Читать книгу Der Kelch der Wiederkehr - Matthias Bieling - Страница 14

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Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber nichts schien dagegen zu sprechen, Eugen Schäfer hätte mit Drogen zu tun gehabt und war deshalb umgebracht worden. In mir sträubte es sich zwar anzunehmen, dieser Forscherverein wäre ein Teil einer Drogengeschichte, aber auch dagegen sprach im Moment nicht viel. Ebenso wenig sprach dagegen, der Professor und dieser Studentenfunktionär hätten etwas damit zu tun. Es könnte sein, dass der Forscherverein Auftraggeber der Drogenverteiler und der Studentenführer Spitze der Verteilerkette waren. Und auch, wenn das absolut nicht überzeugend klang: Der Professor hätte vielleicht mit der Aufbereitung oder Weiterverarbeitung der Drogen zu tun. Wenn ich es so von rechts nach links und wieder zurück wälzte, passte es eigentlich sogar sehr gut. Wenn man das Motiv Drogen und den angenommenen Hintergrund von Auftraggeber, Weiterverarbeiter und Verteilernetz zusammenzählte, könnte sich irgendwo da dann auch der Täter finden lassen.

Dagegen sprach einfach nur mein Gefühl und ich versuchte, mich zu überzeugen, dieses Gefühl beruhte nicht einzig darauf, dass mich Julia Schäfers türkisblaue Augen angesehen hatten.

Ich hatte noch genug Zeit, bei dem direkten Vorgesetzten von Eugen Schäfer, dem Leiter Rettungsdienst, einige Ballons steigen zu lassen und machte mich über die A 448 und die A 40 auf den Weg nach Essen. Ich erwartete eigentlich nicht, auf Beweise für oder gegen eine Drogengeschichte zu stoßen. Ich würde es aber vielleicht schaffen, genügend Informationen zu erhalten, damit sich das Gefühl verflüchtigte, mit der Drogengeschichte auf der falschen Fährte zu sein. Dann müsste ich mich auch nicht mit einem Kelch mit rein ideellem Wert auseinandersetzen, denn damit fühlte ich mich genauso unwohl.

Ich fand den Besucherparkplatz auf Anhieb und tatsächlich wurde ich direkt zum Leiter Rettungsdienst vorgelassen.

Norbert Alliard war ein Mittvierziger mit einer modischen Brille und wachen Augen. Er steckte in einem blauen Pullover, einer dunkelgrauen Pepita-Hose, trug eine schwere Taucheruhr und lächelte mich freundlich an. Mit seinem glattrasierten Gesicht, in dem sympathische Lippen, eine kleine Stupsnase und intelligente Augen miteinander harmonierten, war er eine angenehme Erscheinung. Seine Haare waren dunkel und ich vermutete, er war vor kurzem beim Friseur gewesen, da auch seine Augenbrauen sorgfältig gestutzt waren. Das Blau seiner Augen war sehr intensiv, aber sicher war es Zufall, dass das Blau seines Pullovers damit sehr gut zusammen wirkte.

Nachdem er mir das Abnehmen der Maske mit ganz netten Worten vorgeschlagen und wir uns bekannt gemacht hatten, seufzte Alliard und verlieh seinem Kummer Ausdruck: „Schlimme Sache, das.“

Ich nickte zustimmend und seufzte auch. Er war nicht dumm und es gefiel mir, dass er sofort wusste, worum es ging.

Sein Büro war nicht sonderlich groß und der Besucherstuhl wirkte irgendwie vor dem Schreibtisch eingezwängt. An der Wand stand ein geschlossener Aktenschrank, die Lamellen waren etwas matt vom häufigen Öffnen und der Schlüssel fehlte. Auf seinem Schreibtisch lag ein Ordner, in dem sich aber nur wenige Blätter befanden, ansonsten war der Tisch leer, außer der obligatorischen Tastatur, der Maus und einem etwas altmodischen, eckigen Computermonitor.

