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Louis le Déplacé

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Im Ausland unternimmt Louis XIV militärische Permanent-Verrückungen, im Inland zeigt er sich nicht minder verrückt.

Die Auslöschung der französischen Protestanten gehört zu Louis’ Destruktionen in »äußeren Angelegenheiten«, da er die Hugenotten als fremd, als nichtfranzösisch, als nicht zu Frankreich gehörend halluziniert, die entweder geistig nichtexistent gemacht oder physisch ausgetilgt werden müssten.

Das Verrückte Ludwigs des Vierzehnten zeigt sich auch in allen seinen »inneren Angelegenheiten«, die seine Stellung als Landesherrscher betreffen. Er wird nach dem Tod seiner Offzial-Mutter sogenannt größenwahnsinnig. Er verliert das Augenmaß für die Dimensionen seiner selbst. Er wird als König wahnköniglich, wahnaristokratisch.

Louis XIV hatte in den Dutzenden Schlössern der Könige vor ihm keinen Platz finden können, auf Regierungsdauer sich zu inthronisieren, auch wenn sie bahnhofsgeräumig waren wie der Louvre. Alle Schlösser waren erbaut worden von Dynastie-Berechtigten, als deren illegitimer Nachfolger sich Louis XIV in den Vorläufer-Wänden unbehaglich fühlte.

Aus einem kleinen Zweckgebäude, dem Jagdschloss Versailles seines Offizial-Vaters Ludwig 13, ließ er einen babylonischen Breitbau anschwellen für einen Hof»staat« von 15000 Höflingen und Bediensteten, an dessen Errichtung 20 Jahre lang (1661–1682) 22000 Männer, sich krankschindend, arbeiten mussten – während gleichzeitig in Paris die Bevölkerung unter Wohnungsnot litt! In diesem dinosaurisch-labyrinthischen Ungetüm »wohnte« Louis XIV ab 1682 – als was?

Nicht als französischer König, sondern als »Orientale«. Die Anbetung des Herrschers als Sonne, die dieser fürstlich total unbesonnene Unbesonnte auf sich fokussieren ließ, kommt aus dem alten Ägypten und der Gott-Personen-Kult der Könige aus dem alten Persien.

Die französischen Könige waren bis zu Louis’ Offizial-Vater Ludwig 13 »Kumpels« ihrer Untertanen, benahmen sich lässig im Umgang mit ihnen, konnten »angefasst« werden, wenn sie sich auf ihren Ausritten oder Ausfahrten zeigten. Louis XIV distanzierte das ganze Land von sich in der sogenannten Etikette, die für ihn zu einer Königs-Abstands-Haltung erstarrte.

Das kurioseste Merkmal dieser Etikette wurde die »Staatsperücke«, die Louis ab Ende der 1660er Jahre für alle »hohen« Männer erzwang und die ganz Europa imitierte. Die riesige, sich andauernd mit neuen Modellen verändernde blonde, braune, graue und schwarze Lockenpracht ums Haupt rahmte Ludwigs Gesicht nicht nur ein, gab dem »Hergeholten« auftrumpferischen Bedeutungshalt und entrückte den prosaisch rotblütigen Zeitgenossen in ungebärdige Antikentiefe, sondern das voluminöse Kunsthaar verfremdete Louis’ Gesicht auf Dauer auch so sehr, dass alle Abstammungs- und Ähnlichkeitsfragen, für die sich die höfische Gesellschaft noch interessierte, »mundtot« gemacht wurden. Die Perücke als »Geradhaltung«, Verrätselung und Schablone für alle adligen und bürgerlich gehobenen Männer garantierte Louis täglich, sein Gesicht unter ihnen nicht verlieren zu müssen.

Um sich jedoch als König gegen die Normierung der Männer von Stande durch die Pflichtperücke abzuheben, trug Louis XIV in der Öffentlichkeit immer einen Hut. Die Könige vor ihm trugen manchmal eine Kopfbedeckung, wenn sie sich draußen zeigten oder malen ließen. Louis XIV installierte einen Hutzwang, dem nur er folgen musste. Niemand Französisches außer ihm durfte neben ihm einen Hut tragen. Er trug ihn bei jedem höfischen Erscheinen auch innerhalb von Gebäuden und – sehr unpraktisch – zu Pferde, wenn er an Jagden und Schlachten teilnahm. Man erkennt ihn auf einem Bild sofort als Mann mit dem Hut. Louis’ Hüte änderten sich wie seine Perücken. Filmstarvorweggenommen überrascht er seine Zeitgenossen und bis heute seine Betrachtenden mit immer neuen voluminösen Modellen. Louis trug keinen Hut ein zweites Mal! (Abb. 13, 14, 15, 16, 17)

Trotz Louis’ zweifacher Kopf-Einfassung mit Hut und Kunsthaar »rutschte« ihm sein eigener Körper »weg«.

