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6. Gewaltdelikte, Sexualstraftaten

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Die Ursachen für die Gewaltbereitschaft junger Menschen sind vielfach. Zunächst ist festzustellen, dass Gewalttäter oft selbst zuvor oder parallel zu den von ihnen verübten Gewalttaten Opfer von Gewalt in der Familie sind bzw. gewesen sind.[77] Damit in Einklang steht, dass sie meist aus von Armut, Arbeitslosigkeit, engen Wohnverhältnissen, instabilen Familienverhältnissen geprägten Lebensumständen kommen.[78] Skrupel und Hemmungen werden umso leichter überwunden, als in den Medien vorbildhaft Handlungsmodelle vorgestellt werden, in denen Kampf und Gewalt Erfolg haben. Der Zusammenschluss von Jugendlichen aus ähnlicher Problemlage zu Gruppen und die dann entstehende Gruppendynamik verstärken die Gewaltbereitschaft.[79] Dieser schädliche Gruppeneinfluss wird verlängert, je länger Ausbildung oder Arbeitsaufnahme oder andere stabilisierende Umstände – feste Freundin, Familiengründung – ausbleiben.[80]

Neben diese eher allgemeinen Ursachen für Gewaltbereitschaft treten ideologische Motive („Hassgewalt“): Gewalt bei Demonstrationen für politische Anliegen, Militanz gegen Rassismus oder Faschismus, Verteidigung eroberter Lebensräume (besetzte Häuser) gegen äußere Angriffe kennzeichnen das, was derzeit plakativ „linke“ Gewalt genannt wird, rassistische Ideologien und die Stärkung des Selbstwertgefühls durch gewaltsame Attacken auf Ausländer oder gesellschaftliche Randgruppen sind Kennzeichen der sog. „rechten“ Gewalt.[81] Für Jugendliche aus Einwanderungsländern ist Gewalt oft auch Antwort auf erlebte Fremdenfeindlichkeit. Hinzu kommt in jüngster Vergangenheit nun auch religiös-ideologisch getriebene Gewaltkriminalität. Aber auch hier stehen diese Motive meist nicht allein, werden ergänzt durch den Wunsch nach Abenteuern und Gruppenerlebnissen; eigene Misserfolge in der Schule oder auf dem Arbeitsmarkt sollen kompensiert werden, in der gewaltbereiten Clique bemüht sich der Jugendliche um Ansehen und Respekt.

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Gewaltdelikte jugendlicher Täter, insbesondere die links-, rechtsextremistisch oder religiös-ideologisch motivierte Gewaltanwendung, sind immer wieder Anlass, das Jugendstrafrecht und seinen Erziehungsgedanken in Frage zu stellen. Versuche von Jugendgerichtshilfe und Jugendgericht, rechtsextremistische Jugendliche, die – häufig in Gruppen, oft mit einem deutlich älteren Anführer – ausländerfeindliche Brandanschläge begangen haben, nicht nur wegen ihrer Taten zur Rechenschaft zu ziehen, sondern auch ihre Lebenssituation aufzuklären und langfristige Lebensperspektiven zu eröffnen,[82] werden als eher lächerliche, zumindest unangebrachte Nachsichtigkeit oder gar als Ignoranz gegenüber der Gewaltbereitschaft dieser jungen Menschen kritisiert. Demgegenüber ist ungeachtet aller Empörung über solche Straftaten daran festzuhalten, dass bei jungen Tätern Eingrenzung und nicht Ausgrenzung zu fordern ist, dass die Versäumnisse der Gesellschaft, ihre jungen Menschen angemessen zu erziehen und ihnen akzeptable Lebens- und Zukunftsperspektiven zu eröffnen, nicht durch „Draufschlagen“ ausgeglichen werden können.[83]

Sicherlich ist es wünschenswert, gerade auch in diesen Fällen dem Beschleunigungsgebot des Jugendstrafverfahrens Rechnung zu tragen und möglichst bald auf solche Taten zu reagieren; das ändert aber nichts an der Notwendigkeit, auf die persönlichen und sozialen Probleme auch dieser jungen Täter einzugehen. In Einzelfällen sind die jungen Täter zu solchen Taten angestiftet worden, im Übrigen berufen sie sich, wenn auch meist völlig unreflektiert, auf Ideen und Gedankengut, das entweder von dieser Gesellschaft oder von vermeintlichen religiösen, ideologischen oder politischen Autoritäten produziert oder geduldet wird.[84] Jedenfalls wird der Strafverteidiger in solchen Fällen die Aufgabe haben, diese Aspekte in den Vordergrund seiner Argumentation zu stellen.

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Junge Beschuldigte sind prozentual deutlich höher mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung belastet als Erwachsene.[85] Die Zahlen steigen. Bisherige Dunkelfeldforschungen scheinen zu belegen, dass zwei- bis fünfmal so viele Sexualdelikte begangen werden als polizeibekannt.[86] Die ständige und weitestgehend unproblematische Verfügbarkeit von gewaltpornografischen Inhalten im Netz beeinflusst die Vorstellung und Einstellung der Jugendlichen von „normaler“ Sexualität und befördert so grenzverletzendes Verhalten.

Junge Sexualstraftäter fallen häufig schon als Kinder durch abweichendes oder sexuell aggressives Verhalten auf; ihre Opfer sind meist Kinder, jedenfalls deutlich jünger als die Täter. Ein großer Teil - die Untersuchungen sprechen von 20-80 % – hat selbst sexuellen Missbrauch und sexuelle Gewalt erfahren, viele haben zumindest in der Kindheit und Jugend Beziehungsabbrüche erlebt. Taten werden auch häufig aus einer Risikogruppe heraus begangen. Die generell bejahte Rückfallgefahr kann durch frühzeitige Intervention, eine gute Diagnostik und ein zielgerichtetes Behandlungsprogramm erheblich gesenkt werden.[87]

Teil 1 Jugenddelinquenz und JugendstrafrechtIII. Problemgruppen, Problemkonstellationen › 7. Kapitalverbrechen junger Täter

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