Er nahm einen Block und einen Stift aus der Schreibtischschublade, legte sie vor aus, um eventuell mitschreiben zu können und sagte dann: „Es muss ein Schock für die Familie sein, er ist ja erst ein paar Jahre verheiratet.“ Er nahm den Aktenordner und stellte ihn aufrecht unter seinen Schreibtisch. „Und Sie sind von der Familie beauftragt, die These der Polizei zu widerlegen, dass es sich um einen Drogentoten handelt“, stellte er fest.

„So ungefähr“, antwortete ich.

„Ja, da macht die Polizei es sich wirklich zu einfach“, fuhr er mit seinen Feststellungen fort. „Es gab da zwar mal eine Untersuchung wegen Entwendung von Betäubungsmitteln, aber … Ich habe gerade noch einmal die Aktennotiz angesehen, das Ganze ist, wie soll ich sagen, doch etwas komplizierter.“

Ich sah ihn mit hochgezogener Braue zur Unterstützung meiner Frage an: „Komplizierter?“

Er verstand wiederum sofort: „Ich mache es einfach für Sie. Es ist mir wichtig, hier zu helfen, dass der Tod von Eugen Schäfer aufgeklärt wird.“ Er machte eine bedächtige kleine Pause und fuhr dann fort: „Unsere Rettungssanitäter, Rettungsassistenten und insbesondere Notärzte sind stark belastet. Es ist vor rund einem Jahr zu Diskrepanzen mit Betäubungsmitteln gekommen. Die Vermutung lag nahe, dass Betäubungsmittel entwendet wurden. Im Bericht steht, dass sich nicht genau feststellen lässt, warum es Abweichungen in den Mengen der Betäubungsmittel gab. Es könne daran liegen, dass bei der Dosierung am Unfallort etwas schiefgegangen ist, zum Beispiel eine defekte Spritze etc. und sich daraus mit höherer Wahrscheinlichkeit die Unregelmäßigkeiten erklären lassen.“ Seine blauen Augen waren etwas zusammengekniffen, als er fortfuhr: „Der Notarzt arbeitet auch jetzt nicht mehr für uns.“ Er öffnete die Augen weit und seine Brauen kräuselten sich dabei. „Es ist mir wichtig, dass der Tod von Eugen Schäfer aufgeklärt wird, auch wenn das bedeutet, dass die Untersuchung von damals nicht ganz zutreffend bzw. nicht sorgfältig genug war. Das wäre für mich zwar nicht schön, aber verkraftbar.“ Als er fertig war, blickte er mich mit halboffenem Mund an.

Er war mir sehr sympathisch und ich nickte ihm ganz leicht zu. Viele Menschen waren nicht bereit, das Richtige zu tun. Sie wollten lieber den einfachen Weg gehen und waren nicht bereit, für ihren Beitrag zum Geschehen die Verantwortung zu tragen. Dieser Mann war damals überzeugt, richtig zu handeln, indem er einen für alle lautlosen Ausweg fand und war auch zu diesem Zeitpunkt überzeugt, das Richtige zu tun. Ich wollte ihm eine Freude machen und sagte deshalb: „Ich verstehe. Eugen Schäfer hatte also überhaupt nichts mit der Sache zu tun.“

„Genau, Eugen Schäfer und auch sein Arbeitskollege Vitali Rau hatten mit der Sache absolut nichts zu tun. Der Notarzt arbeitet nicht mehr für uns.“ Er hatte den Mund geschlossen, sah mich durchdringend an, beleidigt, weil ich ihn beim ersten Mal nicht richtig verstehen wollte.

