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Ich fuhr über die Herner Straße und dann über den Westring. Die Luft war kühl und schmeckte mittlerweile nach Schnee, denn der kaltgraue Himmel hatte es nur so warm werden lassen, dass der Atem in kleinen Wolken vor dem Gesicht stand. Es waren nur wenige Menschen unterwegs und alle trachteten danach, möglichst schnell wieder unter ein Dach zu kommen und eine Tür hinter sich zu schließen.

Es war erwartungsgemäß schwierig, einen Parkplatz zu finden, aber in der Katharinastraße konnte ich mein Auto abstellen. Als ich das Gebäude der Malteser Bochum dann durch eine Art Hinterhof betreten hatte und ich mein Anliegen und den Grund meiner Anwesenheit erklärt hatte, sah mich die Frau hinter dem mit einer Glasscheibe abgetrennten Tresen aufmerksam an und gab mir dann Auskunft: „Der Herr von Beroy zu Carpand ist nicht hier, der sitzt in Köln. Wir gehören zur Diözese Essen, dort wäre wahrscheinlich auch der Leiter Rettungsdienst der richtige Ansprechpartner. Vielleicht kann Ihnen aber unser Kreisgeschäftsführer Bochum helfen. Ich kann Sie anmelden“, sagte sie. Bevor sie das tat, gab sie mir noch Namen und Adresse des Leiters Rettungsdienst in Essen und den Namen des folgenden Gesprächspartners. Aus ihrem Gesicht, ihrer Haltung und ihrem Lächeln sprach ‚Ich diene‘. Damit war sie glücklich.

Der Mann, der vor mir saß, hatte Übergewicht, eine fleckige Gesichtshaut und der Kragen seines rot-blau karierten Hemdes war speckig mit abgewetzten Kragenecken. Seine Haare waren ungepflegt und mussten von brünetter Farbe sein. Aus seinem linken Ohr wuchs ein einsames, kräftiges Haar. Er strömte einen ranzigen Geruch aus, der den Gesamteindruck abrundete.

Auf dem Schreibtisch hinter dem er saß, waren Kaffeeflecken in denen sich das Licht des Computerbildschirmes spiegelte und in einer Lache stand ein Kaffeebecher. Neben der Tastatur lag ein angebissenes Salamibrötchen. Der Schreibtisch war imposant, weil groß und schwer und aus Nussbaumfurnier, rechts und links mit großen Unterschränken. Hinter ihm an der Wand hing ein Madonnenbild in einem goldenen Rahmen.

„Mich hat vorhin schon eine Kommissarin Bertes angerufen. Sie hat aber nichts davon gesagt, dass noch ein Kollege vorbeikommt. Ich habe eigentlich auch wichtige Aufgaben zu erfüllen“, begrüßte er mich und blickte mich dabei an, als wäre ich da, um seine zweite Hypothek zu kündigen.

Da er mich nicht ermunterte, die Maske abzunehmen, behielt ich sie auf, aber weil vor seinem Schreibtisch ein Stuhl stand und er mich so freundlich empfing, setzte ich mich, um keine Zeit mit unwichtigem Smalltalk zu verplempern. Weil ich Kommissarin Bertes nicht kannte und auch noch nie von ihr gehört hatte, würde sie mindestens aus diesem Grunde nicht erzählen, was sie erfahren hatte und deshalb sah ich keinen Grund, mein Gegenüber nicht zu fragen: „Wonach hat die Kommissarin denn gefragt?“

„Nach Eugen Schäfer, aber da ich nicht sein Vorgesetzter bin, konnte ich nicht viel sagen“, sagte träge der Mann mit verbrauchter Stimme, der nach Auskunft der Dame, die mich angemeldet hatte, Jan-Joachim Schnapp hieß.

„Herr Hieronymus von Beroy zu Carpand, als sein Vorgesetzter, ist in Köln, wie ich vermute?“, klärte ich ihn darüber auf, eigentlich mit jemand anderem reden zu wollen und nur mit ihm als zweiter Geige vorliebnahm.