Louis XIV war ein ganz besonders gesundes Kind, über das sich sein dritter Hofarzt, Antoine Vallot, wunderte, der 1647 in den königlichen Dienst kam, als Louis neun Jahre alt war. Vallot hatte Louis’ Offizial-Vater Ludwig 13 noch gekannt, dessen Tod 1643 bei Dienstantritt Vallots erst vier Jahre zurücklag. Vallot hatte Ludwig 13 in dessen letzten Lebensjahren so zerrüttet und verfallen erlebt, dass der Arzt glaubte, der von Louis XIII »gezeugte Sohn« werde gebrechlich sein und dem Jungen kein langes Leben bevorstehen (36, S. 11).

Das Strotzen und die ländlich stabile Gesundheit von Ludwig dem Vierzehnten hatte Vallot dem »Erbteil« der spanischen »Mutter«, Anna von Österreich, zugeschrieben. Aber die spanisch-habsburgische Prinzessin brachte pur physische Degeneration mit, da sie Inzuchtsopfer schon in dritter Generation war. Ihr Großvater, Philipp II., hatte in vierter Ehe seine Cousine Anna d’Austria (die Erste!) geheiratet und mit ihr den Thronfolger Philipp III. gezeugt. Der hatte wieder nach »Inner-Österreich« geheiratet, seine Cousine ersten Grades, Margareta d’Austria. Älteste Tochter dieses Paares wurde die Louis-XIV-Offizial-Mutter Anna d’Austria (die Zweite!), die nach ihrer inner-österreichischen Großmutter benannt wurde. Annas (der Zweiten) Bruder, Philipp IV., heiratete in zweiter Ehe abermals eine Habsburgerin, seine Nichte, Marie-Anna d’Austria, und zeugte als 60-Jähriger mit ihr den Top-Degenerierten, den späteren spanischen König Karl II., der sofort nach Kursierung seiner Beschädigtheit die ersten Ansätze zum spanischen Erbfolgestreit provozierte, weil ganz Europa wusste, nach dem Tod Philipps IV. war durch Karl II. mit keiner genealogisch-physischen Fortsetzung der Dynastie mehr zu rechnen.

Louis XIV als ein original-leiblicher Sohn aus Adern und Blut, Samen und Schoß seiner Offizial-Eltern, des »verfallen-zerrütteten« Ludwig 13 und der auf der Kippe zur Degeneration stehenden Anna Ö., hätte nicht mit der »fantastischen« Gesundheit des beschafften Ludwig des Vierzehnten konkurrieren können.

Aber der Mensch lebt nicht vom Gen allein! Und Louis XIVs extreme Spannung zwischen Sein und Schein, zwischen physischem Glanz und biografischem Elend ließ ihn fast Tag für Tag krank sein.

Sofort nach diesem Statement muss fein-medizinisch nachgeschärft werden: Wie krank ist Louis XIV, wo, an welchen Körperteilen und ab wann?

Ludwigs physisches Elend beginnt mit 24 – im Jahr nach dem Tod Mazarins, zu den Zeiten des Beginns von Ludwigs Alleinregentschaft, als seine Offizial-Mutter Anna sich aus dem Geschäft des Mitregierens zurückgezogen hatte. Mazarin starb 1661. Ab 1662 erleidet Louis XIV bis ins hohe Alter in unkontrollierbaren Intervallen Schwindelanfälle und Zustände.

Dass alles falsch (Schwindel) und Louis eigentlich kein Stand möglich, da er null »von Stande« (Zustände) war – das wusste sein Körper schon vor Annas Konfession der Wahrheit auf dem Sterbebett vier Jahre später.

Die immer wieder und immer noch schwer verständliche Psychosomatik gewinnt im Leben von Louis XIV eine Plastizität, die noch bis ins 20. Jahrhundert hinein unter Staatsführern ihresgleichen suchen muss. Das Krankheitsphänomen enthüllt sich gegen die Wortschöpfung »Psychosomatik« als ein Vorgang der Soziosomatik: Paar-, Freundes-, Familien-, Gruppen- und Gesellschaftskonflikte machen krank.

