Читать книгу Die Königsfälschung - Max Melbo - Страница 7
»Präparierter« Dauphin
ОглавлениеLouis XIV wurde 1638 geboren. 1635 beginnen mindestens vier Kirchenleute (zwei Nonnen, eine Äbtissin und ein Mönch) an verschiedenen Orten in Frankreich für die Ankunft des Kronprinzen zu beten – nicht etwa eines Kronprinzen oder überhaupt eines königlichen Babys. 1637 – ein Jahr vor der Geburt Ludwigs des Vierzehnten – hat das Beten des Bruders Fiacre, eines Augustiner-Bettelmönchs aus Paris, einen vorgespiegelten ersten Erfolg: Der Mönch war 1637 auf Anweisung seiner Kirchenoberen in die Provence gepilgert – zur Chapelle de la Vierge de Grâce à Cotignac. – Nach ein paar Tagen, die er in Andacht zu Füßen der Skulptur der Gnadenjungfrau verbracht hatte, gab der im Gebet kniende Mönch vor, Baby-Geschrei gehört zu haben. Er habe sich umgedreht, niemanden gesehen, stattdessen die Botschaft der Heiligen Jungfrau empfangen, die zu ihm gesagt haben soll: »Du hörst da nicht meinen Sohn Jesus schreien, sondern die Stimme des Baby-Kronprinzen, den der Himmel für Frankreich vorbereitet.« – Der Originaltext heißt: »C’est le dauphin que le Ciel prépare à la France!« (89, S. 40)
Das Verb »préparer« bedeutet nicht »ankündigen« oder »prophezeien«, vielleicht noch »botschaften«. »Préparer« ist mit dem deutschen »präparieren« identisch, heißt »zurechtmachen«, »vorbereiten«, auch »vorkochen«, also »zusammenbrauen«! – Medizinstudenten absolvieren einen »Präparierkurs«, in dem sie an Leichen die körperlichen Strukturen für das spätere Operieren von Menschen kennenlernen sollen.
Das Wort »präparieren«, das der aus Paris nach Cotignac gesandte Bruder Fiacre für den Text seiner simulierten göttlichen Offenbarung benutzt, ist eine Freud’sche Fehlleistung, die die »Operation Kronprinz« enthüllt, die das römische Kardinalskollegium in Frankreich betreibt.
Als Erstes fällt das Timing auf: Eine Königin, die über 20 Jahre lang kein Kind bekommen hat – nach der Eheschließung 1615 gibt es bis 1638 keine registrierte Hofgeburt –, diese Königin soll nun ein gesundes und wie bestellt ein männliches Baby, nämlich den Kronprinzen, zur Welt bringen?
Es gibt in der katholischen Kirche eine Geschichte der Prophezeiungen. Prophezeiungen sind über 90 Prozent Propaganda. Mit ihnen wurde bis ins Zeitalter der Aufklärung nur so um sich geworfen. Ab dem Zeitalter der »Belichtung«, dem »Klugwerden« des Menschen wurden die Prophezeiungen rar. Die Kirche beschränkte sie auf die »Beschränkten im Geiste«, auf naive = sozial untere »Geschöpfe« wie Bernadette von Lourdes 1858 in Frankreich und die drei Hirtenkinder von Fatima 1917 in Portugal. Vor allem ging die Kirche sparsam mit dem Erscheinen des Göttlichen bei Religionsprofessionellen um. Jesus erschien »nochmals« Papst Pius XII., aber generell hielten sich die Kleriker mit dem Empfangen von »Erscheinungen« zurück.
Von diesem neuzeitlichen Prinzip weicht der Louis-XIV-Beschaffungs-Promotor, Kardinal Richelieu, ab. Im Thronfolger-Propaganda-Feldzug treten die Baby-Erscheinungen bei Kirchenbeamten gleichzeitig viermal auf, denn die drei weiblichen Religionsprofis, die seit zwei Jahren um einen Thronfolger beteten, verkündeten 1637 plötzlich eine ähnlich lautende Zuversicht wie Bruder Fiacre. Die Äbtissin Jeanne de Matel prophezeite: »Kronprinz in Sicht!«
Und unüblich ist, dass Empfangende von Prophezeiungen hinterher von staatlichen Machthabern belohnt werden. Meist kommen die Prophezeiungen, wie die von der Ankunft Jesu, dem aktuell Regierenden, wie König Herodes, ungelegen, so dass der weltliche Potentat mit Mordpraktiken ihre Verwirklichung zu verhindern sucht (Bethlehem’scher Knabenmord).
Das Königspaar Ludwig 13 und Anna Ö. zahlte den Stimmen-Hörerinnen und -Hörern dagegen in öffentlich demonstrierter Dankbarkeit für den Erhalt der »göttlichen« Visionen von seinem baldigst ankommenden gesunden männlichen Kind Tausende Livres! Die Regenten spendeten den – wie Geheimdienstler behandelten – religiösen Funkstationen, den Kapellen, Kirchen und Wallfahrtszentren königliche Schätze, teuerste Heiligenreliquien. Und sie gründeten neue Gebetshäuser und Klöster.
Selbstverständlich war zum mönchischen Stimmenempfang der frohen Baby-Botschaft ein Pariser Augustinerbruder der heiligen Margarete ausgesucht worden, die von der Bevölkerung als Heilige der Fruchtbarkeit und Schwangerschaft verehrt wird! Doppelt genäht hält besser: Die 17/18-jährige Carmeliterin Parigot, Mitglied in der – sieben Jahre zuvor gegründeten – sittenkonservativen »Compagnie du Saint-Sacrement«, hieß mit Vornamen Margarete, nannte sich »Marguerite du Saint-Sacrement«. Sie war spezialisiert auf die Anbetung des Jesu-Babys, hatte ab 13-jährig für die Ankunft eines Kronprinzen gebetet und eine Woche nach der inszenierten »Empfängnisnacht« Anfang Dezember 1637 »von Gott die Nachricht empfangen, dass Anne d’Autriche schwanger« sei (20, S. 28).
Die Spitze der mit der Geburt des Kronprinzen gleichgeschalteten Aktionen war: Ludwig der Dreizehnte, der glücklich werdende Strohmann-Vater, widmete schon zu Anfang des simuliert zweiten Monats der Scheinschwangerschaft seiner Frau, am 10. Februar 1638, in einem offiziellen Akt ganz Frankreich der Jungfrau Maria.
Das Tolldreisteste der Präparierungs-Koordination: Der Zeitraum der Empfängnis des französischen Kronprinzen Louis XIV wurde auf das Huldigungsdatum der »Unbefleckten Empfängnis Mariä« 1637 verlegt, das die katholischen Gläubigen am 8. Dezember jeden Jahres feiern. Schwangerschaftstypisch fast genau nach neun Monaten, am 5. September 1638, wurde Louis XIV geburtsterminiert.
Wie ein Eingeständnis, dass dieser dringlich erwartete und ihm daher mit allen Mitteln nachgeholfene Königssohn nicht von unten aus Geschlechtstiefen, sondern von oben mit Hilfe von Herrenköpfen strategisch produziert worden ist, wird Louis XIV von Stund seiner Präsentation an »Dieudonné« genannt, er sei ein »Gottesgeschenk«, was, solange Herrscher von Gott reden, immer »Patriarchatsprodukt« bedeutet!