„Herr von Beroy ist nicht sein Vorgesetzter, sein Vorgesetzter ist der Leiter Rettungsdienst Herr Norbert Alliard. Der sitzt in Essen. Das habe ich auch Ihrer Kollegin gesagt und gebeten diesen anzusprechen.“ Ihm gefiel, mich korrigieren zu können und aus seiner Betonung ergab sich eine Rüge für meine unzureichenden Hausaufgaben. Aber dann fiel ihm wohl ein, dass es nicht schaden konnte, sich ein wenig mit mir zu befassen und viel weniger barsch sagte er: „Herr von Beroy ist vom Orden. Er war schon öfters hier, die deutsche Assoziation des Souveränen Ritter- und Hospitalorden vom Hl. Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta – kurz Malteserorden – ist einer unserer Gründer. Herr von Beroy hat für unsere Mitarbeiter und Mitglieder über unsere Geschichte als Malteser gesprochen. Sehr eindrucksvoll.“

Mit gerunzelter Stirn sah er mich an, griff dann Richtung Salamibrötchen, aber offenbar wurde ihm die Geschmacklosigkeit klar, an seinem Brötchen zu kauen, während sein Besuch die Zähne zusammenbeißen musste. Er griff stattdessen nach dem Kaffeebecher und nahm einen tiefen Schluck daraus. Ein Tropfen vom Rand lief dann den Becher hinunter, landete beim Zurückstellen auf der Schreibtischplatte und vergrößerte die Fleckenlandschaft. Dann fuhr er fort, nicht ohne Stolz in der Stimme: „Unser Orden wurde nach der Eroberung von Jerusalem im ersten Kreuzzug im 11. Jahrhundert gegründet. Damals mit der Zielsetzung der Krankenpflege. Aufgrund der Situation entstand auch ein militärischer Arm, der in den Kreuzzügen, später in einigen anderen Kriegen kämpfte. Heute sind die Malteser rein karitativ tätig und unterstützen Alte, Behinderte, Kranke, Flüchtlinge und Verletzte und sind auch anderweitig humanitär engagiert.“

Ich war auf eine redselige Seele gestoßen. Dieses Glück wollte ich ausnutzen, weil es in der Phase der Ermittlungen wichtig war, so viele Informationen zu erhalten wie möglich. Ich fragte deshalb: „Ich habe auch schon von Johannitern gehört. Das ist dann dasselbe?“

Er hatte seinen großen Tag und freute sich sichtlich darüber: „Ursprünglich wurden wir Johanniter genannt. Der evangelische Zweig unserer Vereinigung wird auch heute noch so genannt. Nachdem das Heilige Land von den Christen verlassen wurde, wurde der Orden auf Rhodos heimisch und nach der Vertreibung von dort auf Malta. Daher kommt der heute gebräuchliche Name für unseren römisch-katholischen Orden: Malteser.“

Als er römisch-katholisch aussprach, schien es mir, als finge das Madonnenbild hinter ihm an zu strahlen. Es machte allerdings den Eindruck, als wäre die Madonna aufgebracht. Vielleicht lag es aber auch nur daran, weil die Sonne durch die Wolken gebrochen war und höher stieg.

„Und diese karitativen Tätigkeiten der Malteser in Deutschland werden alle vom Orden wahrgenommen?“, wollte ich seinen Redefluss auf für meine Ermittlungen wichtige Aspekte in Gang setzen.

„Naja, nicht ganz. Der Malteser Hilfsdienst e.V. wurde mit Beginn der 1950er Jahre gegründet. Gründer waren der Caritas-Verband und eben die jetzige Deutsche Assoziation des Malteser-Ordens.“

Ich war mir nicht sicher, wohin mich das führen würde und auch nicht, ob es wirklich einen Beitrag zur Aufklärung leisten konnte. Aber man konnte nie wissen und ich hatte auch nicht viel, an das ich mich ansonsten halten konnte. Deshalb fragte ich: „Da muss man also unterscheiden zwischen dem Malteser-Hilfsdienst und dem Malteser-Orden?“

Er nickte: „Ja, da muss man unterscheiden. Der Malteser Hilfsdienst ist ein Verein nach deutschem Recht und unterliegt damit deutscher Gerichtsbarkeit. In Deutschland engagieren sich fast 50.000 Malteser ehrenamtlich und mit über 30.000 hauptamtlichen Mitarbeitern sind die Malteser auch einer der großen Arbeitgeber. Operativ findet die Arbeit in GmbHs statt, an denen der Verein beteiligt ist.

Daneben gibt es die Ordensorganisation in Deutschland. Der deutschen Assoziation gehören die Mitglieder der drei Stände des Ordens an. Der Orden ist in der Steuerung und Verwaltung des Vereins und der GmbHs tätig und auch vielfach Mitgesellschafter der GmbHs. Ohne den Orden läuft also nichts, er ist da ganz maßgeblich. Der Orden ist aber selbstständig außerhalb des deutschen Rechts.“

Mein Blick wanderte über das Regal mit den Aktenordnern, die viele ganz unterschiedliche Beschriftungen der Rückenschilder aufwiesen, sehr unruhig. Ich bekam das Gefühl, das Ganze war eine recht komplexe Sache und falls es notwendig werden würde, wären die Fäden der Malteser nicht leicht zu entwirren. Ich war schon lange im Geschäft und wusste daher, dass ich gleich damit anfangen konnte: „Ich bin sicher, Sie können das genauso gut erklären wie Herr von Beroy. Was heißt denn ‚selbstständig außerhalb des deutschen Rechts‘?“

