Читать книгу Die Fahrt zur Unsterblichkeit - Max Geißler - Страница 15
ОглавлениеAls die Nacht dann zwischen den Halden lag,war sie schwer, schrecklich und fremdartig. In ihrer schwülen Finsternis ertrank alle Erinnerung an den Zauber des Tages. Es war, als sei dieser Tag eine Lüge gewesen. Denn durch jene arge Nacht trugen sie Kranke von den Schächten herein. Typhus! Und der Bäcker, der auf seinem Wagen vom Handel kam, kroch vom Sitz, als wären ihm die Knochen mit Blei ausgegossen.
Da lief die Meisterin in ihrer Angst in den Bretterbau, wo der Nachbar noch unter der Lampe sass — ganz allein in dem weiten öden Raum — und schrie ihn an: „Schirr den Gaul ab und bring ihn in den Stall und füttere!“ Dann lief sie gleich wieder hinaus und betreute ihren Mann. Auf dem Bettrand riss sie ihm die Kleider vom Leibe, wickelte ihn in Zudecken, kochte Tee und presste den Saft einer Zitrone hinein. Das Trinkgefäss hielt sie ihm an die Lippen. Denn das sah sie wohl, dass er sich nicht mehr allein bedienen konnte. So schlecht stand es mit ihm. Nach einer halben Stunde rang er mit spukhaften wachen Träumen. Er wollte im Fieber an den Backtrog laufen.
An seinen zerrissenen Worten merkte sie, dass es bei ihm um Tod und Leben gehe. Da raffte sie alle Kraft zusammen und sagte: „Du hast dich um gar nichts zu sorgen in dieser Zeit! Ich habe schon den Nachbar zu Hilfe gerufen, den Prediger. Er hat das Pferd in den Stall gebracht. Es wird im Haus alles geschehen, als wenn du wohlauf wärest. Erkennst du das nun? Wir zwei — der Prediger und ich — wollen Semmeln und Brot backen. Ich will ihm für seine Hilfsbereitschaft die Kammer samt dem Bett in unserem Hause geben; damit er gleich zur Hand ist, wenn die Not grösser wird. Verstehst du das? Wenn du Hunger hast, so musst du es sagen. Und wenn du trinken willst, sag es auch! Es ist aber viel besser, du nimmst dir vor: ich will jetzt drei Wochen schlafen.“
Darüber verfiel er in ein wildes Gebaren und wollte alles von sich werfen und — wie er war — in die Backstube laufen. Aber die schweren Glieder versagten ihm den Dienst. Auch hatte ihn die Frau so fest in die Schlafdecken gehüllt, dass er sich nicht gleich befreien konnte.
Was soll weiter von diesen Dingen die Rede sein? Es war nach wenigen Tagen kein Haus zwischen den Halden, in dem nicht ein Typhuskranker lag. Und wieder nach etlichen Tagen begann das Sterben. Es waren die kräftigsten Leute, die im Kampf wider den Tod unterlagen.
Der neue Gehilfe der Meisterin, der nun im Bäckerhause schlafen sollte . . . in Wahrheit schlief er nicht. Seine unverbrauchte Kraft und seine Bereitschaft taten in der ganzen Siedlung not. In der Backstube lernte er das Hefenstück setzen. den Teig walken, die Semmeln formen, den Ofen heizen, das Brot backen. Er war um hartnäckiges Sterben draussen in den Häusern, und er war um scheue Genesung. Er half die Toten für den Sarg zurechtmachen, und die Geretteten für das Leben. Er hatte seine Schlafdecken aus dem Bretterbau in die Hütten der Ärmsten gegeben und seinen Strohsack dazu.
So schritt er durch diese Zeit der schweren Not recht als Gottes Sohn.