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Knopfmachen oder in den Puff gehen?

Der ewige Student – Friedrich Christian Laukhard

Wir haben Studentenwörter bei Goethe, Schiller und Heine gefunden, aber kein Schriftsteller der Zeit um 1800 verwendete so viele burschikose Ausdrücke wie Friedrich Christian Laukhard. In seiner zweiteiligen Satire »Annalen der Universität zu Schilda« kündigte er 1798/99 sogar ein Lexikon der Burschensprache mit 6000 Wörtern an – geschrieben wurde es jedoch nie.

Die intime Kenntnis und lebenslange Begeisterung für den universitären Jargon verwundert nicht, war Laukhard doch so etwas wie ein ewiger Student. Einerseits im wahrsten Sinne des Wortes, weil er neun Jahre lang mit Unterbrechungen an drei verschiedenen Hochschulen studierte. Andererseits, weil er noch als Soldat und zuletzt als Pfarrer und Schriftsteller etwas von der frech-freimütigen, aber auch liederlich-verbummelten Art beibehielt, die er sich als Student angewöhnt hatte.

Begonnen hatte der Sohn eines lutherischen Geistlichen sein Studium in Gießen, und seine Schilderungen des dortigen Universitätsbetriebs, die er in seinen anschaulichen Erinnerungen »Leben und Schicksale« ausgebreitet hat, decken sich mit den schlimmen Beschreibungen, die wir bereits an anderer Stelle über das Renommistenwesen der Zeit gelesen haben. Laukhard, der schon als Kind eine Neigung zum Alkohol hatte, machte begeistert jeden großen Unfug mit, den die Landsmannschaften und Studentenorden veranstalteten. Und das, obwohl die Stadt in finanzieller Hinsicht offenbar kein einfaches Pflaster war: »Zu Gießen borgen die Hauswirthe nicht, oder sie geben, studentisch gesprochen, keinen Pump.«54

Von den Professoren hatte einzig und allein eine der berüchtigtsten Gestalten des späten 18. Jahrhunderts Einfluss auf ihn: Karl Friedrich Bahrdt. Dieser – ein Theologe, Freimaurer, Illuminat und vulgäraufklärerischer Schriftsteller – erregte nicht nur durch seine religionskritischen, fast schon atheistischen Ansichten Aufsehen, sondern auch durch seinen Lebenswandel. So hatte er ein uneheliches Kind mit einer Prostituierten und verstieß später seine Ehefrau, um mit einer Dienstmagd zusammenzuleben.

Nachdem Laukhard an der Reformuniversität Göttingen, über die er kein böses Wort verlor, und schließlich in Halle sein Studium abgeschlossen hatte, meldete er sich aus materieller Not freiwillig zur preußischen Armee. Dies war umso sensationeller, weil Studenten eigentlich vom Militärdienst befreit waren. Als Soldat in den Kriegen gegen das revolutionäre Frankreich nahm Laukhard 1792 an der berühmt-berüchtigten Kanonade von Valmy teil. Seine Schilderung des elenden Rückzugs ist ein Gegenstück zu Goethes Beschreibung derselben Ereignisse – nämlich von ganz unten. Bei seinen Kameraden wie beim Kommandanten des preußischen Expeditionskorps, dem Herzog von Braunschweig, war Laukhard wegen seiner in diesem Milieu ungewohnten Bildung und Fremdsprachenkenntnisse offenbar geachtet. Trotzdem lief er schließlich zu den französischen Revolutionstruppen über. Später nahm er in Veitsrodt bei Idar-Oberstein, das zeitweise unter französischer Herrschaft stand, für ein paar Jahre eine Pfarrstelle an. Seinen Lebensabend verbrachte Laukhard in Bad Kreuznach, wo er 1822 verstarb.