Wie erwartet tat ihm meine kleine Schmeichelei gut und er nahm begierig meine Frage auf: „Der Orden ist völkerrechtlich souverän, hat eine eigene Ordensregierung, unterhält Botschaften, hat eine eigene Währung und wir geben sogar eigene Briefmarken heraus. Der Orden hat auch eine eigene Jurisdiktion für seine Mitglieder mit Ordensgerichten und einer Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwälte und Richter werden vom Großmeister unter Beteiligung des Souveränen Rates ernannt. Sie sehen, wir sind so eine Art Staat. Leider haben wir nach der Eroberung von Malta durch Napoleon kein Staatsgebiet mehr.“ Sein Gesicht glänzte vor Freude darüber, sein Wissen mit mir teilen zu können und sein Ohrhaar vibrierte.

Mir war nicht entgangen, dass er sich einbezogen hatte: „Sie sind auch Mitglied des Ordens?“

Seine Wangen zuckten etwas, er räusperte sich und antwortete dann mit leiser Stimme: „Nein, ich bin Angestellter beim Malteser Hilfsdienst.“ Es war zu erwarten, dass er kein ‚Leider‘ anfügte, aber es war ersichtlich, wie gerne er eine wichtige Rolle im Leben spielen würde, das aber niemanden interessierte. Seine Resignation über ein Leben, das ihn schikanierte und auslachte, wurde greifbar, als er sich mit beiden Händen die Schläfen rieb und dazu mit verkrampften Lippen vor sich auf die Kaffeeseen starrte.

Ich sah aber keinen Grund, ihn zu trösten: „Wie wird man denn Mitglied in diesem ‚Staat‘?“

„Der Orden entscheidet souverän über die Aufnahme und die Aufgaben seiner Mitglieder. Das ist in dem Kodex des Ordens festgelegt. Allenfalls der Papst kann da mitsprechen. Immer noch stammen viele Mitglieder des Ordens in Europa aus Adelsfamilien, hauptsächlich aus dem Stand der Ritter, es werden aber mittlerweile auch Nicht-Adelige aufgenommen. Die Zeiten des Elitarismus sind vorbei“, sagte er wieder aufblickend, aber es war Bitterkeit in seiner Stimme. „Mittlerweile können auch Frauen in den Orden eintreten.“

„Das ist in der Tat höchst egalitär“, warf ich ein, da ich begann, von seinen Ausdünstungen Kopfschmerzen zu bekommen. „Eugen Schäfer war also hauptamtlicher Mitarbeiter beim Malteser Hilfsdienst und Herr von Beroy ist Mitglied des souveränen Malteser-Ordens?“

„Ja, genau“, bestätigte er, meine kleine Spitze gar nicht bemerkend und in seine Gesichtszüge kroch die Angst, bald wieder allein in seinem erbitternden Büro sein zu müssen. „Soweit ich weiß, haben Schäfer und von Beroy viel über einige Aspekte diskutiert“, sagte er mit einem Gesichtsausdruck, der verdeutlichen sollte, er wäre Hüter des vertraulichen Wissens der Welt, damit ich noch etwas blieb.

Ich hoffte, es würde mich weiterbringen und fragte deshalb: „Worum ging es da?“

Er sah mich dankbar an: „Oh, das weiß ich nicht genau, irgendetwas über Häretiker des Glaubens und deren Einfluss und Hinterlassenschaft in unserer heiligen Kirche. Ehrlich gesagt ist Herr von Beroy zu Carpand ein wenig, wie soll ich sagen, esoterisch veranlagt.“ Ich begriff, bei ihm waren Redseligkeit und Klatsch eine Symbiose eingegangen und wusste deshalb, ich würde noch etwas erfahren. „Es heißt auch, dass das von Frau Bernadea von Richtplatz kommt, unserer großen Spenderin. Eugen Schäfer hatte jedenfalls viel Freiheit, Sie verstehen schon. Er hat eigentlich nicht in unsere Organisation gepasst.“ Damit ich seine Kompetenz nicht falsch einschätzte, fügte er noch hinzu: „Ich hätte das nicht zugelassen und ihn in den Griff bekommen, aber er untersteht ja dem Leiter Rettungsdienst.“

Der Hinweis auf die Spenderin Bernadea von Richtplatz war sehr wichtig und ich hätte darum gewettet, einen Besen zu fressen, wenn Bernadea von Richtplatz nicht irgendetwas mit Belvon von Richtplatz zu tun gehabt hätte. „Wie ist denn die Beziehung zwischen Bernadea von Richtplatz und Hieronymus von Beroy?“, wollte ich ihn nicht vom Haken lassen.

