Читать книгу Die Fahrt zur Unsterblichkeit - Max Geißler - Страница 10

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Etliche Siedlungen zwischen den Kohlengruben der Borinage hatten es zu einem hölzernen Kirchlein gebracht.

Dort aber, wo der neue Prediger seinen Einzug hielt, war das nicht. Dort hatten sie in jener Zeit einen Bretterbau. Der lehnte sich an die Rückseite eines Backhauses. Schwarz wie alles in diesem Lande. Es war in der einen Ecke ein Holzverschlag für den Prediger. Hinter diesem Verschlage wohnte er, schlief er. Auf einem Strohsack, der an der Erde lag. Und es standen in dem Saal zwei oder drei kreuzbeinige Tafeln mit Holzbänken hüben und drüben. An einem Drahte hing über jedem Tisch eine kümmerliche Schirmlampe.

Männer, die nicht anfuhren, oder ihre Frauen und erwachsenen Töchter kamen in diesem Bau nicht ungern zusammen; denn es war nun der Herbst; und vom Gemäuer des Backhauses her wärmelte es durch den Raum. Weil sie nicht anspruchsvoll waren, empfanden sie dies als Behaglichkeit.

Es muss aber gesagt werden: den meisten der Leute in der Borinage erging es wie den Pflanzen zwischen den Halden — sie kümmerten durch ihr Dasein und waren kärglich an Leib und Seele.

Dazu kam: der neue Prediger war nicht von blendender Kraft des Wortes. Er vermochte nicht, sie emporzureissen aus der Freudlosigkeit ihres Werks und ihrer Tage. Deshalb lagen die Wunder der Welt, die er in seinem Geiste trug, auch nicht am Lichte für sie. Und sie sagten: „Ach, wir sehen wohl, er ist ein guter und gerechter Mensch, aber er ist einer wie wir alle.“

Das war die gleiche Rede in einfältigeren Worten, die sie dereinst von Jesus von Nazareth sagten: „Wir aber hofften, er sollte Israel erlösen.“

So war das mit ihm.

Doch auch dies wandelte sich im Laufe der Tage. Zwar: eine Predigt wurde nicht aus seiner stochernden Rede. Aber es ward ein warmherziges und aufgetanes Lehren und Lernen; wenigstens zwischen ihm und etlichen. Denn dieser Iungmann schloss ihnen Türen der Welt auf, von denen sie gar nicht gewusst hatten, dass dahinter Gotteswunder an Gotteswunder gehäuft sei.

Zu allen Zeiten war er für seine Gemeinde da; denn immer waren etliche, die mit ihm reden wollten, zwischen den Schichten. So war es wenigstens bis zu dem Tage, an dem die grosse Krankheit über die Borinage fiel. Bis dahin kamen sie zu ihm: so gut es gehen mochte, äusserlich bereitet für eine Stunde von hellerem Schein. Auch mit gewaschenen Gesichtern und Händen — so gut es gehen mochte.

Manche von ihnen hatten einen frohen Kirchenglauben. Die vernahmen gern von den Verheissungen, die ihrer warteten in der Erfüllung. Die Welt nämlich mit ihren Lockungen lag weiter hinaus für sie und unerreichbarer als die selige Ewigkeit, die ganz voll Glanz ist und ohne Kohlen, ohne Qualm, ohne Staub. Darüber wollten sie von ihm hören.

Da musste er ihnen sagen, wie er sich die Erfüllung dachte.

Er aber hätte viel lieber von der Erde gesprochen. Und wie sie selbst schon voller Wunder ist. Dafür aber fand er keine grosse Gemeinde. Das kam wohl daher, dass er jenseits der Sterne nun doch nicht so sicher daheim war. Immerhin. Er sagte ihnen auch: „Die Bibel, das ist der höchste Berg der Erde. Man kann von seinem Gipfel aus sehen bis in das Herz Gottes. Ja, das kann man, ihr Leute! Hinwiederum: wenn einer seine Augen auf derlei Dinge nur erst eingestellt hat, so kann er auch schon durch den geringen Kelch einer Wiesenblume schauen in alle Weisheit des Herrn. . . Sehet, das möcht’ ich, dass es mit euch dahin komme!“

Aber: da konnten sie nicht mit! Die kleinen Blumen — wiewohl zwischen den Halden keine blühen mochten — die kleinen Blumen waren ihnen zu nah und zu einfältig. „Wie kann einer von kleinen Blumen reden als von einem Fernrohr ins Herz Gottes?“

So vermass er sich an ihrem schlichten Verstande. Sie verloren die Geduld, ihm zuzuhören. Und es erhoben sich etliche und vertraten sich zwischen den Tischen ein wenig die Glieder; denn es war in den Tagen vor der grossen Krankheit in der Borinage. Jeden, den sie packte, warf sie drei Wochen aufs Lager. Ihrer viele warf sie auch ins Grab. Einige klagten schon in dieser Zeit über Abgeschlagenheit, über Kopfweh, über Frösteln.

Während sie sich die klammigen Glieder vertraten, kamen an den schwarzen Innenwänden des Holzhauses ihre noch schwärzeren Schatten herauf mit stössigen Gebärden. Es war ein unheimlich malerisches Leben.

Die Fahrt zur Unsterblichkeit

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