick überlegte ich, eine wilde Verfolgungsszene zu provozieren, aber es erschien mir zu unfair.

Nachdem ich zu Hause angekommen war, stieg ich schnell aus. Das Fahrzeug fuhr langsam unauffällig an mir vorbei und parkte dann vorne an der Ecke. Es war ein weißer AMG-Mercedes mit Bielefelder Kennzeichen und den größten Auspuffrohren und den dicksten Reifen der Stadt.

Während der Fahrer bartlos war, trug der Beifahrer einen Vollbart. Beide waren etwa 25 Jahre alt, hatten schwarze Haare und scharfgeschnittene Gesichter. Sie trugen Hemden und der Vollbart dazu einen Reißverschluss-Hoody mit drei Streifen und langen weißen Bändern, der Fahrer eine schwarze Lederjacke, sicher aus Ziegenleder. Die beiden sahen nicht so aus, als ob sie von der Döner-Zentrale in Dresden entsandt worden waren, um eine Kundenzufriedenheitsstudie durchzuführen. Aber man konnte nie wissen und ich beschloss es herauszufinden.

Ich schlenderte also an meiner Haustür vorbei und nachdem ich den Wagen erreicht hatte, klopfte ich fest aufs Dach. Als der Beifahrer die Scheibe herunterließ, startete auch schon der Fahrer den Motor und ich fragte schnell: „Seid ihr aus Dresden?“

Verblüfft sah mich der Beifahrer an und antwortete: „Nein, aus Beirut“, und dann „Also nicht direkt, jetzt sind wir aus Essen …“

„Arif, du bist ein Idiot“, hörte ich den Fahrer noch sagen, als der Wagen mit quietschenden Reifen losfuhr.

Der Kelch der Wiederkehr

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