Auch Ludwigs königliche Vorläufer sind krank – manchmal! Sie zeigen aber nicht wie Ludwig Krankheit, Körper-Dysfunktion und Fehlreaktion als Lebensbegleiterscheinung. Henri IV ereilten nach großen Anstrengungen zuweilen Fieberschübe, die er mit ein paar Tagen Bettruhe kurierte.

Sogar der als »kränklich« geltende Offizial-Vater Ludwig 13 ist bei naher Betrachtung seiner Krankheiten ganz anders krank als Ludwig 14. – Als Schwuler hatte Ludwig 13 eine anders konturierte Unlösbarkeit mit auf den Thron Frankreichs bekommen. Die gesollte Heterosexualität ging von innen nicht, und die gewollte Homosexualität bekam von außen oft so hohe und schwere Hindernisse in den Weg zur Erfüllung gelegt, dass sich Krankheit als Reaktion der Unübereinkunft zwischen Individuum und Gesellschaft immer wieder einstellen musste. Ludwigs des Dreizehnten kolportierte Melancholie und gesundheitliche Mürbe zeigten sich jedoch erst nach dem Tod seines ersten Liebhabers, Charles de Luynes!

Ludwig 14 strotzte nicht nur gen-gesundheitlich, sondern auch heterosexuell! Frauen drängten sich in seine Nähe. Er hätte aus dem Bett regieren können. Aber, aber, aber: kein Alkoven konnte die Vorhänge über Ludwigs schärfster Asymmetrie zwischen Sein und Schein dauerhaft schließen.

War er bis zum Tode Mazarins als Künstler identisch mit sich selbst, mit diesem Beruf, so kippte er als Allein- und Realregent aus den Fugen jeglicher Identität. Künstler ging nicht mehr, und König ging »tiefsten Herzens« nie. – Das Grauen Ludwigs des Vierzehnten bestand für die Psyche dieses Mannes nicht in seiner Usurpation, sondern im Nicht-Darstellenkönnen, in der nie zu überwindenden Unmöglichkeit, die Wahrheit seiner Baby-Beschaffung herauszuschreien. Diese biografische Falle musste sich für einen so talentierten Darstellungskünstler, der Louis XIV theatralisch bis 1661 war, als Verhängnis auswirken. Er konnte die Fälschung, sein eigenes Gefälschtsein, nie vorführen, nie behandeln, nie »thematisieren« – wie es modern heißen würde. Ludwigs Körper musste die »Drecksarbeit« übernehmen, und sein königlicher Unkörper wütete so gut wie mit allem Möglichen und Unmöglichen an Instrumentarium, mit dem die Menschen zu seiner Zeit Konflikte und Komplikationen zum Ausdruck brachten.

Zu Schwindel und Zuständen – das sind Nervenanfälle, Verrutschungen des Selbstgefühls – kamen Hautausschläge, Darmgeschwüre, Abszesse, Gicht, Magen-Darm-Unpässlichkeiten, auslaugendes, lang anhaltendes Fieber, schwer zum ersten Mal zu praktizierende Operationen. Ludwig schüttelten Krankheiten, die weniger robuste Zeitgenossen nicht überstanden. Mit 16/17 Jahren zog er sich schon einen Tripper zu. Am Ende seiner Zwanziger wäre er an einer Krankheit fast gestorben. Ab Einzug in Versailles 1682 war er arthritisch und benutzte gern einen Rollstuhl (Abb. 20).

Doch das extremste Beispiel dafür, dass Louis XIV in seinem anlagemäßig gesunden und starken Körper psychosozial nicht »drinsteckte«, waren seine oral-analen Ausfall-Erscheinungen. Ludwigs feudal-ideologisch anathematisches Fehl-am-Platze-Sein machte sich mit körperlichem Fehlverhalten und an geistigen Fehlentscheidungen »bemerkbar«. Ludwigs Nicht-in-sich-selbst-Sitzen drückte sich zuallererst in einer hysterischen Angst vor Krankheiten aus, die für diesen Von-der-Wurzel-aus-Gesunden unwahrscheinlich gewesen wären, dann aber kamen »wie gerufen«.

