Читать книгу Düsterstrand - Meike Messal - Страница 10

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Unschlüssig stand Laura auf dem Rathausplatz. Sie war mit ihrer Großmutter in der Sparkassenhauptzentrale gewesen, weil Charlotte der Ansicht war, dass Laura mit achtzehn über ihre Finanzen Bescheid wissen müsse. Erstaunt hatte sie von Herrn Meyer erfahren, dass ihre Eltern ein Sparbuch für sie angelegt hatten, das sie mit Beginn ihrer Volljährigkeit bekommen sollte. Obwohl seit Jahren nichts mehr eingezahlt worden war, hatten sich darauf doch mehr als 10.000 Euro angesammelt. Als sie geboren wurde, hatten ihre Eltern schon eine ordentliche Summe bereitgestellt und auch in den Jahren danach nicht geknausert.

Wow, was für ein Batzen! Damit würde ihr das Studium gleich viel leichter fallen, sie würde nicht von Anfang an arbeiten müssen. Obwohl sie sich in Hamburg sehr wohl fühlte, wollte sie auf eigenen Füßen stehen und hatte sich in Kiel für einen Platz der Medienwissenschaft beworben. Mit ihren Noten sah es gut aus, sie würde zum Wintersemester beginnen können.

Charlotte war nach dem Sparkassentermin gleich wieder nach Hause gefahren, aber Laura hatte noch ein wenig durch die Stadt bummeln wollen. Inzwischen brannte die Sonne auf sie herunter. Es war ungewöhnlich heiß für die Hansestadt. Viele Touristen hatten es den Asiaten gleichgetan und Regenschirme als Sonnenschutz aufgespannt. In dieser für Nordlichter doch recht lächerlichen Montur standen sie an der Alster und fütterten die Schwäne und Enten.

Gedankenverloren betrachtete sie die vielen Menschen. An der Treppe, die zur Alster hinunterführte, befand sich ein junges Paar, das sich angeregt unterhielt. Die Frau hielt dabei den Buggy ihres Sohnes fest in der Hand. Der kleine Junge stand derweil neben den beiden und schleckte friedlich an seinem Eis. Als er jedoch einen großen, weißen Schwan entdeckte, der majestätisch zu den Enten hinüberschwamm, kam Bewegung in ihn. Bevor Laura sich versah, war er die Stufen hinuntergestolpert und lief mit seinem kleinen, ausgestreckten Armen genau auf das Wasser zu. Niemand nahm davon Notiz, die Eltern waren nach wie vor in ihr Gespräch vertieft. Laura sprintete los, raste, immer drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter und warf sich vor ihn, gerade, als er einen Schritt über die Steinkante hinaus in das Wasser machen wollte. Der Junge fiel über sie und blieb auf ihr liegen. Schweratmend hielt Laura ihn fest.

In der Sekunde war die Mutter bei ihr. »Oh mein Gott«, rief sie, »Was machst du denn, Lian?« Sie hob das Kind hoch, dann drehte sie sich zu Laura um. »Vielen Dank«, sagte sie, lächelte kurz, drückte den Jungen an sich und eilte mit ihm zurück zu dem Vater, der mit offenem Mund dastand. Laura betastete vorsichtig ihr Knie. Sie hatte es sich bei dem Sturz aufgeschlagen. »Ja, hey, hab ich doch gern gemacht«, rief sie der Frau hinterher, die jedoch schon das Kind in den Buggy steckte und wild auf ihn einschimpfend mit dem Vater davondampfte.

Kopfschüttelnd sah Laura ihnen nach. Ihr Blick fiel auf das Café schräg gegenüber. Vorsichtig stand sie auf. Jetzt ein riesengroßer Eisbecher mit frischen Erdbeeren. Schon bei dem Gedanken lief ihr das Wasser im Mund zusammen.

Sie humpelte über die Brücke, die Stufen zum Café hinunter und setzte sich an einen der wenigen freien Tische über dem Wasser. Entspannt lehnte sie sich nach hinten und genoss die warmen Sonnenstrahlen. Wie sie den Sommer liebte! Das Lachen der Menschen, die warmen, braungebrannten Gesichter, auf denen das Lächeln viel häufiger erschien als im Winter. Die langen, hellen Tage, die die Dunkelheit fernhielten. Draußen und im Herzen. Überall. Im Sommer war der Schmerz leichter als im Winter, verlor ein wenig von seinen tiefschwarzen Schattierungen.

Noch während die freundliche Kellnerin den Eisbecher vor ihr abstellte und mitleidig auf ihr blutendes Knie schaute, fiel Lauras Blick auf das »Hamburger Abendblatt«. Es lag achtlos hingeworfen am Rand ihres Tisches. Sie schob es beiseite und wollte sich gerade einen Löffel in den Mund schieben, den sie mit Eis vollgeladen und einer Erdbeere gekrönt hatte, als ihr eine Überschrift ins Auge stach. Klein war sie und stand ganz links unten. Aber Lauras Herz setzte einen Schlag aus. Junge noch immer verschwunden, las sie. Ruckartig folgten ihre Augen den Zeilen. Vor lauter Schreck vergaß sie, zu schlucken, hustete.

Ein Junge war spurlos verschwunden, erst sieben Jahre alt. Und es war nicht in Hamburg passiert. Nein, er war auf Fehmarn verschollen. Seit knapp einer Woche schon, und es gab überhaupt keine Spur. Es war, als hätte es ihn nie gegeben.

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