Er war nun voll in seinem Element und blickte sich scheu und schnell über die Schulter, auch wenn er genau wusste, mit mir allein zu sein. Dann sagte er in verschwörerischem Ton: „Es heißt, Bernadea von Richtplatz habe von Beroy bezirzt. Deshalb sei er ihr hörig und sie tue alles, damit das so bleibt. Sie wissen schon.“ Dabei machte er eine obszöne Geste und fuhr dann fort: „Zusätzlich mache sie ihn mit ihren Spenden auch abhängig, denn sie könne ihn jederzeit mit der Drohung, die Spenden einzustellen unter Druck setzen.“ Dabei nickte er mir einmal zur Bekräftigung zu und reckte mir sein Kinn entgegen.

Die Sonne war mittlerweile so hoch gestiegen, dass einzelne Strahlen ein Muster auf die Wand warfen. „Warum will Frau von Richtplatz von Beroy abhängig machen? Was will sie von ihm?“, fragte ich.

Er zog sein Kinn abrupt zurück und sagte: „Davon weiß ich nichts. Ich beteilige mich auch nicht an Gerüchten.“

Das war zwar klar widerlegbar, aber offensichtlich gab es zu den Gründen von Bernadea von Richtplatz keinen Tratsch. Deshalb versuchte ich es auf anderem Weg und fragte: „Wie ist Eugen Schäfer denn zu den Maltesern gekommen?“

Willig nahm er meine Frage auf: „Schon als Jugendlicher hat sich Eugen in unserem Libanon-Projekt engagiert. Bei der Bundeswehr war er dann im Sanitätsdienst und als er sein Medizinstudium abgebrochen und die Universität verlassen hat, hat er bei uns im Rettungsdienst angefangen.“ Sein Blick wanderte wieder zu seinem Salamibrötchen, aber er hatte sich unter Kontrolle und blickte mich wieder an.

„Wissen Sie, wo Eugen Schäfer in den letzten Tagen war und was er gemacht hat?“, ermunterte ich ihn, obwohl er mir mittlerweile auf die Nerven ging.

„Nein, er hatte Urlaub.“

Trotz seiner Leutseligkeit kam ich in dieser Frage offensichtlich nicht recht weiter, versuchte es aber trotzdem noch einmal: „Können Sie sich erklären, wieso er während seines Urlaubs im Krankenwagen saß und dort dann umkam?“ Die hochstehende Sonne konnte die Atmosphäre in diesem Büro nicht retten und mir fiel es zunehmend schwer, mich auf die Befragung zu konzentrieren.

„Nein, vielleicht fragen Sie mal Vitali Rau. Er war ein enger Arbeitskollege. Aber am besten fragen Sie den Leiter Rettungsdienst als seinen Vorgesetzten.“ Ich verstand nunmehr, dass er geübt war, Verantwortung abzuwälzen.

Ich griff dann zum Routine-Instrumentarium: „Hat es jemals irgendwelche Hinweise in Richtung Drogen gegeben? Komisches Verhalten, merkwürdige Besuche oder Anrufe? Fehlten vielleicht mal Betäubungsmittel?“

Er sah ein wenig bestürzt aus und Vorsicht trat in seine Augen: „Nein, das habe ich alles schon Ihrer Kollegin erzählt. Über die Betäubungsmittel führen wir streng Buch, das können Sie mir glauben. Aber da sprechen Sie auch am besten Herrn Alliard als Leiter Rettungsdienst an. Er ist der Vorgesetzte der beiden und hat damals auch die Untersuchung geführt.“

„Untersuchung?“, hakte ich nach. Drogen waren eine klare und einfache Sache.

„Ja, es gab da mal eine Untersuchung, weil Betäubungsmittel verschwunden waren. Aber das habe ich doch schon Ihrer Kollegin erzählt, warum sprechen Sie nicht mit der, sie wollte das in Essen klären“, wand er sich.

Ich wollte ihn nicht damit verwirren, dass ich allein arbeitete und erwiderte daher nichts. Ich hatte inzwischen starke Kopfschmerzen und meine Ambitionen, hier noch länger auszuhalten, waren aufgebraucht, da ich wegen der Maske und seinen Ausdünstungen nur schwer atmen konnte. Er würde auch nichts mehr sagen, was zum Fall beitragen würde. Was er mir eröffnet hatte, reichte auch erstmal hierzu. Ich wusste, es war unanständig, wie ich mich verhielt, aber ich erhob mich abrupt, bedankte mich und überließ ihn der Ausführung wichtiger Aufgaben und seinem gehässigen Leben.

Der Kelch der Wiederkehr

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