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Der Luftikus in Schwulitäten

Vom Studentenlatein

Über das Wort Suite in Goethe Studentenwörtersammlung merkt Henne an: »Lehrreich ist dieses erste Beispiel auch insofern, als es den fremdsprachigen, in diesem Fall französischen Hintergrund der Burschensprache aufzeigt und zugleich demonstriert, wie die so gewonnenen Bedeutungen produktiv werden und Wortfamilien schaffen.«46 Die Studenten waren eine Bildungsavantgarde, die sich nicht zuletzt durch die Beherrschung fremder Sprachen auszeichnete. Dazu gehörte schon seit dem Mittelalter das Latein, die Lingua franca der akademischen Welt Europas.

Das Studentenlatein war allerdings sehr weit vom klassischen Latein entfernt. Friedrich Kluge urteilt über den kreativen Umgang mit der toten Sprache:

»Wenn die Vulgata [die lateinische Bibelübersetzung] und das Korpus Juris, Cicero und Galen auf den Hochschulen Lehrer und Lernende aller Fakultäten zum Latein zwang[en], wenn schon in den Lateinschulen mit Rücksicht auf die hohen Schulen das Lateinsprechen in allgemeiner Übung stand, so dürfen wir erwarten, daß das Latein überall in das Studentenleben älterer Zeit hineinragt. Aber voll Übermut und Keckheit handhabt der Student auf den Kneipen die altehrwürdige Sprache und er zeigt in toller Sprachmischung, in kühnen Verschnörkelungen einheimischen Sprachguts mit lateinischen Floskeln, in rücksichtsloser Abstreifung jeden Regelzwanges, in derb komischer Verschmelzung von Deutsch und Latein, daß er einen lästigen Zwang mit Humor auch beim Bier erträgt.« 47

Aus der Welt des rituellen Brüderschaftstrinkens stammte der Zuruf Ex! (»Aus!«), den wir heute noch in der Wendung etwas auf ex austrinken im Sinne von »vollständig leeren ohne abzusetzen« kennen. Schon Johann Fischart, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte, dichtete in einem Lied: »Trinkts gar aus! totum ex!«48 Weiterhin entstammen dem Studentenlatein solche alltäglichen Begriffe wie Moneten und spendabel. Heute völlig vergessen ist, dass das Wort Student selbst ein lateinisches ist.

Die Mischung von Elementen neuerer Sprache mit lateinischen Wortbildungselementen nennt man seit der Renaissance makkaronisches Latein. Dieses humoristisch-ironische Stilelement zur Kennzeichnung von Scholaren, Juristen und Medizinern entwickelte sich bereits im Mittelalter und ist beispielsweise in den »Carmina Burana« zu lesen und zu hören. Als in der Renaissance das klassische Latein wieder Stilideal wurde, legten humanistische Schriftsteller ihren Witzfiguren oft makkaronische Wörter und Sätze in den Mund, um sich über deren schlechtes Latein lustig zu machen. Der erwähnte Fischart war ein Meister solcher Nuttelverse (»Nudelverse«), wie er sie selbst nannte.

Diese Sprachmischung funktionierte bei den Studenten, indem man deutschen Wörtern lateinische oder pseudolateinische Endungen anhängte: Aus fressen und läppisch entstanden so Fressalie und Lappalie, aus Luft und pfiffig der Luftikus und der Pfiffikus. Sehr produktiv wurde die Endsilbe -ität eingesetzt: Allein Fischart erfand schon Weinschlauchität, Bierpausität, Altwibität, Stromachität und Bienenkorbität; weiterhin gab es Grobität, Filzität und Knüllität. Diese witzigen Bildungen orientierten sich an gelehrten deutsch-lateinischen Begriffen wie Humanität, Antiquität, Quantität und Spontaneität. Letzteres etwa erscheint zuerst als philosophischer Terminus Ende des 18. Jahrhunderts bei Johann Nicolaus Tetens und Immanu-Kant. In ihrer Form waren die Ausdrücke zugleich vom Französischen beeinflusst. So findet sich die spontanéité schon 1695 bei Gottfried Wilhelm Leibniz. Überlebt hat von all den humoristischen Schöpfungen der Burschen nur die Schwulität, die Kindleben damit erklärt, dass einem in Verlegenheit schwül, also heiß wird.

Reichhaltig war einst das Repertoire an Burschen-Wörtern, die allein durchs Anhängen von -us geschaffen wurden. Dies sollte den Begriffen einen als typisch lateinisch empfundenen Klang verleihen. Schon Fischart macht sich über diese Manier, in der die Humanisten auch ihre Familiennamen latinisierten, lustig: »Es sind nicht alle Lateiner, die Gabelus-Zinkus können.«49 Geld hatte der Student am liebsten in baribus. Er prügelte sich cum Stadtknechtibus. Und wer in Texten des 18. Jahrhunderts Ausdrücke wie Freundus, Kerlus, Üppikus (für einen Dicken) oder Linkus (für einen Linkshänder) liest, bekommt zuweilen das Gefühl, diese wären gute Freunde von Feistus Raclettus (der römische Statthalter im Band »Asterix bei den Schweizern«) oder Schwanzus Longus (im englischen Original: Biggus Dickus) im Monty-Python Film »Das Leben des Brian«. Geblieben ist uns von all diesen Humorblüten klassischer Studentenbildung neben den schon genannten Pfiffikus und Luftikus nur der im frühen 19. Jahrhundert aufgekommene Schwachmatikus, der heute allerdings meist seines lateinischen Prunks beraubt als Schwachmat durch die Umgangssprache geistert.