„Haben Sie das auch so der Polizei gesagt?“

„Ja, genauso.“

„Und was meint die Polizei?“

„Der Mann hat gemeint, er nehme den Bericht natürlich ernst, sonst gebe es diesen ja nicht, aber dass es aus seiner Sicht nicht ausgeschlossen sei, dass es zwar damals keine Drogengeschichte gab, aber jetzt“, beantwortete er meine Frage. Da er mich offenbar für schwer von Begriff hielt, stupste er meine Nase noch einmal auf die Fährte, die klar vor seinen Augen lag: „Der Notarzt arbeitet jetzt nicht mehr für uns.“

Obwohl mir der Geruch der Fährte nicht zusagte, konnte ich nicht mehr anders und nahm seine Worte auf: „Dieser Notarzt, wie heißt der und was macht der jetzt?“

„Dr. Arthur Böcke. Er arbeitet jetzt in Bochum an der IVFS-Klinik für Reproduktionsmedizin“, klärte mich Alliard dankbar auf und ich sah, dass er sich freuen würde, wenn seine Information zur Aufklärung der Vorkommnisse und des Todes von Eugen Schäfer beitragen würde. Er hätte es nicht verwunden, wenn diese Richtung nicht überprüft werden würde und er sich Vorwürfe machen würde, falls er das nicht eindringlich genug gefordert und initiiert hätte.

„Ich denke, ich spreche demnächst mal mit Dr. Böcke.“ Ich würde der Fährte folgen müssen, nicht nur, weil Alliard mir sympathisch war und ich ihn gerne beruhigt sehen wollte, sondern auch weil vieles passte und es dazu noch die einzige konkrete Fährte war, die ich bisher hatte. Aber tatsächlich würde der Beweis, es wären damals entgegen dem Bericht tatsächlich Betäubungsmittel entwendet worden, eher Zweifel an Schäfers Integrität befeuern, jedoch keinesfalls beweisen, dass Schäfer nicht gestern wegen einer Verwicklung in eine Drogengeschichte umgebracht worden war. Ich konnte deshalb die Reaktion des Kommissars, der mit Alliard gesprochen hatte verstehen.

Aber es roch zu stark. Ich tastete daher weiter, in der Hoffnung, vielleicht noch einen etwas anderen Geruch aufnehmen zu können: „Hatte Eugen Schäfer irgendwelche Konflikte mit Arbeitskollegen?“

Er überlegte etwas und ihm war anzusehen, er versuchte wirklich zu helfen. Er schüttelte dann den Kopf: „Nein, Herr Schäfer war sehr beliebt bei seinen Arbeitskollegen. Er war so hilfsbereit und zuvorkommend. Ich denke nicht, dass es da irgendetwas gab.“

Irgendwelche Anhaltspunkte für unzufriedene Patienten konnte ich mir nicht denken und mir eigentlich auch nicht vorstellen, ein mit Blaulicht Abtransportierter fände die Umgangsformen eines Rettungssanitäters unangemessen. Trotzdem musste ich auch hier sicher gehen: „Irgendwelche Probleme mit Patienten? Oder mit Angehörigen, die Eugen Schäfer für eine unsachgemäße Behandlung bei einem Einsatz verantwortlich machten?“

„Nein, es gab keine Beschwerden. Es war alles in Ordnung.“ Er seufzte und es war ehrlich gemeint: „Ich kann leider nicht wirklich weiterhelfen. Das will ich wirklich gerne, aber es gibt außer dieser BTM-Sache mit dem ehemaligen Notarzt nichts, was Ihnen oder der Familie weiterhelfen kann.“ Er sah mich hilflos an.

Ich war ohne Zweifel, nicht mehr erreichen zu können, auch wenn ich noch weitere Fragen stellte. Ich stand daher auf und verabschiedete mich mit den Worten: „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an. Ich danke Ihnen sehr.“

„Ja, wenn mir noch etwas einfällt, melde ich mich sofort“, sagte er eifrig, „Danke und auf Wiedersehen.“ In seinen Augen standen Aufrichtigkeit und Dankbarkeit.

Der Kelch der Wiederkehr

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