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Das Papsttum in Not
ОглавлениеWie kommen die römischen Spitzenpolitiker des Kirchenstaates Vatikan dazu, sich auf so eine heikle Angelegenheit einzulassen und durch einen der Ihren, eingeschleust in die französische Regierungsapparatur, den französischen Thronfolger zu organisieren?
Ihre Aktion war die Ultima Ratio, das System des Papsttums zu retten. Das Papsttum, ein Parasit auf Gläubigen und Kirche, war seit einem halben Jahr-tausend in die Krise geraten. Auseinandersetzungen zwischen Kaisern/Königen (der Erb-Aristokratie) und den Päpsten (der Wahl-Aristokratie) –: »Wer steht über wem? Wer befiehlt wem?« – begleiteten schon das Hochmittelalter zwischen 900 und 1100.
Seit etwa 500 Jahren probten die Christen selbst den Aufstand. Mönche, Priester, Bischöfe, Theologieprofessoren und Konzile – das waren Versammlungen aller zeitgenössischen Religionsprofis – machten den Päpsten die Herrschaft streitig. Die Päpste wurden als Mafiabosse enttarnt, ihr Christi-Stellvertretertum als ökonomische Herrschaft entlarvt, vergleichbar der einer heutigen Ölgesellschaft, eines Waffen- oder Fleischproduzenten, eines Baugiganten oder Pharmamoguls, eines Bankkonsortiums oder einer Nahrungsmittel»kette«, eines Elektro-, Chemie- oder Medienkonzerns, dem Konglomerat der Krankenhausindustrie ...
Die Abgaben der Gläubigen – der sogenannte Zehnte –, die Bitt-, Heiligen- und Wallfahrts-»Entgelte«, die Spenden und Stiftungen, flossen alle nach Rom zu den Päpsten, die sich und ihre Familien damit zu Multimillionären machten.
Um 1400 kulminierte der Protest gegen das Papsttum in der Gestalt des tschechischen Reformators Jan Hus (geboren etwa 1370), der am 6. Juli 1415 in Konstanz verbrannt wurde.
Die Wehr gegen den denkbar korruptesten Amtsmissbrauch, den die Päpste und Kardinäle betrieben, steigerte sich unter den Gläubigen im Laufe des 15. Jahrhunderts. In Deutschland, Skandinavien, England, Italien, Polen, Böhmen, in der Schweiz, in den Niederlanden, vor allem in Frankreich wurden die Lichterketten des Protestantismus, des Protestierertums, angezündet. Die Eisbergspitzen des Widerstandes zeigten sich vor, nach und neben Jan Hus in den Glanzlichtern des Humanismus, der sich innerhalb des katholischen »Lagers« profilierte (es gab noch keine gegenkatholische Kirche, die erst im Verlaufe des 16. Jahrhunderts gegründet wurde): Bruno, Calvin, Kopernikus, Erasmus, Hutten, Jansen, Latimer, Luther, Melanchthon, Morus, Müntzer, Reuchlin, Savonarola, Wycliff, Zwingli ...
Immer heikler wurde für die römische Kardinalscorporation, dass sich religiöse Erneuerungen mit sozialen Reformplänen mischten. Ab ungefähr 1520 entstand in Deutschland um Thomas Müntzer die »Wiedertäuferbewegung«. In der Stadt Münster wurde 1535 das »Königreich Zion« ausgerufen – eine frühe Bürgerrevolution, gerichtet gegen alle Arten von Herrschaft –, noch im selben Jahr von »oben« zerstört und danach einer ihrer Vorkämpfer, Jan van Leiden, mit 27 Jahren hingerichtet.
Anfang des 16. Jahrhunderts verliert der Vatikanstaat seine Position als europäische Großmacht. 1530 wird in Bologna zum letzten Mal ein Kaiser von einem Papst gekrönt (Karl V. durch den zweiten Medici-Papst Klemens VII.). 1523 stirbt der letzte ausländische Papst, der deutsche Hadrian VI., nach nur anderthalb Jahren Regierungszeit. Danach reduziert sich das Papsttum auf eine inneritalienische Angelegenheit. Die römischen Kardinäle wählen bis zum polnischen Papst Johannes Paul II. 450 Jahre lang nur noch Italiener und verinzüchten das System damit ideologisch immer mehr.
