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Mein Anzug brauchte dringend eine Reinigung, der Saucenunfall in der Dönerbude hatte ihm den Rest gegeben. Ich hängte ihn an die Garderode, stieg in eine Hose, zog ein Hemd an und darüber einen Pullover. Nachdem ich eine Flasche Bier geöffnet, einen Korn eingeschüttet und das Licht in der Küche ausgeschaltet hatte, sah ich aus dem Fenster meiner Küche. Unten trieben die Autos vorbei und ich nahm mir wieder mal vor, die Birne in der Küchenlampe gegen eine mit weniger Leistung auszutauschen.

Dann klingelte das Telefon dreimal, ich hob ab und hörte ihre reserviert klingende Stimme: „Du wirst Dich nie ändern, stimmt´s?“

Ich sah auf die Uhr und stellte fest, es war schon fast zehn Uhr. Ich hatte es vermasselt. „Lina, es tut mir leid.“

Sie wusste, das war falsch und ihre Stimme konnte den resignierten Beiklang nicht unterdrücken, als sie sagte: „Ich denke manchmal, ich sollte wegfahren, in die Sonne.“

„Das hört sich gut an.“ Ich gönnte ihr das wirklich.

Es war einen Moment still und ich dachte schon, sie würde einfach auflegen.

„Dein Verein ist sehr interessant. Die Katharer waren eine Sekte im Mittelalter“, sagte Lina dann doch, aber es war immer noch das Gefühl des wieder-einmal-hereingefallen-seins in ihrer Stimme. Es rollte auf den R-Lauten und wenn ich sie hätte sehen können, hätte ich ihre gefaltete Oberlippe gesehen.

Es machte keinen Unterschied, wenn ich auf ihre Verletzung weiter eingegangen wäre, deshalb fragte ich: „Es waren aber Christen, wie ich verstanden hatte?“

Sie seufzte und ich hörte, wie sie schluckte. „Ja, aber sie wurden von der Kirche verfolgt. Für die Katharer hat nicht ein allmächtiger Gott das Diesseits geschaffen. Nach Auffassung der Katharer hat ein böser Schöpfer diese Welt geschaffen, während Gott der Herrscher des Jenseits ist. Der Glaube beruhte auf einer Grundüberzeugung, wonach nur die jenseitige geistige Welt gottgeschaffen war, während die irdisch-materielle Welt als Produkt eines bösen Prinzips gesehen wurde. Der böse Schöpfer des Diesseits ist entweder eine ewige böse Macht, der immerwährende Teufel, oder ein vom Himmel abgefallenes Wesen. Jedenfalls hat dieses Böse viele Engelseelen verführt, um sie dann in der Materie einzusperren und damit die Menschen erschaffen.“

Mir war ganz grob die Legende bekannt, der Teufel sei ein gefallener Engel und hätte im Folgenden Engel sozusagen abgeworben. Mir war aber neu, dass darauf eine eigene Religionsrichtung gegründet worden war. Ich hätte mich gefreut, wenn sie zum Punkt gekommen wäre, aber ich verstand, dass ich zuhören musste.

Lina fuhr fort: „Erlösung konnte die Seele, die im Kerker des menschlichen Körpers gefangen war, nur durch eine katharische Zeremonie erlangen, durch welche die Seele in den Himmel gelangen konnte. Jedoch konnte es auch passieren, dass die Seele keine Erlösung fand und in den Himmel aufstieg, sondern im Körper eines anderen Menschen wiederkehrte. Da sehen viele eine starke Parallele zum Buddhismus.

Die Zeremonie hieß ‚Consolamentum‘ und wurde von den geistlichen Führern der katharischen Kirche, den ‚Parfaits‘, das sind die Vollkommenen oder den ‚Bonhommes‘, den guten Menschen durchgeführt. Dabei legte der Geistliche die Hände und das Johannes-Evangelium auf, das kleine Buch, wie es auch genannt wurde.

