Читать книгу Die Fahrt zur Unsterblichkeit - Max Geißler - Страница 9
ОглавлениеDie Borinage ist ein Land von ungeheuerer Tristigkeit. Ein Land der schwarzen Berge, die von Menschen gemacht sind. Mit Halden von erstarrtem, kohlegewordenen Regelmass. Wenn ein Wind aufsteht in dieser Welt, so wirbelt er den Kohlenstaub in Floren durch die Luft. Oder er reisst den Qualm der Schornsteine herab und legt ihn auf das bisschen Leben — Sargtücher, Sargtücher! Es kümmern ein paar landfremde Bäumlein zwischen den schwarzen Buckeln, drei Schuh hoch und ganz ohne Sehnsucht; ganz ohne Teilnahme am Dasein; denn sie können diese Luft nicht atmen. Die Sonne, die sie umspielt, ist ein verirrtes Scheinen, ist ein verwehter Klang vom seligen Märchen des Himmels. Und die Menschen — o Gott, die Menschen!
Der aber, der in jenen Tagen als Prediger in diese schwarze Wüste geschickt wurde, dachte: „Das ist nun das Ziel meiner Sehnsucht; denn hier warten sie auf mich, warten sie! Hat jemals einer auf mich gewartet draussen in der Welt? Hat jemand auf mich gewartet in Paris? In London? Im Haag? In Dortrecht? Oder nur in den Häusern meiner bäuerlichen Heimat? . . . Nein, so etwas ist keinem eingefallen! Aber diese da! Die wühlen wie die Maulwürfe in einer Welt ohne Licht . . . Nun, so will ich ihnen das Licht bringen! Ich will ihnen erzählen von den Städten der Menschen; und vom Himmel, über den die Allmacht Gottes die goldenen Funken der Sterne geworfen hat. Ich will ihnen erzählen von der Buntheit der Erde und von den heiligen Strömen des Nils und des Ganges, von Palmen und Lotosblumen. Ich will ihnen erzählen von der furchtbaren Majestät der Berge, aus denen das Feuer bricht; von der Erhabenheit des Meeres und von der Lieblichkeit der Gärten Gottes, in denen die Engel spielen mit goldenen Bällen und klingenden Bronnen. Und in denen auch sie spielen werden, wenn sie dereinst ihre Himmelfahrt gehalten haben. Ja. So will ich es ihnen sagen; denn ihre Sehnsucht geht nach allem, was in der Borinage nicht um sie ist . . .“
So stieg ein Licht in ihm auf zwischen den finsteren Halden dieses finsteren Landes. In diesem Lichte sah er sich an und dachte: „Ich weiss nun, wie das mit mir ist! Ich habe geglaubt: ich stünde verwaist unter den Menschen mit meinen Sehnsüchten all die Fahre her. Aber ich war nur ein Fremdling unter ihnen. Und in den klingenden Gärten war ich schon all die Zeit her, war mitten darin. Ich erkannte es nur nicht; weil ich nicht davon reden konnte zu denen, die um mich waren; denn die sagten: „Es ist immer das gleiche eintönige Ding. Wunder sind da nirgends, du wunderlicher Mensch!“
Aber diese hier warteten auf ihn! Die sollte er führen zu Ländern des Lichts und der Freude — wenn auch nur in ihren Gedanken.
Darum sagte er: „Das ist es, wonach ich gesucht habe! Jawohl, dies ist das Land meiner Sehnsucht!“