Louis trachtete danach, uralt zu werden, um alle Mitwissenden und seine Königsfälschung Ahnenden zu überleben. 1685, schon mit 46 Jahren, ließ er sich alle Zähne seines Oberkiefers herausreißen, weil schadhafte Zähne im 17. Jahrhundert Infektionsherde waren, die damals unheilbare Krankheiten in den Körper schleusen konnten. Bei der Prozedur der Zahn-Amputation wurde ein Stück Kiefer mit herausgebrochen und Louis’ Gaumen versengt, wonach Louis unter Mundfäule und Mundhöhlen-Schmerzen litt, (36, S. 138). Kauen – unmöglich! Verdauen – eine Wunschvorstellung! Permanent-Verstopfungen die Folge, die Permanent-Abführmittel erzwangen, die zu multiplen Stuhlgängen Tag und Nacht führten – 18 Mal pro zwölf Stunden sind übermittelt! Das alles ohne WCs und mit den Multi-Trikotagen-Verpackungen des Körpers in den Königskleidern des 17. Jahrhunderts! – Durch das Loch im Gaumen konnte Louis nicht mehr regulär trinken. Die eingeführten Getränke flossen ihm rinnsalhaft aus seiner Nase heraus!

Zur gleichen Zeit wucherte aus dem Hintern Louis’ ein Ei-dicker Furunkel, der ihn nur noch auf einem Loch-ausgeschnittenen »Kackstuhl«, durch den das Geschwür nach unten hängen konnte, sitzen ließ. – »Wahnsinns«-Operation erst, nachdem Männer aus dem Volke gefunden wurden, die am gleichen hinterlichen Fremdkörper litten und mit denen der königliche Chirurg die damals schwierige, weil neue OP üben konnte. Nach einigen Volksmann-Trainings-OPs dann am 18. November 1686 der gelingende Versuch am inzwischen 48-jährigen König – damals ohne Betäubung! Aber das infernalische und unkönigliche Schmerzgefühl provozierte in Biografie-somatischer Logik das Realitätsgefühl »nichts ist am richtigen Platz«, das Ludwigs Körper mit jedem Schmerz von oben bis unten ganz durchdringen konnte.

Von einer gewaltsamen Zahn-Amputation in seinen Vierzigern wird bei keinem anderen König berichtet. – Ludwig 14 geht seinen Hof-Ärzten auf den Leim, die sich an ihm versuchen, die stümpern, sich irren und ihn unnötig quälen. Louis XIV hat kein Körpergefühl, kann sich von seinen Ärzten nicht abgrenzen, lässt sich zum Jaucheschlauch verunstalten: Verlust von Anfang und Ende, Eingang und Ausgang, die selbstverschuldete Zerstörung seines Lebensanfangsorgans Mund mit den widerwärtigen Folgeerscheinungen des oben und unten produzierten Dauergestanks, der ihm die Verhöhnung einbrachte »L’odeur – ç’est moi!« (Der Gestank bin ich!) (187)

Unheimliches, undurchdringbares, ver-rücktes Misslingen auch bei Louis’ Versuchen, sich mit legitimen Nachkommen »nach unten« fortzusetzen: Fast alles Männliche in Louis’ Umfeld starb vor ihm, Sohn, Enkel, Urenkel. Ein einziger Urenkel, erst 5-jährig, schaffte es noch gerade, den knapp 77-jährigen Sterbenden zu überleben.

Dieses Legitimierungs-Verenden der königlichen Erben geschah nicht in gleicher Weise mit Louis’ 13 illegitimen Kindern und ungezählten Kindeskindern.

Nicht Louis’ Körper war »degeneriert« oder Nachkommen-insolvent. Seine feudal-soziopsychischen Bedingungen der Legitimationsverheerung, die seine Beschaffer ihm angetan hatten, wirkten auf seine dynastiebelasteten männlichen Nachkommen krankmachend und verhaltensstörend, so dass sechs königliche Nachfolge-Männlichkeiten in jüngstem, jüngerem und bestem Alter vor Louis starben. Nur Louis’ Enkel, der spätere spanische König Philipp V., der als 17-Jähriger aus Louis’ Sozialkonfliktfeld herausgestellt wurde – weg von Paris nach Madrid –, konnte sich aus dem Legitimationsdilemma des Großvaters, das wie ein Familienfluch generativ weiterwirkte, befreien und wurde alt, was dem überlebenden Urenkel und Nachfolger auf dem französischen Thron, Ludwig dem Fünfzehnten, auch gelang.

