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Parental Cloning

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Zwischen dem Gesicht des Knaben und Jünglings Louis XIV einerseits und dem Gesicht des erwachsenen, ab etwa 17- bis 18-jährigen Königs andererseits gibt es keine physiognomisch-strukturellen Verbindungen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sämtliche Gemälde aus der Ludwig’schen Knaben- und Jünglingszeit retuschiert worden sind. Vor allem wurde das später im Erwachsenen-Stadium eindeutig mediterrane Gesicht Ludwigs des Vierzehnten in dessen Kindheit regelmäßig auf die germanisch konturierte Offizial-Mutter Anna von Österreich »nordisch« abgestimmt, was mit dem zweiten, 1640 beschafften Kind, Philippe d’Orléans, selten gemacht wurde, da Louis’ jüngerer Offizial-Bruder – in Wirklichkeit auch mit Louis XIV nicht verwandt – nicht so im »Rampenlicht« des öffentlichen Interesses stand wie der »Retorten«-Dauphin (Abb. 8, 9, 5, 6, 4, 22).

Erst ab dem nachpubertären Louis wird unzweifelhaft deutlich, dass dieser behauptete Königssohn nicht physisch von diesen vorgegebenen Königseltern hervorgebracht worden sein kann. Louis XIV zeigt plötzlich ungeniert als junger Mann bis in sein hohes Alter immer sein Mittelmeer-originales, »wahres« Gesicht: zyprisch-sizilianisch braune Haut, griechisch-ägyptisch hervorspringende, gebogene, lange Nase ohne Einkerbung zwischen Stirn und beginnendem Nasenrücken! (Abb. 7, S. 184) Vor allem fehlt Ludwig die sich bis in die fünfte Generation vor ihm ab Karl V. und Ferdinand I. vererbte Habsburg-Maultasch-Unterlippe, die auch seine Offizial-Mutter und -Tante zierte.

Die Retuschen und »Nordifizierungen«, die mit dem Gesicht des kleinen Louis XIV ölmalerisch vorgenommen wurden, gehen weit über die biologisch-natürlichen Veränderungen hinaus, durch die sich das Gesicht eines männlichen Heranwachsenden entwickeln kann.

Babys, Kleinkinder und noch Jungs haben im Prinzip rundere Gesichter als Jünglinge und erwachsene Männer – um den sogenannten »Kindchen-Reflex« auszulösen, der die betreuenden Erwachsenen provozieren soll, sich dem Schutzbefohlenen permanent zuzuwenden. Das Gesichtsrund der jungen Exemplare weicht beim Heranwachsen allmählich dem gewohnten, mehr länglichen Schädelbau. – Zur Motivierung des »Kindchen-Reflexes« gestaltet die Natur auch bei allen dem Menschen nahest verwandten Arten die frisch Geborenen gesichtsrund und lässt sie dadurch typisch »süß« wirken.

Ein ebenfalls natürlicher Prozess der Veränderung findet bei manchen in der Kindheit blonden Menschen mit der Haardunklung statt: Aus Silbrig und Goldblond werden im Laufe der Zeit beim Erreichen der Grenze zum zweiten Jahrzehnt Mittel- oder Dunkelblond.

Auf den Bildern von Louis XIV handelt es sich jedoch nicht um Darstellungen natürlicher Veränderungsprozesse, sondern um Austauschungen eines ganzen Typs. Das nicht mehr retuschierte Gesicht des erwachsenen Louis XIV hätte ein anderes kleines und groß werdendes Kindergesicht zum Vorläufer haben müssen, und zwar immer. Griechisch-spanisch-süditalienisch-südfranzösisch dunkle Erwachsenengesichter mutieren nicht so »dramatisch« aus mitteleuropäisch-slawisch-britisch-irisch-skandinavisch hellen Konturen, wie die Gemälde es bei Louis XIV suggerieren.

Louis’ eigene – zu seinem Südtyp passende – schwarze Haare werden dem Kleinkind unter Kappen versteckt oder gold gemalt. Dann – ab dem Alter von zwei/drei – wird Louis’ Haar in der gesamten Knabenzeit mittelblond gefärbt, partienweise hellblond getönt und stocklockengekringelt.

Eine Blonddunkelung – wenn es sich denn bei Louis XIV um einen mittelbis nordeuropäischen Typ gehandelt hätte – wäre eher abgeschlossen gewesen. Die Bildchronologie der Ludwig’schen Haarfarbe läuft außerdem der Natur entgegen. Die noch eigenen Haare Ludwigs verändern sich »andersherum« als bei den Mittelblonden: Auf den frühen Öls sind sie braun, gegen zehn werden sie blond. Die Haarspitzen sind schwarz. Das Haarteil und die Schläfen wurden hell gepudert (Abb. 8, 9, 10, 11, 22).

Am überraschendsten wird die »Germanisierung« beim Offizial-Bruder Philippe d’Orléans vorgenommen. Dessen Gesicht stimmt schon als Kind mit dem späteren sarazenisch-persischen Flair des erwachsenen Mannes überein. Als Junge darf er oft seine original-schwarzen Haare zeigen. Doch um zu verhindern, dass Hofklatsch sich zum Steppenbrand einer Beschaffungs-Fama ausbreitet, wurde dem in Mädchenkleidern kostümierten Körper des »dauphin substitut« Philippe d’Orléans plötzlich in seinem vierten bis sechsten Lebensjahr mehrmals ein völlig anderer Kopf – ein anderer als der, den er bisher gezeigt hatte – aufgepfropft.

Unüblich ist auch die sich immerzu wiederholende malerische Ausstellung der Mutter-Söhne-Beziehung, in der sich Anna von Österreich mit ihren Offizial-Prinzen Louis XIV und Philippe d’Orléans zeigen musste.

Die Eltern-Kind-Beziehung war kein Permanenz-Thema in der höfischen Malerei. – Die europäisch bekannte Familiendarstellung um den preußischen König Friedrich Wilhelm I. ist ein Ausdruck der Verbürgerlichung des Adels: Kind als materieller und später als psychischer Besitz, mit dem sich gebrüstet wurde, wie es bürgerliche Familien auf zahlreichen Abbildungen schon ab dem ausgehenden Mittelalter zeigten. – Die Kinder von Königen vor dem 18. Jahrhundert wurden prinzipiell nicht in Begleitung ihrer Eltern gemalt oder allenfalls als »Beiwerk« auf Porträts der Erwachsenen mitgeliefert. Es gibt in der Generation vor Anna d’Austria nur vereinzelt königliche Eltern-Kind-Gemälde wie das von Henri IV, seiner zweiten Frau Maria Media und ihren vier ältesten Kindern (s. S. 314). Aber generell war auch für Annas Schwiegermutter, Maria Medici, Mutterschaft kein profiliertes Thema in der Selbst-Apotheose, die sie von Rubens über ihr Leben im Palais du Luxembourg malen ließ.

Im Gegensatz dazu existieren noch heute in Europa bis zu 20 bildliche Demonstrationen der Königin Anne d’Autriche Seit’ an Seit’ mit Louis XIV oder mit Louis und Philippe d’Orléans.

Als ob das Misstrauen des Landes sich erst nach Ludwigs Präsentation zusammengebraut hätte, werden die Gesichter von Anna und Ludwig auf einigen der Gemälde ähnlichkeitshalber geradezu eineiig verzwillingt! (Abb. 11)

Glich man das Gesicht des älter werdenden Louis-Kindes dem Gesicht seiner Offizial-Mutter immer mehr an, so arbeitete die ölmalerische Mimikry in der »Vater-Sohn«-Beziehung genau umgekehrt.

Aus den »Massen« von optischen »Ungereimtheiten« bei Louis XIV im Bilde ragt eine »Vater«-bezügliche Auffälligkeit heraus: Ab etwa 1635, dem Zeitpunkt des Starts der Aktion »Kronprinz« mit dem religiös-astrologischen Training der französischen Öffentlichkeit für das Erscheinen des Dauphins, verändert sich das Gesicht des Offizial-Vaters in spe, Ludwigs des Dreizehnten, in Richtung mediterraner Kontur! Louis XIII wird in seinen letzten vier bis fünf Lebensjahren nach der Beschaffung seines Offizial-Sohnes Louis XIV schließlich so gemalt, dass er ähnlichkeitshalber durchaus der Vater des Dieudonnés hätte sein können, vor allem seine ursprünglich runden braunen Augen schwärzen sich ein und verschmälern sich, bis sie den zukünftigen Fast-Schlitzaugen Ludwigs XIV. angepasst sind!

Die Königsfälschung

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