Читать книгу Die Fahrt zur Unsterblichkeit - Max Geißler - Страница 11
ОглавлениеNun, im Grunde war dies Leben eine ungeheure Kargheit
Zuerst fühlte er das nicht. Denn die Hütten der Siedlungen waren von jener heimeligen Art, an die er sich in den drentischen Dörfern gewöhnt hatte. Es waren da die steilen Strohdächer, tief herabgezogen. Und es war auf diesen Dächern das sammetige Moos. Vom Spiele der Sonne und Zeiten wurden auf dies Moos in seiner Heimat alle Farben aus dem Malkasten des Weltenbaumeisters gestrichen. Auch hier fehlte dies Wunder des Lichts nicht ganz. Nicht ganz.
Manchmal ward er gesehen, wie er vor einer Hütte sass und zeichnete. Oder drinnen bei einer Frau am Herdbrand. Oder bei einer Haustochter. Er gab mit derlei Studien im Zeichnen seinen freien Stunden einen Inhalt.
Es war nicht viel, was er damals zustande brachte — vielleicht nicht viel; denn er ahnte noch gar nicht, wohin das mit ihm wollte.
Die Bäckerfrau, seine Nachbarin, dachte nach Weiberart nah und irdisch über dieses neuen Predigers Lust am Zeichnen.
„Es sind keine schönen Menschen in der Borinage“, sagte sie eines Tages zu ihm. „Die Frauen sind dürr und nicht blank, und sie sind auch stumpfer an ihren Sinnen als anderswo. Die Mädchen hier haben keine Jugend. Daran sind die Kohlen schuld. Wie kann ein Mann Lust haben, bei solch einer zu schlafen? Alles ist dreckig vom Teller bis zum Bett, vom Strumpfband bis zur Halskrause. Dazu ihr dunkles Haar und ihre porige gelbliche Haut, in die sich der Kohlenstaub einnistet! Sie haben auch gebeugte Rücken. Es trägt jede ihren Sack voll Schlacken.“
Diese Bäckerfrau war in den dreissiger Jahren und von dem rundlichen Schnitte der Holländerinnen. Auch war sie von einer gesunden und tüchtigen Art und von einer inneren Freudigkeit, die dies Land mit den Wegen aus Stückkohlen sonst nicht zuliess. An guten Tagen leuchtete ihr niederländisches Blondhaar ganz hell und heimatlich. Sie war hier die einzige von solcher Blankheit. Einst hatte sie nicht richtig abzuschätzen gewusst, was es mit dieser Gegend für eine Bewandtnis habe, in die sie ihrem Manne vor neun Jahren gefolgt war.
In den ersten Tagen seines Hierseins sagte sie von ihrem neuen Nachbar, dem Prediger: „Er ist ein Jan van Moor. Es hat wohl früher ein Bär aus ihm werden wollen. Es kommt mir so vor, als hätten sie ihn draussen im blauen Lande nicht verbrauchen können.“
Wenn sie nicht also hätte denken müssen, hätte sie ihm die kleine Kammer in ihrem Haus eingeräumt. Aber einer, der so karg vor sie hinstand, so maulfaul und ungefüge! Solch einer konnte ebensogern drüben in dem Verschlage des Bretterbaues schlafen, der für ihn und den Notfall hergerichtet war. Mit dem Strohsacke, der darin lag, gelangte das Land der Sehnsucht des neuen Predigers zu einer gewissen komfortablen Vollendung.