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Der Krieg mit den Pudeln und Schnurrbärten

Studenten als Halbstarke des 18. Jahrhunderts

Man ließ den Studenten auch deshalb so viel durchgehen, weil sie für die Universitätsstädte ökonomisch enorm wichtig waren. Gegen Einschränkungen ihrer längst pervertierten Freiheiten wehrten sie sich mit dem schon aus dem Mittelalter bekannten Auszug. Dabei ging es jedoch längst nicht mehr um Neugründungen, sondern nur darum, in der Nähe der Stadt in einer Art Konsumstreik zu verharren, bis die Wirte, Zimmervermieter, Schneider, Schuhmacher, Pferdeverleiher und wer sonst alles noch von den Akademikern wirtschaftlich abhing, die Stadtobrigkeit zum Nachgeben drängten.

Solche Machterfahrungen gaben den Studenten ein giftiges Gefühl für ihre eigene Bedeutung. Der Aufklärungsphilosoph Johann Jakob Engel versprach sich vom Klima der Großstadt einen pädagogisch-abkühlenden Effekt auf die Masse der Lümmel aus der Provinz, wie er in seiner im März 1802 publizierten »Denkschrift zur Errichtung einer großen Lehranstalt in Berlin« ausführt:

»Wo der Student einen Grad von Wichtigkeit, von Ansehen hat: da sieht er gern auf seine Mitbürger als auf eine geringere Menschen-Klasse hinab, er macht eine eigene Korporation aus, folgt Tonangebern, die insgeheim zu dem rohesten, ausschweifendsten, kecksten Haufen gehören, errichtet Landsmannschaften, Ordensverbindungen, bekommt einen falschen Ehrgeiz, ein falsches Interesse in die Seele, wird sittenlos in seinem Innern und ungesittet in seinem Äußern. Alles das fällt weg, wo der Student sich unbemerkt unter den übrigen Menschen verliert, wo er noch eben so wenig bedeutet, als [er] wirklich ist; wo er sogleich dem öffentlichen Gelächter bloß stände, wenn er sich’s einfallen ließe, Figur zu machen, eine eigene Kraftsprache zu reden, eine eigene Kleidertracht anzulegen. Berlin zählt schon jetzt, wegen der einzigen hier blühenden Fakultät, der studierenden Jünglinge mehr als die Universitäten Greifswald, Rostock, Kiel, Rinteln zusammengenommen; aber wer sieht hier solche Karikaturgestalten, hört hier von solchen Wildheiten und Ausschweifungen, als an jeden kleineren Örtern tagtäglich vorkommen?«7

Selbst vor der zuständigen Gerichtsbarkeit der Universitätsbehörden mit ihren eigenen Sicherheitsleuten, den als Pudel verspotteten Pedellen, fürchteten sich die Studenten längst nicht mehr. Nicht nur friedliche Spaziergänger wurden aus Launen heraus überfallen. Wenn es darauf ankam, schlugen sich die Jungakademiker auch mit Angehörigen der Stadtmilizen oder gar des Militärs, von den Studenten verächtlich Schnurrbärte genannt. Diese wurden, wenn es in der Stadt eine Garnison gab wie beispielweise in Halle, oft herbeigerufen, um dem Studententreiben Einhalt zu gebieten. Den Burschen galt nur noch für Recht, was sie selbst untereinander im Komment, dem eigenen Regelwerk ihrer Studentenverbindungen, festgelegt hatten. Der Soziologe Helmut Schelsky urteilt in seinem Standardwerk über die Entstehung der modernen Universitäten: »Man muss sich die Studentenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts leider als eine Sammlung der ›Halbstarken‹ jener Zeit vorstellen.«8

Da es von diesen frühneuzeitlichen »Halbstarken« sehr viele gab, waren die Universitäten tendenziell überfüllt. Die erwähnten niedrigen Studentenzahlen waren bereits das Ergebnis zahlreicher Maßnahmen, die Ungeeignete vom Studium abhalten sollten. Die meisten Erstsemester kamen mit sehr geringer schulischer Vorbildung, oft nur mit einigen Lateinkenntnissen an die Hochschulen. Preußen erließ 1708, 1718 und 1733 Verordnungen, die Mindeststandards an Kenntnissen verlangten. Dabei ging es nicht zuletzt darum, ein gewisses Schnorrerwesen, das Universitäten gerade für Arme interessant gemacht hatte, einzudämmen. Stipendien und Freitische waren für manche wesentlich verlockender als die Aussicht auf akademische Bildung. Daneben konnte man sich als Student der Militärpflicht entziehen, was den Status des Akademikers für Angehörige der unteren Schichten zusätzlich attraktiv machte. Wer es allerdings allzu toll trieb, konnte trotzdem schneller unter die Soldaten kommen als gedacht. Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, ein General Friedrichs des Großen, war in der Universitätsstadt Halle stationiert. Dort ließ der »Alte Dessauer«, wie er genannt wurde, die schlimmsten Ruhestörer verhaften und steckte sie zwangsweise als Rekruten in sein Regiment. Uns kommt das heute wie eine unsagbar drakonische Maßnahme aus schlimmsten Feudalzeiten vor, aber Schelsky schreibt dazu, wir müssten »in Würdigung der historischen Wahrheit wohl doch zugeben, dass diese da besser hingehörten als auf die Universität.«9

In dem Edikt von 1708 wird verlangt, nicht »jeglicher von niedrigem Stande« solle seine Kinder auf die Universitäten schicken, wenn sie dazu nicht geschickt seien und auf gemeine Kosten versorgt werden müssten. Besser sei es, wenn »solche unfähigen Köpfe bei Manufakturen, Handwerken, der Miliz oder dem Ackerbau« ihren Broterwerb suchten.10 Doch erst die Einführung der Abiturientenprüfung 1788 wies den Weg zu Verhältnissen, wie wir sie heute für selbstverständlich halten. In der Instruktion heißt es: »Alle von öffentlichen Schulen abgehenden Jünglinge sollen vorher auf der von ihnen besuchten Schule geprüft werden und ein detailliertes Zeugnis über ihre dabei befundene Reife oder Unreife erhalten.«11 Heute macht man sich ja gern über das Wort »Reifeprüfung« lustig, aber damals war eine Begutachtung der geistigen und seelischen Reife künftiger Studenten bitter nötig.

Erst durch tiefgreifende Reformen, die in der zweiten Hälfte des Säkulums von Halle und Göttingen ausgingen und dann zum Vorbild für die Hochschulpolitik Wilhelm von Humboldts in Preußen wurden, konnten die deutschen Universitäten gerettet werden. Doch selbst dafür schien Zwang unabdingbar. So erließ der preußische Minister von Massow 1798 eine berüchtigte, aber wohl notwendige »Verordnung wegen Verhütung und Bestrafung der die öffentliche Ruhe störenden Exzesse der Studierenden auf sämtlichen Akademien in den königlichen Staaten«. Darin wurde die Aufsicht über die Studenten der staatlichen Polizei übertragen und ihnen Gefängnis und Prügelstrafen angedroht. Der Protest der Professoren, die sonst auf ihre akademischen Freiheiten bedacht waren, hielt sich in Grenzen. Das Maß war voll.

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