Читать книгу Die Fahrt zur Unsterblichkeit - Max Geißler - Страница 5

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Solch Einem werden Wunder zur Selbstverständlichkeit. Seine Sinne dürsten nach Glanz. Dürsten nach Farben. Sehnen sich danach, diese Farben hervorzuzaubern aus Winkeln; hervorzuzaubern aus Dämmernissen; hervorzuzaubern aus Alltäglichkeiten, an denen die stumpferen Augen der Menschen vorüberschauen — ahnungslos. Denn Glanz ist für ihn in allem. Ist allenthalben. Und ist in unaussprechlicher Fülle. „Seht ihr ihn denn nicht?“

Er möchte diesen Zauber der Farben erlösen, dies Wunder erschaffen. Für wen? Für jene anderen? Vielleicht. Vor allem: für sich selbst; für seine dürstenden Sinne, die den Rausch brauchen. Denn er fühlt: es ist die Kraft in ihm. Er will seinen Tag erhöhen zum Tag eines Gottes. Zum Tage voll schöpferischer Tat. Da er nur ein Mensch ist, kann er sich berauschen an solcher Tat. Dieser Rausch ist dann Glück, Glück! Und dies Glück ist seine Sehnsucht. Iedennoch . . .

Es ist ein weiter Weg zur Erkenntnis. Am Anfang ist die Sehnsucht. Dann ist der Wunsch. Und dann ist der Wille. Wie kann solch einer wissen, wohin seine Sehnsucht drängt? Wie kann er das wissen, wenn er jung ist? Wenn ein nordbrabantisches Dorfgärtlein die Welt ist, in die er hineingeboren ward? Und wenn die Menschen um ihn her vor dieser Welt stehen mit gebundenen Sinnen? Während die seinen immerzu raten, immerzu entdecken, in einem fort erlösen wollen, was da unerkannt liegt an Schönheit: die Bauernblumen zwischen den Zäunen; die Jahreszeiten mit ihren Wundern des Lichts; der Bach, der durch die Wiesen wandert als ein heruntergefallener Regenbogen; und das märchenliebe Verleuchten der Fernen, bis hinüber an den Rand des Himmels.

„Was ist es damit?“ fragten sie diesen Jungmann. „Wir sehen das alles an jedem Tage. Wir sehen es seit vielen Jahren. Es ist immer das gleiche eintönige Ding. Wunder sind da nirgends, du wunderlicher Mensch!“

Darüber kam die Ahnung in seine Jugend: es ist etwas anders in mir. Ich sehe, was sie nicht sehen! Ich ersehne, was sie nicht ersehnen!

So stand er als Kind schon nicht mehr unter ihnen. Und war doch Fleisch von ihrem Fleisch. Stand neben ihnen. Ein Sucher.

Wenn er mit einem Glas an den Bach ging, die blitzenden Wunder der Käfer zu erhaschen, die da taumeln; oder wenn er den Kelch einer Wiesenblume mit seinen Träumen füllte — ja, dann schauten die Schwestern zwischen den Zinseln des Zaunes hindurch dem breiten, einspännigen Jungen hinterdrein. Wie er dahinschritt mit gesenkter Stirn. Wie er seinen Gedanken nachlief . . . Sie mochten gern mit. Aber sie wussten: er will allein sein.

So ward er einsam.

Er ward auch untauglich zu den Geschäften, die die anderen betrieben. Denn zwischen alles drängte sich seine Sehnsucht. Um alles waren seine anderen, seine aufgeschlosseneren Sinne.

Wenn man ihn zum Essen rief, dann setzte er sich in eine Ecke auf die Wandbank. In der niederen brabantischen Bauernstube. Sass abseits. Hatte den gelben Teller auf den Knien und löffelte seine Suppe. Es war zu sehen, wie Vater, Mutter, Geschwister ganz bei der Sache waren, zu der sie sich versammelt hatten. Und es war zu sehen, wie der in der Ecke ihnen längst nicht mehr so wichtig war, dass sie einen Blick, ein Wort für ihn hatten.

Er war damals schon über die Zwanzig hinaus.

Die Fahrt zur Unsterblichkeit

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