Neben dem Latein feuerte als weitere antike Sprache das Griechische die Fantasie und Kreativität der Studenten an. Protestantische Theologen mussten es bereits seit der Reformation beherrschen, nachdem Luther, Melanchthon & Co. den griechischen Originaltext des Neuen Testaments für verbindlich erklärt hatten und die im ganzen Mittelalter kanonische lateinische Vulgata-Fassung nicht mehr viel galt. Studenten weltliel cher Fächer lernten die Sprache, spätestens seitdem der Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann im 18. Jahrhundert die »edle Einfalt und stille Größe« griechischer Skulpturen zum Vorbild für den aufkommenden Klassizismus erhoben hatte. Es begann eine 150 Jahre anhaltende Griechen-Schwärmerei, die Goethe und Schiller genauso erfasste wie noch Nietzsche und George. Die englische Germanistin Eliza Marian Butler nennt diese lange geistesgeschichtliche Epoche 1935 in einem Buchtitel übersetzt »Die Tyrannei Griechenlands über Deutschland«.

Dafür, dass es eine Tyrannei gewesen sein soll, sind die griechischen Spuren im Burschenjargon nicht allzu zahlreich – aber es gibt sie. Das Interessante daran ist, dass man für diese Einsprengsel selbst mitten in mit lateinischen Buchstaben geschriebenen deutschen Sätzen oder gar einzelnen Wörtern lange das griechische Alphabet nutzte. Früh wurde die Endsilbe -ikos, die in vielen theologischen und wissenschaftlichen Ausdrücken zu finden ist, auf triviale Trinkrituale übertragen. Im ältesten überlieferten Studentenkomment, dem »Jus Potandi« von 1616, stellen die Verfasser zwei Arten des Austrinkens einander gegenüber: florικώς und haustικώς. Wir zitieren hier den fremdartigen Text so ausführlich, um einmal die Absurdität solcher Anweisungen zu dokumentieren, bei denen übertriebene Genauigkeit in Parodie umschlägt:

»Florικώς, wenn man die gantze Labaschke oder Waffe [beides obskure Dialektausdrücke für ›Maul‹ – Anm. d. Verf.] oben umb des Glaßes Orificium oder Mundloch herumb zerret, und auff einen Satz den gantzen Trunck in die Gurgel geust, durch welches ungebärdiges Beginnen das Glaß mit weissen Geschtblasen, die man flores nennet, gefüllet wird. Haustικώς, wenn der gantze Pocal oder Glaß auff einen Zugk oder Athem evacuiret und gelähret wird50

Zur gleichen Zeit kam studentikos auf. Im Jahr 1658 liest man etwa in Schochs »Comoedia vom Studentenleben« den Satz: »Ich sehe wol, mein Herr hat sich prave gehalten, er hat es recht Studentικώς gemacht.«51 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde dann genau zwischen studentικώς und burschικώς unterschieden. In einem handschriftlichen Studentenalbum aus Jena von 1732, das Friedrich Kluge ausgewertet hat, findet man den Eintrag:

»Immer sitzen, meditierenund die ganze Nacht studierendieses heißt studentικώς;aber raufen, balgen, saufenund beständig Dorf zu laufen; –dieses heißet purschικώς.«52

Ausgerechnet burschikos, das als einzige dieser pseudogriechischen Studentenbildungen heute noch ganz bekannt ist, brauchte 125 Jahre, bis es erstmals in ein deutsches Wörterbuch gelangte. Im Jahr 1725 steht es dort immer noch mit griechischen Lettern am Ende und versehen mit einem Kreuz, dass es als unanständiges Wort kennzeichnet. Die angegebene Bedeutung ist »wie ein liederlicher Student«. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde es dann freundlicher im Sinne von »nach Studentenart« gebraucht und endlich ganz mit lateinischen Buchstaben geschrieben. Den engeren Bereich der Jugendsprache verließ es spätestens, als Schiller das Wort literaturfähig machte und in »Wallensteins Lager« einen Soldaten über den Feldherrn sagen lässt:

»Denn zu Altdorf, im Studentenkragen,

Trieb er’s, mit Permiß zu sagen,

Ein wenig locker und purschikos«.53

Zum Schluss dieses Kapitels im Banne der Antike kehren wir noch einmal zum Latein zurück: Ganz rätselhaften Ursprungs ist der Ausdruck Fidibus für ein zusammengerolltes Stück Papier zum Feueranzünden. Es gibt viele einander widersprechende, fantasievolle Theorien, doch die überzeugendste legt Wolfgang Pfeifer in seinem »Etymologischen Wörterbuch« dar. Demnach ließe sich der Ausdruck von einem Vers des Dichters Horaz ableiten: »et ture et fidibus iuvat placare […] deos« – »mit Weihrauch und Saitenspiel lasst uns die Götter besänftigen«. Die Studenten hätten nun scherzhaft ture (Ablativ Singular von tus, »Weihrauch«) zu »Tabakqualm« umgedeutet und fidibus (Ablativ Plural von fides, »Saite«) zu »Pfeifenanzünder«.

Wer sich so etwas ausdachte, musste sehr fidel sein. Das aus fideliter gekürzte Wort kam im späten 17. Jahrhundert auf und meinte zunächst das Gleiche wie im Latein: »treu, aufrichtig«. Mitte des 18. Jahrhunderts veränderte sich dann die Bedeutung zu »heiter, fröhlich«, oft mit dem abwertenden Beiklang »liederlich«. Auch hier hatte sich wieder das Französische eingemischt.

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