Den Glauben an ein jüngstes Gericht teilten die Katharer nicht. Vielmehr würde die Welt enden mit der Befreiung der letzten Engelseele und damit wären die materielle und geistige Welt wieder auf alle Ewigkeit voneinander getrennt und alles Böse wäre vergangen.“

Irgendwie fand ich das ziemlich skurril und konnte mir nicht vorstellen, was das zur Aufklärung des Todes von Eugen Schäfer beitragen konnte. Trotzdem hatte ich das Gefühl, einer wichtigen Sache auf der Spur zu sein, die für die weiteren Ermittlungen entscheidend war und hörte Lina sagen: „Die Sakramente der Kirche als einzig möglichen Weg in den Himmel, wie von der katholischen Kirche gepredigt und vertreten, lehnten die Katharer ab. In ihren Augen hat Christus nicht wirklich auf Erden gelebt und ist nicht am Kreuz gestorben und wieder auferstanden. Wegen der strikten Trennung zwischen Gut und Böse, zwischen Diesseits und Jenseits konnte Gott in ihren Augen nicht aus seinem jenseitigen Reich ins diesseitige, vom Bösen geschaffene und beherrschte Reich kommen. Im Katharismus gibt es daher auch keine Hölle im Jenseits, vielmehr ist die Hölle bei den Katharern das Diesseits, in das man wiedergeboren werden kann.“

Lina machte eine kurze Pause und ich hörte, wie sie einen Schluck trank. Um sie nicht alleine trinken zu lassen, nahm auch ich einen Schluck aus meiner Bierflasche.

Lina sagte dann: „Das war natürlich in den Augen der katholischen Kirche Ketzerei. Und es war die totale Opposition gegen die kirchliche Hierarchie. In den Augen der Katharer war die Kirche eine betrügerische Organisation, die sich wegen des Strebens nach Einfluss, Macht und Reichtum prostituiert hatte. Die Katharer interpretierten die Offenbarung des Johannes in einem sehr praktischen und konkreten Sinne. Trotz dessen, dass die Katharer das Neue Testament, mit Schwerpunkt auf den Schriften des Johannes als ihre Grundlage ansahen, gab es sehr vieles, was der Kirche widersprach und die Macht der Kirche bedrohte.“

„Deshalb hat die Kirche die Katharer ausgerottet. Bekannt ist diese Geschichte um ihre letzte Zuflucht in Montsegur im Süden Frankreichs.“

„Ja, Jupp, der Katharismus trat hauptsächlich in Südfrankreich auf. Es gab aber auch Gemeinden in der Lombardei in Norditalien und in Katalonien in Nordspanien. Im sogenannten Albigenserkreuzzug wurde Montsegur in Südfrankreich belagert und um 1244 zerstört. Es hat aber noch viel länger gedauert, bis die Katharer ausgerottet waren. Es gab auch danach noch Festungen und Städte der Katharer, die zerstört wurden. Noch fast 100 Jahre nach der Eroberung von Montsegur bis etwa 1330 verfolgte die Inquisition die Reste der Katharer. Der bekannteste ‚Nach-Montsegur-Katharer‘ wurde 1310 hingerichtet. Die letzten ‚Katharerprozesse‘ endeten erst 1329.“

„Es gab doch diesen Kriminalroman, der dann mit Sean Connery verfilmt worden ist, wo der eigentliche Fall in diese Auseinandersetzungen mit den sogenannten Ketzern eingebettet ist: ‚Der Name der Rose‘“, sagte ich.

„Ja, da kann man auch einiges über die Richtungen der offiziellen Kirche und der sogenannten Ketzerbewegungen erfahren. Ich habe aber alles schön sorgfältig aus den Akten genommen. Als Hintergrundpapier ist da eine gute Aufbereitung enthalten.“ Ihre Stimme war immer trockener geworden und ich hörte, wie sie noch einen tiefen Schluck nahm.

Ich wollte nicht fragen, ob sie Wasser trank oder doch etwas Geistiges, da ich nicht riskieren wollte, die schöne Arbeitsatmosphäre durch Sentimentalitäten zu ruinieren. „Was gibt es dann noch über die Geschichte zu erforschen?“, fragte ich daher skrupellos, da mir das Ganze irgendwie nicht zu einem Paket und einem Ermordeten passen wollte, dessen Ermordung als versehentliche Überdosis Drogen getarnt werden sollte.

„Das ist ja das Interessante. Es gibt über Deinen Verein einen Bericht eines V-Mannes vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz“, kam Lina zum Punkt.