Der Legitimationsbruch nach oben ließ nach unten – mit einer Ausnahme – alle Louis’schen Nachfolgekandidaten zu Bruch gehen, so dass bei den unüblich vielen Toden unter Louis’ Kronerben immer wieder von Vergiftungen fantasiert wurde. So viele Menschen in so verschiedenen Lebensumständen und Altersphasen können nicht von einem äußeren Feind attackiert worden sein. Solch ein Feind lässt sich nicht personifizieren, noch hätten jemals der Feind oder die Feinde als dynastische Rächer der durch die Königsfälschung ausgebooteten realkönigsberechtigten hochadligen Franzosen vergiftenden Zugang zu Louis’ legitimen Erben gehabt.

Der Gifthauch von Louis’ gefälschtem verdorbenem System ist es, der die männliche Brut dahingerafft hat.

Mit solch »hinraffender« Energie verzehrte aber auch Louis XIV selber sein legitimes »Erbfeld«. Seine königsdisparate Situation provozierte in ihm eine Unersättlichkeit, auf dem Thron Frankreichs sitzen zu bleiben und von dort aus seinen frankreich- und europapolitischen Dreck zu machen. Louis XIV ist der längstamtierende europäische Herrscher dieses Gebildes gewesen. Die langen Thronperioden von Fürsten umfassten zehn bis 20, allerhöchstens 30 Jahre, wobei die formalen Kinderregent-Zeiten nicht als Machtzeiten mitgezählt werden. Louis’ 54 Jahre der Alleinthronung und insgesamt 72 Jahre des Sitzens überhaupt auf Frankreich wurden von niemandem sonst erreicht.

Die unkönigliche Sitzfleischgroteske Ludwigs des Vierzehnten springt am Tragikomischsten ins Gesicht, wenn der Blick auf Leben und Sterben von Ludwigs Sohn, dem verhöhnenderweise »Grand Dauphin« genannten, gerichtet wird, der seinen Namen seiner voluminösen Größe und Fettleibigkeit verdankt. Den Kronprinzen überfiel eine starrmachende Angst in der Nähe seines Vaters (Abb. 17). Er starb am 14. April 1711 mit 49, viereinhalb Jahre vor dem zu dieser Zeit 72-jährigen Louis XIV. – Ein Alter von 49 erreichten nur wenige französische Könige. Anstatt seinem Sohn noch eine adäquate Regierungszeit zu vergönnen, überlebt Louis ihn wie zum Trotz – gemäß der Abwandlung von Cäsars »Keiner neben mir!«: Keiner nach mir!

Im Jahr danach, 1712, sterben auch die anderen männlichen Thronerben: Enkel und Urenkel. Louis XIV ist 73/74. – Und es sieht 1715 um ein Haar so aus, als würden alle direkten Kronerben vor Louis sterben. Der fünfjährige Urenkel, Ludwig der Fünfzehnte, war der letzte männliche Nachfahre, der Ludwig den Vierzehnten bei dessen Tod am 1. September 1715 überlebte!

Auch die Länge der Louis-XIV-Königszeit entblößt etwas Monströses, Adels-Inadäquates. Das Falsche konnte keine sogenannte Erfüllung finden, konnte auch nicht zu Läuterungen reifen, gar in altersweisen Humanisierungen münden: Die »Schleifungen« der französischen Protestanten, die Zerstörungen ganzer Ketten von südwestdeutschen Städten, der Versuch, vom Meer aus England zu überfallen, die 13 Jahre spanischer Erbfolgekrieg – alles Ereignisse in Ludwigs Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern!

Die nicht bewussten Anteile der Person des Unkönigs steuerten auf eine Königs-untypische Lösung des Zusichkommens zu, die frei nach Andersens Märchen »Des Kaisers neue Kleider« geheißen hätte: »Ich bin’s nicht! Macht euern Dreck alleine!«

Aber ein freiwilliger Rücktritt Louis’ ging wegen seines 27 Jahre lang geformten König-Ichs nicht, das der royalen Kunstbiografie »Louis XIV«, beginnend von den ersten Tagen ihrer höfischen Präsentation, in die Person eingraviert worden war. So ging nur, die Existenz eines neuzeitlichen Minotaurus bis zur physischen Alterserschöpfung durchzuziehen und durchzuhalten – unter »sagenhaften« Schmerzen, die dem eigenen Körper, dem Volkskörper Frankreichs und den um Frankreich lebenden Völkern Europas zugefügt wurden.

Die Königsfälschung

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