Für seine Autobiografie, die er zwischen 1792 und 1802 in fünf Teilen »zur Warnung für Eltern und studierende Jünglinge« veröffentlichte, konnte er also aus einem reichhaltigen Erlebnisschatz und aus Kenntnis der unterschiedlichsten Lebenssphären schöpfen. Laukhard wusste genau, wovon er sprach, wenn er sich harte Urteile über den verderblichen Einfluss der Burschen auf die Bewohner der kleinen Universitätsstädte erlaubt:

»Man gehe z. B. nach Berlin oder nach Frankfurt am Main, oder auch nur nach Mainz oder nach Strasburg, als wo die Universität von gar keiner Bedeutung ist, und daher keinen Einfluss auf den allgemeinen Ton hat – und sehe, ob da die Bürger in den Wein-, Bier- oder Schnappshäusern ihre Zeit verschleudern. Da findet man arbeitsame, haushälterische Leute: hingegen in Jena, Halle oder Gießen und an anderen Orten, wo Burschenkomment herrschender Ton geworden ist, sieht es anders aus. In Halle zum Exempel sind alle Kneipen täglich voll: man gehe zu welcher Stunde man will, auf den Ratskeller, in die Bierhäuser und Brannteweinschenken, und man wird da nicht eine finden, wo nicht mehrere Schneider, Schuster, Perückenmacher u[nd] a[nderes] m[ehr] anzutreffen wären.«55

Laukhards Zielgruppe war nach eigenen Angaben »die akademische Jugend vorzüglich«. Deshalb konnte er nicht nur voraussetzen, dass die anvisierte Leserschaft burschikose Ausdrücke kannte und verstand, sondern er würzte seine Prosa ganz bewusst mit Insidertermini, um den Studenten zu zeigen, dass da einer der ihren zu ihnen sprach. Den Nichtstudenten wird dennoch vieles in Fußnoten erklärt. Über die erotischen Verhältnisse in Gießen schreibt er etwa: »Nur wenig Studenten in Gießen machen Knöpfe: das wird überhaupt daselbst für petimätrisch und unburschikos gehalten.«56 Dazu gibt es dann eine Fußnote: »Knopfmachen heißt dem Frauenzimmer aufwarten; daher Knopfmacher. Diese Phrasis ist auch in Wezlar bekannt, und schon in einem Stück des deutschen Museums erklärt worden.«

Die an den Frauenzimmern so desinteressierten Gießener Studenten hatten offenbar auch keine Puffs nötig. Das Wort für ein Bordell benutzt Laukhard nur in seiner Beschreibung von Halle, über das er sagt:

»Es giebt zwar keine Bordelle öffentlich in Halle: aber es giebt doch Löcher, worin der Auswurf des weiblichen Geschlechts dem thierischen Wollüstling mit ihrer halbfaulen Fleischmasse für ein geringes Geld zu Gebote steht. […] Ich berichte also denen, welche sonst in Halle gewesen sind, und den Buffkeller, die tiefe Demuth, das rothe Läppchen, den Korb und mehr dergleichen scheusliche Löcher gekannt haben, daß diese nicht mehr sind, und daß nur noch einige meist ganz unbekannte Spelunken dieser Art übrig sind.« 57

Ein paar Seiten zuvor erzählt Laukhard, dass er seinen Bruder, der ihm nach Halle gefolgt sei, in einem Haus untergebracht habe, das man wegen seiner kupplerischen Vermieterin den »Hanauer Puff« nenne, denn früher hätten dort vorwiegend Burschen aus Hanau logiert.

Laukhard gibt zudem ein anschauliches und sehr konkretes Beispiel, wie Finken oder Klöße – also Studenten, die den ganzen Irrwitz des Komments nicht mitmachten – geplagt werden:

»Wer den Gießer Studenten Petimäterei schuld giebt, thut ihnen wahrlich Unrecht. Die meisten traten einhernach dem Liedchenwie die Schweine. Ein gewisser Nöllner aus dem Elsaß hatte keine Lust, das Burschikose mitzumachen; er kam also selten in die Gelage, und ließ sich auch ein gutes Kleid machen. Dies war Losung genug, ihn nicht schlecht zu verfolgen: in allen Kollegien wurde ihm Musik gemacht, und auf der Straße nachgeschrieen. Das wurde so lange getrieben, bis er endlich abzog, und nach Göttingen gieng.«58

Dass man in Göttingen als Petimäter tatsächlich besser aufgehoben war, lehrt uns der folgende Abschnitt.

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