Andere hätten die Luft durch die Zähne eingezogen, aber obwohl Lina wusste, ich würde das nicht machen, erwartete sie eine Reaktion. Ich wollte sie nicht noch mehr enttäuschen und fragte deshalb: „Verfassungsschutz?“

„Ja, in den Kreisen Deines Vereines wird von einer Untergrundreligion, die arischen Ursprungs sei, gesprochen. Die Ideen des Gegensatzes zwischen Bösem hier und gutem Jenseits der katharischen Religion sei bereits durch die Kelten und Iberer in Südfrankreich vertreten worden. Das Ganze sei ursprünglich von den Persern übernommen worden. Getragen wurde das dann nach deren Auffassung von den Westgoten, die in Südfrankreich nach der Völkerwanderung siedelten.“

Ich konnte mir das nicht zusammenpuzzeln, es ergab keinen Sinn. „Stuft der V-Mann-Bericht diese Spinner als gewaltbereit ein?“

„Vielleicht sind es Spinner, aber Jupp, ich mache mir Sorgen um Dich. Diese Leute behaupten, die Katharer seien Germanen gewesen, Nachfahren der Westgoten und der Albigenserkreuzzug sei kein Glaubenskrieg gewesen, sondern ein Vernichtungskampf der Juden, die die katholische Kirche korrumpiert hatten, gegen die nordische Rasse. Sie behaupten auch, dass sich daraus die Mission der SS ableiten lasse. Jupp, Du musst sehr vorsichtig sein, das sind Nazis von der ganz üblen Sorte.“

So tat es gut, ihre Stimme zu hören. Sie war gar nicht mehr distanziert und das Flehen darin war echt. Ich wusste, sie war mir nicht mehr böse. „Mach Dir keine Sorgen, Lina. Ich passe gut auf mich auf. Ich will doch noch mit Dir essen, ich habe es doch versprochen“, versuchte ich sie zu beruhigen.

„Ach, Jupp“, erwiderte sie und es war so viel Wärme in ihrer Stimme.

„Also keine Informationen über Gewalttaten?“, versuchte ich es erneut.

„Nein, es hat ein paar Ermittlungen gegeben wegen kleinerer Rangeleien von Mitgliedern, aber alle sind wegen Geringfügigkeit eingestellt worden.“

Da ich sie wieder bei Laune hatte, fragte ich: „Gibt es noch mehr Informationen?“

„Der Verein hat auch eine Expedition nach Tibet organisiert und finanziert. Der V-Mann sagt, mit dieser Expedition habe man nachgewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen Buddhismus, den Katharern und der SS nicht bestehe. Diese Richtung gab es wohl, aber es konnte nachgewiesen werden, dass die Vertreter dieser Denkrichtung Scharlatane gewesen seien.“

„Irgendetwas über die Finanzen des Vereins? Expedition hört sich teuer an“, versuchte ich, ein Ende mit einem anderen versuchsweise zu verknüpfen.

„Der Verein hat ein hohes Vermögen. Es gibt Kontenauszüge mit mehreren Millionen Euro Guthaben. Aber es ist nichts darüber bekannt, woher das kommt.“

Wer sich mit solchen Themen beschäftigt, beauftragt vielleicht auch einen Privatdetektiv, ihm sein Drogenpaket wiederzubeschaffen. Vielleicht war ich ja der Spinner, der immer irgendwelchen komplexen Ideen nachjagte, obwohl es doch so einfach sein konnte. „Könnte das mit Drogen zusammenhängen?“

„Darüber lässt sich in der Akte nichts finden. Das könnte aber eine Begründung sein. Ich werde morgen noch einmal gezielt nach Drogen in dem Zusammenhang mit Deinem Verein suchen“, versprach Lina.

„Von wann ist der V-Mann-Bericht und die anderen Informationen?“

„Das ist schon etwa drei Jahre alt. Seitdem nichts mehr, offenbar ist der Verein dann vom Radar der Sicherheitsorgane verschwunden.“

„Irgendetwas über einen Becher, Kelch oder Schale?“

„Ein Becher, nein, das wurde nicht erwähnt. Ich habe Dir alles gesagt, was ich finden konnte.“

Ich hörte sie erschöpft atmen und fragte: „Alles okay, Lina?“

Es war etwas still am anderen Ende der Leitung, dann kam ganz tief vibrierend die Stimme aus der Fülle ihres Körpers: „Was denkst Du, Jupp, wann hast Du es hinter Dir?“

„Bald, Lina, bald“, antwortete ich, aber es gelang mir nicht ganz, die Festigkeit in meine Stimme zu legen, die ich wollte. „Schlaf gut, Lina, ich melde mich.“

„Schlaf gut, Jupp und sei bitte vorsichtig.“

Der Kelch der Wiederkehr

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