Für dieses Schrumpf-Papsttum war der staatliche Protestantismus in Südfrankreich das Lebensbedrohlichste. Deutsche Fürsten und Patrizier (Städte der Hanse) lösten sich vom Papst, Holland war trotz abscheulichster Unterdrückungen durch die spanische Fremdherrschaft nicht mehr zu halten. England musste seit Heinrich VIII. (1491–1547) als verloren angesehen werden. Aber Frankreich lag ungemütlich landberührend nah am Papststaat Vatikan! Die französischen Könige Charles VIII, Louis XII und François I fielen um 1500 in italienische Stadtstaaten ein, Mailand, Venedig, Florenz, Neapel waren plötzlich französisch. Und wenn französisch = calvinistisch = antipäpstlich hieß, dann war es mit dem Saus und Braus des Papsttums aus. – Die südfranzösische Königin Margarete von Navarra (1492–1549), Schwester des großfranzösischen Königs Franz des Ersten (1494–1547), Großmutter Heinrichs des Vierten, Aufklärerin, Humanistin und mit ihrem »Heptameron« weltberühmte Autorin, gewährte Papstverfolgten in ihrem Königreich Navarra an der französisch-spanischen Grenze Asyl. Katholisches Gesamtfrankreich und protestantisches Südfrankreich waren also schon miteinander verschwistert! Mit jedem neuen großfranzösischen König konnte der Funke des Protestantismus auf das ganze französische Land politisch überspringen, was dann mit der Thronbesteigung des protestantischen Navarra-Königs Henri III, der gesamtfranzösischer Henri IV wurde, 1589 auch geschah. Das Königreich Navarra war zwischen 1540 und 1590 schon ein halbes Jahrhundert lang protestantisch regiert worden. Die einzige Tochter Margarete von Navarras, die Kronerbin und Königin Jeanne d’Albret, hatte den Protestantismus zur Staatsreligion erklärt.
Was sich in Südfrankreich entwickelte, war das Ultra-Gefährlichste für die römischen Kardinäle, denn dieses papstnahe Gebiet hatte das Papsttum schon einmal aufständisch-alternativ bedroht: die Bewegung der Katharer, die nach Jahrzehnten Existenz 1229 vom damaligen französischen König Ludwig dem Neunten, dem (Un)»Heiligen« »ausgerottet« wurde.
Frankreich war das Einwohner-zahlreichste, militärisch stärkste Land im Europa der beginnenden Neuzeit. Von dort flossen die meisten Gelder nach Rom. Mit militärischen und diplomatischen Mitteln konnte Frankreich nicht mehr wie zu Zeiten Ludwigs des Neunten zur Papstgefolgschaft bestimmt oder gezwungen werden, denn auch schon das katholische Frankreich machte seit langem Papst-unabhängige, ehrgeizige Weltpolitik. François I zwang den Päpsten 1516 das Konkordat von Bologna auf, in dem er sich das Recht verbriefte, alle kirchlichen Positionen in Frankreich selbst zu besetzen. Der Papst hatte nur ein Bestätigungs- oder Gegenzeichnungsrecht. Ohne den Willen des französischen Königs konnte niemand in Frankreich Bischof oder Kardinal werden!
Die Kardinalscorporation in Rom kam auf einen Trick. Der Trick hieß: »Mitbieten auf der europäischen Heiratsbörse des Hochadels und dadurch Infiltration papstgenehmen, reaktionär gesinnten ›Erbgutes‹, das Papst-konformes Verhalten auf dem französischen Thron garantierte.«
Es gab ab 1500 für die nächsten 150 Jahre drei Schritte, um an das Ziel zu kommen, Frankreich pro-päpstlich zu genealogisieren, so dass von innen heraus der dort um sich greifende protestantische Virus bekämpft werden konnte: