Читать книгу Die Königsfälschung - Max Melbo - Страница 9
Astro-Tricksereien
ОглавлениеDas politische Genie des späteren französischen Alleinherrschers, Kardinal Mazarin, des Organisators der Beschaffung von Ludwig Lebensborn, hat an alles gedacht: Jungfrau Maria und das Jesuskind – das war die eine Ebene des ideologischen Koordinatensystems, in dem die Menschen im 17. Jahrhundert in Frankreich leben mussten. Die andere geistige Orientierung der Massen war die Astrologie. Vor allem Adlige waren horoskopversessen.
Spätestens nach der Prophezeiung des 1559 geschehenen Turnier-Unfall-Todes des französischen Königs Henri II (1519–1559) – vorausgesagt vom französischen Star-Astrologen Nostradamus – war Prophezeiung gesellschaftlich »in«, war sie ein biografischer Kitzel, dem sich täglich gewidmet wurde und dessen Ergebnisse mit wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit abgesegnet wurden wie im 20. Jahrhundert die Dogmen der Gen-Industrie.
Der Königsmacher und Papstvertraute Mazzarino kam auf die Idee, einen philosophisch-religiös-astrologischen Sonderling, den italienischen Querdenker und Autor Tommaso Campanella, mit der Aufgabe der astrologischen Kronprinzenpräparierung zu betreuen und nach Frankreich zu holen.
Campanella, geboren am 5. September 1568, hatte über 30 Jahre seines Lebens in Gefängnissen verbracht, darin sein später weltberühmtes Buch Civitas solis (La Città del Sole) verfasst – Die Sonnenstadt oder Sonnenbürgerschaft, im Deutschen übersetzt mit Der Sonnenstaat.
Papst Urban VIII. bewahrte Campanella vor erneuter Haft und schickte ihn nach Frankreich. Campanella wurde in Rom unter den Schutz des französischen Botschafters am Vatikan gestellt, der ihn auf seiner Reise nach Frankreich begleitete. Fast gleichzeitig trafen der päpstliche Geheim-Gesandte und der astrologische Ideologiefabrikant in Paris ein, Mazzarino am 26. November 1634, Campanella eine Woche später, am 1. Dezember 1634.
Campanella hatte zwei Aufgaben:
1 Er musste Ludwigs des Vierzehnten Horoskop erstellen – eine schwere Aufgabe bei einem beschafften Kind! Normalerweise filtern Astrologen die planetarischen Konstellationen – die Wirkungen des Firmaments auf den Lebenslauf eines Menschen – aus den realen Geburtsdaten heraus. Bei der Organisierung von Ludwig Lebensborn musste Campanella umgekehrt vorgehen – Ende August, Anfang September 1638 die günstigsten astrologischen Gegebenheiten zusammenstellen und nach ihnen dann für den zukünftigen Louis XIV Geburtstag und Geburtszeit festlegen, mit denen der Kronprinz öffentlich als geboren deklariert wurde.Campanella wählte der Einfachheit halber seinen eigenen Geburtstag, an dessen 70. Wiederkehr der Philosoph den zukünftigen König auf die Welt »holte«: am 5. September 1638.
2 Campanella musste in seinen Schriften Geburt und Superkönigszukunft Ludwigs des Vierzehnten prophezeien.
Kardinal Richelieu hatte alles vorbereitet, den eingeschleusten Schriftsteller umgehend zu einer berühmten Autorität zu machen. Campanella wurde Hofastrologe von König und Königin, auch freundlichst von der Sorbonne empfangen. Jedes Jahr nach Campanellas Ankunft in Paris erschien eines seiner mehrbändigen Werke – ein regelmäßiges Autorenglück, das Campanella nie zuvor in seinem Leben in Italien gehabt hatte. Richelieu machte Campanella zum französischen Bestsellerautor und infolgedessen zum Weltschriftsteller.
Die französische Ausgabe von De sensu rerum et magia, erschienen 1636 im Jahr vor der Beschaffung Ludwigs des Vierzehnten, widmet Campanella Richelieu, lobhudelt ihm als Retter Frankreichs, als Bollwerk der christlichen Kirche. Zugleich geschehe durch Richelieus Regierung eine Heilung Europas. Campanella forderte Richelieu auf, den von ihm propagierten »Sonnenstaat« zu bauen – eine neue utopische Gesellschaft.
Aus diesem für magisch gehaltenen Bezug zwischen Utopia »Sonnenstaat« und geglaubtem »Wundererscheinen von Louis XIV« wurde der Begriff »Sonnenkönig« geboren, mit dessen Hilfe Ludwig der Vierzehnte sich später ein schier unbegrenztes sonnengleiches Herrschaftsrecht usurpierte.
Campanellas im Januar 1639 publizierte Schrift Ecloga in portentosam Delphini nativitatem (»Sinngedicht auf den wunderbar geborenen Dauphin«) trifft schon im Titel ein Arrangement mit der Fälschung des in Wirklichkeit nicht »gebürtigen« Kronprinzen. Campanella deckte dem beschafften Kardinalsbaby »sternweis« den Rücken. Alle Himmelskonstellationen und Planetenstellungen hätten diesen König vorbereitet. Louis XIV werde die Welt umgestalten wie Karl der Große, ja der Himmelskörper Saturn in Verbindung mit einem feurigen Dreieck beschwöre das Zeitalter der Apostel Jesu herauf.
Höher in den Himmel und tiefer in die Zeit zurück ging’s nicht! Sonne, großer Karl und Jesus Christus = »Ludwig Firmament« – Widerstand unmöglich!
Bis heute wundern sich Historiker über die Koinzidenz von religiösen mit semireligiösen = astrologischen, damals angenommen wissenschaftlichen Wegbereitungen und Ankündigungen des rex ultimo »Roi Soleil«. Man glaubt auch der astrologischen Fälschung, vor allem diejenigen tun es, die an religiöse Prophezeiungen nicht glauben können.
Genau das war von den Kronprinzenmachern beabsichtigt: mit den Astro-Tricksereien die nicht-religiös gläubige Klientel der Gesellschaft für Ludwigs des Vierzehnten »Bestimmung« empfänglich zu machen. – Man ergibt sich immer noch Campanellas Ursache-Folge-Vertauschung. Er hat eine Herrschafts-Hurra-Konstellation in den Himmel projiziert, den Moment von Louis’ »Erscheinen« im Pariser königlichen »Wöchnerin«-Zimmer optimiert und daraus Louis’ sonnenzentrale Regierung figuriert.
Die – unter dem Überbau der conter-reformatorischen Gläubigkeit des 17. Jahrhunderts – inszenierte perfekte Glaubwürdigkeit des gottgegebenen und sternegesandten Kronprinzen entlarvt sich im 21. Jahrhundert nach Wegfall dieses Überbaus als perfekte Unglaubwürdigkeit, der nicht nur Menschen des Volkes, sondern auch die Historiker aller Länder fast 400 Jahre lang aufgesessen sind.