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Eine Woche ohne Insulin … Wiebkes Worte hallten in Lauras Kopf. Auf der Toilette hatte sie schnell gegoogelt und erschrocken gelesen, dass es für einen Diabetiker praktisch unmöglich war, ohne Insulin für mehr als ein paar Tage zu überleben. Natürlich hing das von allen möglichen Umständen ab – wie viel man aß, welche Kohlenhydrate es waren, ob man sich sportlich betätigte, ob der Körper noch eigenes Insulin bildete, wie es zu Beginn der Diagnose der Fall war und einiges mehr. Aber es war ganz sicher, dass Tom schnellstens gefunden werden musste, wenn er nicht bereits im diabetischen Koma lag, das durch Überzuckerung ausgelöst wurde.

Als Laura in den Garten zurückkam, saß Wiebke noch immer im Strandkorb, die Beine nah an den Körper gezogen, die Arme fest darum geschlungen. »Ich kann dir gar nicht viel sagen«, murmelte sie. »An dem Tag, als Tom verschwand, hatten gerade die Ferien begonnen. Ich wollte nach Spanien, war voller Vorfreude, habe meinen Koffer gepackt. Da kam dieser schreckliche Anruf.«

»Von wem?«

»Thorben. Meinem Sohn. Tom ist sein und Neles Kind.«

Laura nickte. »Wir müssen zu ihnen. Sofort.«

Wiebke blinzelte. »Sie haben so viel durchgemacht. Bestimmt wollen sie uns nicht noch einmal alles erzählen.« Müde fuhr sie sich durch das Gesicht. »Ich habe ihnen immer wieder meine Hilfe angeboten. Aber sie melden sich nicht. Ich glaube, sie stehen völlig unter Schock, können nicht begreifen, was passiert ist.«

»Aber sie wollen ihn wiederhaben und dabei kann ihnen doch nur jede Unterstützung recht sein. Wir müssen es wenigstens versuchen.« Bittend hielt Laura Wiebke eine Hand hin.

»In Ordnung.« Seufzend ergriff sie Lauras ausgestreckten Arm und stand auf. »Ich hole nur schnell meine Tasche und den Autoschlüssel, dann können wir los.«

Laura wurde blass. »Wohnen sie denn nicht in der Nähe? Ich dachte, wir könnten hinlaufen«, sagte sie und versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben.

Stirnrunzelnd blieb Wiebke stehen. »Ja, schon, so weit ist es nicht. Aber du hast doch selbst gesagt – jede Minute zählt!«

Mit den Füßen fest auf dem Boden, so, als wäre sie verwurzelt, blieb Laura regungslos stehen. »Ich fahre kein Auto.«

»Okay.« Wiebkes Furchen auf der Stirn wurden noch tiefer. »Du musst ja auch nicht fahren. Das mache ich.«

»Nein.« Abwehrend hob Laura die Hand. »Ich fahre auch nicht mit. Ich steige in überhaupt kein Auto ein.«

Wiebke schloss für einen Moment die Augen und sah mit einem Male sehr alt aus. Dann gab sie sich einen Ruck, trat einen Schritt auf Laura zu und blieb erneut unsicher stehen.

»Du fährst kein Auto«, wiederholte sie tonlos. »Kein Auto mehr.«

Laura nickte. Starrte in den Garten, auf die Blumen. Bitte nicht die Bilder, diese schrecklichen Bilder. Nein, sie wollte nicht daran denken, sie wollte …

Doch sie waren wieder da, explodierten in ihrem Kopf.

Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist … Ihre Mutter überlegte und schaute sich im Auto um. Ihre Sonnenbrille hatte sie auf ihre lockigen Haare geschoben, suchend wanderten ihre Augen umher, blieben auf Laura haften, die auf der Rückbank saß, strahlten.

Dann der Schrecken in ihrem Blick, als der Wagen plötzlich schleuderte, ihr Aufschrei. Die tiefe Stimme ihres Vaters, die irgendetwas rief. Laura verstand ihn nicht, alles drehte sich, knirschte, quietschte, Mutters Stimme, die immer noch schrie. Und dieser Knall, dieser entsetzliche Knall. Der Schmerz, als Laura in den Gurt gedrückt wurde, der Ruck, der sich anfühlte, als würde ihr Körper durchtrennt. Etwas rieselte in ihr Gesicht, es tat weh, alles tat weh.

Als sie die Augen öffnete, war da nur Nebel und so ein komisches Geräusch, es fiepte in ihren Ohren, laut und anhaltend. Laura versuchte, etwas zu erkennen, aber überall war Glas, und ihre Mutter lächelte nicht mehr. Ihr Kopf war seltsam verdreht, Blut sickerte über ihr Haar, lief an ihrer Wange hinunter, tropfte auf den Sitz, der voller Glasscherben war. Ein Ast ragte in das Auto, seitlich durch das Fenster. Und vorne dieser riesige Baum. Stoisch stand er da, ihn störte der Wagen nicht, der halb um ihn gewickelt war, er war immun gegen den Schmerz. Ihren Vater konnte sie nicht erkennen. Aber sie nahm keine Bewegung wahr. Auch nicht, als sie ihn rief. Als sie schrie. Sie schrie, schrie immer noch, als die Feuerwehr sie aus dem Wagen holte, schrie und schrie. Denn Mama und Paps bewegten sich nicht mehr, sagten nichts. Sie blieben einfach stumm.

Düsterstrand

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